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Zweites Kapitel Der Einblick

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Im Gegensinn zu der fatalen Direktive „vom Himmel durch die Welt zur Hölle“, unter der Fausts Weg bei Goethe steht, führt der Weg Jesu von einer als höllisch anmutenden Szenerie durch die von ihm als Ort seines Lebenswerks empfundene Welt zum Himmel seiner Verherrlichung. „Höllisch“ wirkt in der im strengen Sinn „unheimlichen“ Szenerie der Auftritt des Versuchers, der Jesus zweimal zu einem Beweis seiner Wundermacht und schließlich sogar zur Proskynese, zum Fußfall vor ihm, dem Weltenherrn, zu bewegen sucht. Hier muß jedoch eine weitere Vorentscheidung getroffen werden. Denn Matthäus und Lukas berichten zwar übereinstimmend von drei Anfechtungen, dies jedoch in unterschiedlicher Reihung. Während Matthäus dem Appell: „befiehl, daß diese Steine zu Brot werden“ (Mt 4,3), und der Aufforderung zum Sprung von der Tempelzinne (Mt 4,5f) das Ansinnen zur Proskynese (Mt 4,9) folgen läßt und damit eine scheinbar logische Klimax aufbaut, stellt Lukas, für viele Interpreten irritierend, die beiden letzten Szenen um, so daß bei ihm das Ansinnen zum Sprung in die Tiefe (Lk 4,9) als Höhepunkt des Versuchungsgeschehens erscheint. Während Rudolf Schnackenburg im Sinn der Mehrheitsmeinung der Anordnung des Matthäusevangeliums den Vorzug gibt, spricht sich Schenke, der in der Versuchungsszene Herausforderungen durch die Zelotenbewegung gespiegelt sieht, für den Vorrang der lukanischen Version aus1. Wie muß diese Kontroverse entschieden werden?

Trotz des gegenteiligen Anscheins fiele die Entscheidung zu Gunsten des Lukasevangelisten, wenn sich nachweisen ließe, daß sich im Ansinnen zum Sprung von der Tempelzinne eine noch faszinierendere Versuchung verbärge als in der zur Annahme der Weltherrschaft von Satans Gnaden. Das aber trifft zu, sobald man einsieht, daß die vielfach angenommene Insinuation zu einem Schauwunder am Fehlen der dafür erforderlichen Zuschauer scheitert. Auf die richtige Spur bringt die Beobachtung, daß Lukas die Versuchung zur Übernahme der Weltherrschaft aus der Hand des sich als Weltenherrscher aufspielenden Versuchers noch gleißnerischer als die Matthäusversion gestaltet:

All diese Macht und die ganze Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie gehören mir, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du mir huldigst, soll all das dein sein (Lk 4,6f).

Zur Vervollständigung dessen gehört nämlich die unausgesprochene Warnung vor dem, was Jesus im Fall der Ablehnung zu gewärtigen hat: den Konflikt mit einer dann wieder in die Hand Satans zurückgefallenen Welt, den „Widerspruch der Sünde“ (Hebr 12,3) und als dessen Folgen Ablehnung, Verfolgung und Tod. Von dieser Warnung ist Jesus umso heftiger getroffen, als er nach Ausweis der Taufszene mit der ihm zugesprochenen Gottessohnschaft immer schon der Frage nach seinem Lebenssinn unterstand, von der er wußte, daß er darauf erst im Tod die erfüllende Antwort erwarten durfte. Im Licht der von Paulus zu Eingang des Römerbriefs angeführten Glaubensformel – „eingesetzt zum Gottessohn mit Macht durch die Auferstehung von den Toten“ (Röm 1,4) – erscheint aber das Wort der Himmelsstimme als narrative Vorwegnahme dessen, was sich tatsächlich erst in Tod und Auferstehung ereignete. Wenn von Jesus im Hinblick darauf angenommen werden muß, daß er sich immer schon auf der Todeslinie bewegte und deshalb ständig in einem Vorlauf auf den Tod begriffen war, verwandelte sich die Drohung für ihn in ihr Gegenteil, so daß ihm der nun als Todessprung zu verstehende Absturz als Verheißung seines höchsten Lebensziels erscheinen mußte. Diese Sicht gewinnt nicht unerheblich an Überzeugungskraft, wenn man mit Niels Hyldahl davon ausgeht, daß die Tempelzinne als Hinrichtungsstelle galt und deshalb bewußt als Ort dieser letzten und schwersten Versuchung gewählt wurde2. Wenn sich Jesus dann aber auch diesem Ansinnen verweigert, wählt er anstelle des kürzesten, durch Engelshände gemilderten (Lk 4,10) und deshalb leichtesten Wegs bewußt den ungleich schwereren, der ihn durch Enttäuschung, Anfeindung und Qual demselben Ziel entgegenführt. Was besagen die Versuchungsszenen dann aber in der Sicht der neuen Lesart?

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