Читать книгу Hinter hessischen Gittern - Esther Copia - Страница 24
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ОглавлениеEinige Stunden später, die Gefangenen hatten Freizeit und durften sich für zwei Stunden frei auf ihrer Station bewegen, schlich Ribeiro über den Flur und holte sich einen Tee an dem aufgestellten Teespender. Er sah miserabel aus. Blass und seit Tagen nicht geduscht, schleppte er sich wieder in seine Zelle. Er kratzte sich ständig, sodass auch der Blödeste es verstand: Er war auf Entzug. Die Russen hatten sich einen kleinen Tisch aufgestellt und spielten Karten. Einige von ihnen saßen in der Hocke um die Kartenspieler herum. Diese Art des Sitzens konnte Maria bisher nur bei ihnen beobachten. Manche hielten auch eine lange Kette mit Holzperlen in der Hand, die sie ununterbrochen zwischen ihren Fingern hindurchgleiten ließen. Ausnahmslos waren alle irgendwie auf Drogen, auch wenn in deren Wahrnehmungsbogen kein Delikt wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgeführt war. Fast jeder der Männer war abhängig. Viele waren blass und mager, ja mangelernährt. Zudem hatten sie sich die Köpfe fast kahlgeschoren. Sie sahen aus, als kämen sie geradewegs aus dem Gulag. Männer mit nicht einmal 30 Jahren sahen aus wie ihre eigenen Großväter, hässliche Tätowierungen waren auf ihren weißen Körpern zu sehen. Die Tattoos wurden verbotenerweise hier im Knast angefertigt und sahen wenig professionell aus, hatten aber für Knastinsider wichtige Bedeutung. Man konnte anhand der Tätowierungen den kriminellen Werdegang eines Deutschrussen ablesen. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, und keiner von ihnen würde je mit einem Beamten mehr als unbedingt nötig sprechen. Es gab unter ihnen genaue Hierarchien, und sie wusste von Jan Gerber, dass sie eine gemeinsame Kasse unterhielten, die Abschak genannt wurde. Jeder Landsmann, der in Haft kam, wurde sofort von der Russengemeinschaft mit Kaffee und Tabak versorgt. So weit, so gut, aber die Zinsen waren hart. Wenn er dann Geld verdiente, musste er seine Schulden eins zu zwei zurückzahlen. Wenn er ein Päckchen Tabak erhalten hatte, musste er dafür zwei Päckchen an die Gemeinschaft zurückzahlen. Eigene Gesetze innerhalb der Mauern.
Sie schaute sich die anderen Insassen nun genauer an. Wer war hier drin mit wem befreundet? Wer hatte am Wochenende Besuch? Irgendwie mussten die Drogen ja in den Knast kommen. Es war bekannt, dass oft die Angehörigen der Gefangenen Drogen reinbrachten, da nützte das ganze Abtasten nichts, denn die Frauen oder auch Männer versteckten die Drogen in ihren Körperöffnungen und gingen während des Besuchs auf die Toilette und holten die Päckchen hervor. Blitzschnell wurde dann beim Abschiedskuss das Suchtmittel weitergegeben. Auch wenn man den Gefangenen nach dem Besuch untersuchte und abtastete, hatte man wenig Erfolg, der Gefangene hatte die Drogen bereits geschluckt, und so waren sie für die Kontrolle nicht auffindbar. Ein ewiges Katz und Maus Spiel. Maria schaute auf die Besucherliste, aber hier war, was Häufigkeit und zeitliche Abfolge betraf, nichts Auffälliges zu entdecken. Ribeiro bekam immer nur Besuch von seiner Mutter. Kurz bekam überhaupt keinen Besuch, und Hattinger hatte den letzten Besuch von einem Hartmut Siebert erhalten. Maria öffnete eine andere Seite, um nachzusehen, ob Hartmut Siebert schon einmal in Dieburg eingesessen hatte. Bingo – er hatte zwei Jahre zuvor wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz gesessen. Sie schloss die Seite und schaute aus ihrem Büro in die Gefangenenstation. Ribeiro war gerade dabei, in Hattingers Zelle zu verschwinden.