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I. Das Selbstverständnis

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Wenn man sich mit Schnackenburg vergegenwärtigt, daß die Versuchungen an Jesus förmlich abgleiten3, wird deutlich, daß er die Szene aus der Position seiner Erhöhung besteht, und daß die von Lukas gebotene Klimax als Rekapitulation der wichtigsten Stationen seines Lebenswegs zu verstehen sind. Zurückgespiegelt auf die Brotversuchung ist das dann seine Position als Helfer, auf das Angebot der Weltherrschaft seine Position als Befreier und auf das Ansinnen zum Todessprung seine Position als Retter.

Zwar weist er die Aufforderung, die Steine in Brot zu verwandeln, mit dem Hinweis auf die wichtigere Lebensquelle zurück. Doch betont er in einem für die Notlage seines Volkes aufschlußreichen Wort, daß kein Vater seinem Kind einen Stein statt des erbetenen Brotes gibt (Mt 7,9), keine Schlange statt des erbetenen Fischs und keinen Skorpion statt eines Eies (Lk 11,11f). Wenn man das Elendsbild von dem Volk hinzunimmt, das Jesus die zu ihm drängenden Menschen wie „abgehetzte und verwahrloste Schafe“ vorkommen läßt (Mt 9,36), wird deutlich, daß er bei seinem Wirken sogar in erster Linie die von Lebenssorgen verzehrten Menschen im Auge hat, die sich fragen müssen: „Was sollen wir essen, was sollen wir trinken, was sollen wir anziehen?“ (Mt 6,31), und sich deswegen ängstigen (Lk 12,29), auch wenn sich dann die von ihm gebotene Hilfe nicht unmittelbar auf die Beseitigung der wirtschaftlichen Notlage, sondern auf die Neuordnung des Gottesverhältnisses bezieht. Direkt geht er mit seiner Hilfe dagegen auf die gesundheitliche Notlage der von unterschiedlichen, insbesondere auch psychischen Krankheiten heimgesuchten Menschen ein; doch liegt dieser therapeutische Aspekt außerhalb des Interessenfelds der Versuchungsperikope. Umso deutlicher bahnt sich in ihr die Aufforderung Jesu zum „Sorgentausch“ (Lk 12,31) an, vor allem im Blick auf das Angebot der Weltherrschaft, mit dem die politische Situation in den Vordergrund rückt. Doch läßt die erste Versuchung, so gesehen, auch keinen Zweifel daran, daß Jesus aus ihr in der Absage an vordergründige Strategien als der größere und wahre Helfer hervorleuchtet.

Dagegen erscheint er in der Absage an die Weltherrschaft aus der Hand Satans als der wahre Befreier. Was er „in einem einzigen Augenblick“ erfaßt – alle Reiche der Erde – ist nach Mt 28,18 zweifellos das Ziel seines Wirkens. Doch würde es im Sinn des Anbieters nur auf dem satanischen Weg der Gewalt und des Blutvergießens erreicht. An dieser Stelle schlägt unverkennbar der antizelotische Hintergrund der Szene durch. Denn der von den Zeloten propagierte und schließlich entfesselte Freiheitskampf gegen das römische Imperium führt nach dem hellsichtigen Urteil Jesu dazu, daß vom Tempel als dem Zentrum Israels „kein Stein auf dem andern bleiben“ werde (Lk 21,6)4. Vor diesem Ende sucht Jesus sein Volk zu bewahren. Deshalb setzt er dem zelotischen Konzept sein gewaltfreies entgegen und der ihm angebotenen Weltherrschaft die nicht minder weltumspannende Vision des Gottesreichs, das er als das Reich der wahren, in der Hinwendung zu Gott erlangten Freiheit begreift.

Demgegenüber kann die Position, die aus seiner Verweigerung des Todessprungs hervorleuchtet, zulänglich nur als die des Retters bezeichnet werden. Denn mit dieser Verweigerung stellt er sich auf der durch die Tempelzinne gebildeten Schneide seines Schicksalswegs dem Todesverhängnis, und das nicht nur für sich selbst, sondern, wie es dem universalen Charakter der ganzen Szenerie entspricht, stellvertretend für alle. Zugleich wird deutlich, daß er jetzt anstelle des von ihm abgelehnten letzten Angebots dem selbstgewählten Tod, der ihm „zugefügt“ sein wird, entgegengeht. Und es ist gleichfalls abzusehen, daß ihn in diesem Tod nicht sanfte Engelshände auffangen werden, sondern daß er ihn durch grausame Henkershand erleiden wird. Mit dem ihm insinuierten Sprung hätte er, wie es in der Absicht des Versuchers lag, Gott herausgefordert und dadurch sein Verhältnis zu ihm zerstört. So aber wird es ein von Gott „hingenommener“ und in seiner Liebe ihm zugemuteter Tod sein, und damit eben jener Tod, von dem er die definitive Beantwortung seiner Existenz- und Sinnfrage erwartet.

Das muß dann, wie alles Vorige, aus der mit Jesus selbst gegebenen Perspektive erschlossen werden, weil nur so dem leitenden Gesichtspunkt Genüge geschieht. Und das besagt, daß nun auch die Begriffe „Helfer“ und „Befreier“ aus dem Selbstbegriff Jesu, der damit auch als Interpret gemeint ist, entfaltet und auf Jesu Lebensgeschichte hin ausgelegt werden müssen. Für den darauf abgestimmten Leseakt aber heißt das, daß er sich am paulinischen Modell ausrichten muß, weil es einerseits darum geht, der Schriftlichkeit der Texte Rechnung zu tragen, andrerseits aber nicht weniger darum, das im ständigen Rückbezug auf den zu versuchen, den diese Texte bezeugen und der allein letzte Auskunft darüber zu geben vermag, was sie konkret besagen.

Christomathie

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