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Vorwort
Der rapide Glaubensverlust, der zum hervorstechenden Kennzeichen der Gegenwart zu werden droht, hat zwei bisher kaum beachtete Gründe. Erstens die Selbstvergessenheit einer an ihrer Identität irre gewordenen Christenheit, die die religionsgeschichtliche Großtat ihres Stifters aus dem Auge verlor und Gefahr läuft, sich in der Gemengelage der religiösen Angebote zu verlieren. Und zweitens die Selbstvergessenheit des heutigen Menschen, dem die unaufhaltsam heraufkommende Klonierung drastisch vor Augen führt, wie sehr er sich abhanden kam und mit dem Wissen um seine Identität auch das um seine Aufgabe einbüßte.
Wer es unternimmt, ihm diese Aufgabe bewußt zu machen, übernimmt damit auch die Pflicht, sich der Selbstvergessenheit der Christen zu stellen, da beide Aufgaben unlösbar miteinander verbunden sind, so daß sich die Lösungsversuche gegenseitig stützen. Wer sich somit der anthropologischen Aufgabe unterzieht, geht damit auch die Verpflichtung ein, sich auf die christologische einzulassen. In dieser Hinsicht aber bieten die beiden Kirchen in ihrer theologischen Erscheinungsform ein bestürzendes Bild. Denn beide sind vom Rücksturz in „vorchristliche“, zumindest aber „vorpaulinische“ Denkweisen bedroht. Beide zusammen, weil sie sich in ihrer Reaktion auf die Aufklärung von Immanuel Kant einreden ließen, daß das Christentum nur in einer auf die „Grenzen der bloßen“ und das besagte für ihn, der „praktischen Vernunft“ zurückgenommenen Form überleben könne, da es, wie Wolfgang Trillhaas diese Meinung zuspitzte, definitiv in sein moralisches Stadium eingetreten sei und deshalb dem modernen Menschen nur noch „als Ethik“ vermittelt werden könne. Unbeachtet blieb dabei aber sowohl die Prognose Karl Rahners, daß die Zukunft des Christentums im Zeichen der Mystik stehe, als auch die Drohung Nietzsches, daß ein zur Moral gewordenes Christentum in einem Schauspiel von „hundert Akten“ an seinen Hervorbringungen scheitern und zugrundegehen werde.
Als wäre es mit dieser – von der kirchlichen Praxis nur zu begierig aufgenommenen – Irreführung noch nicht genug, griff die katholische Theologie, die immer schon das verursachte, worüber sie sich bei ihren Klagen über das kirchliche Lehramt erregte, auf das „vorjesuanische“ Modell des Zornes und der „Dunkelseite“ Gottes zurück, ganz so, als wolle sie der moralischen Kopflastigkeit, der das Christentum verfallen war, noch das Gewicht eines opaken, die Menschheit mit seinem Gericht bedrohenden Gottes hinzufügen. Nicht besser ist es um die protestantische Theologie bestellt. Unbeeindruckt von der Denunzierung der Rechtfertigungslehre als ausgesprochene „Kampflehre“ (Wrede), stürzte sie sich nahezu einmütig und mit wachsender Vehemenz in diesen „Nebenkrater“ (Schweitzer), obwohl sie in der Stunde der sich zusehends auflösenden „Schuldkultur“ (Dodds) damit beim Kirchenvolk nur Skepsis und Unverständnis auslöste. Doch in dieser Selbstvergessenheit der Theologie und des in ihr gespiegelten Christentums bekundet sich unübersehbar die Situation des heutigen Menschen, der wie kaum einmal in seiner Geschichte vergessen hat, wer er ist und wo es mit ihm hinaus will.
Dieser „Mann ohne Eigenschaften“ (Musil) hat Gott getötet (Nietzsche), um sich in den Besitz seiner Attribute zu bringen. Dieses „Mängelwesen“ (Gehlen) hat zur Kompensation seiner Defekte die moderne Hochtechnik geschaffen, um seinen Mängeln abzuhelfen, wenn nicht gar, wie durch die Errungenschaften der Evolutionstechnik, sich neu hervorzubringen, und bleibt sich dabei dennoch „das unbekannte Wesen“ (Carrel), das sich ein Stichwort borgen möchte: „allein bei wem?“ (Benn)
Das ist die Frage, der sich die folgende Abhandlung in der Absicht stellt, sich die darauf längst schon gegebene, in ihrer Triftigkeit und Bedeutungstiefe aber immer noch nicht begriffene Antwort zu vergegenwärtigen. Das kommt auch schon einem Hinweis auf die einzuschlagende Methode gleich. Sie ist prinzipiell anamnetischer Art, sofern sie davon ausgeht, daß die Antwort bereits gegeben ist, jedoch erneut in Erinnerung gerufen und aus ihrer Verschollenheit aufgerufen werden muß. Und sie ist gleichzeitig analytischer Art, da sie die Gründe klären muß, die zu dieser Vergessenheit führten. Vom Zusammenspiel dieser beiden ist schließlich ein repräsentativer Effekt zu erwarten. Was gesucht wird, soll weniger bewiesen als vielmehr aufgerufen werden, und dies in der Hoffnung, daß es in Form eines Selbsterweises selbst für seine Bedeutung und Aktualität einsteht.
In alledem hat das hier zur „Gotteskindschaft“ Gesagte den Charakter eines Vorgriffs, der sich in eine „Christomathie“ fortsetzen und, nicht zuletzt im Zug der skizzierten Methode, in einer Darstellung der „Geistesgegenwart“ vollenden muß. Während es im ersten Teil des als Trilogie angelegten Ganzen um den Inbegriff der menschlichen Selbstfindung geht, stellt sich der zweite Teil die Aufgabe, die Instanz aufzurufen, die ihm das dafür erforderliche Stichwort zuspricht. Im Unterschied zu deren dogmatischer Entfaltung als Christologie, geht es dabei um ihre Selbstaussage, die sie im Sinn einer urchristlichen Bezeichnung als „Christomathie“ ausweist. Demgegenüber stellt sich die im dritten Teil verhandelte „Geistesgegenwart“ die Aufgabe, im Rückgriff auf die Ankündigung eines dritten Reiches des Geistes durch Joachim von Fiore – und in Abgrenzung von der satanischen Pervertierung dieser Idee – die Gegenwart als die Zeit der sich ansatzweise abzeichnenden Erfüllung dieser Prophetie glaubhaft zu machen, und dies in betontem Disput mit der ins Unabsehbare eskalierenden Medienszene, die auf ihre Weise die joachitische Verheißung ebenso aufgreift wie pervertiert.
Nicht zufällig erinnert diese Trilogie an ein durch den Längsbalken der Christomathie und die beiden Querbalken der Gotteskindschaft und Geistesgegenwart gebildetes Kreuz. In dieser Erinnerung verbirgt sich eine Absicht. Wie Paulus den vom Abfall bedrohten Galatern „Christus am Kreuz“ mit geradezu apotropäischer Gebärde vor Augen hielt (Gal 3,1), ist auch die kreuzförmig angelegte Trilogie als Versuch gemeint, dem um sich greifenden Glaubensschwund Einhalt zu gebieten und den sich vom Christentum Abwendenden dieses als die große Liebeserklärung Gottes an die Welt glaubhaft zu machen. Sie werden sich dann fragen müssen, ob sie mit ihrer Abkehr nicht die größte Chance ihres Lebens aufgaben. Die aber, die wie der ältere Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn im Vaterhaus blieben, werden sich mit diesem fragen müssen, ob sie das Glück, diesen bedingungslos Liebenden zum Vater zu haben und seine Söhne zu sein, zu würdigen wußten, oder ob für sie nicht die Zeit gekommen ist, in sich zu gehen und sich dieser einzigartigen Vergünstigung bewußt zu werden. Auch ihnen möchte diese theologische vexilla crucis Anstöße zu einer neuen und tieferen Würdigung ihres religiösen „Besitzstandes“ geben.
In inhaltlicher Hinsicht baut die Trilogie auf den beiden Hauptwerken „Einweisung ins Christentum“ (1977) und „Glaubenserweckung“ (2000) sowie auf meinen Jesusbüchern „Der Helfer“ (1973), „Der Freund“ (1993) und „Das Antlitz“ (1999) auf, in methodischer Hinsicht auf meiner „Theologischen Sprachtheorie und Hermeneutik“ (1970), den „Religiösen Sprachbarrieren“ (1980) und einschlägigen Ausführungen in meiner „Entdeckung des Christentums“ (2000). Flankiert wird diese Zusammenfassung meiner theologischen Konzeption von meinem Gespräch mit Richard Heinzmann über „Die Theologie der Zukunft“ (2004), der Abhandlung „Die Neuentdeckung des Glaubens“ (2004) und der Programmschrift für das im Geist des von Kardinal Franz König geleiteten Sekretariats Pro non credentibus entstandene „Forum für Glaubende und Nichtglaubende“ (2004). Absicht dieser Schriften ist es, das Christentum als den allem menschlichen Suchen zuvorkommenden Selbsterweis Christi glaubhaft zu machen und es damit in seiner Einzigartigkeit herauszustellen. Kognitiver Bezugspunkt des Ganzen ist demgemäß nicht so sehr das zu reflektierende Subjekt als vielmehr der „inwendige Lehrer“, dem „die Gedanken gehören“ (Villers), und der im Zusammenspiel mit dem reflektierenden Ich zur Klärung der Probleme verhilft.
Gedacht ist das Gesamtkonzept als theoretische Rechtfertigung der Stiftung, die sich die Erschließung und Präsentation meiner Theologie zum Ziel gesetzt hat und dabei nicht nur auf das bereits in über einhundert Büchern und einer großen Zahl von kleineren Veröffentlichungen vorliegende Schrifttum angewiesen sein sollte. Ihr möchte die hiermit begonnene Trilogie die Zukunftsperspektive meines theologischen Konzepts erschließen und damit ihren Bemühungen entgegenkommen.
In tief empfundener Dankbarkeit seien hier die Initiatoren, Gestalter und Förderer der Stiftung genannt:
Heinrich und Marianne Köster, Martin Balle, Reinhold Baumstark, Alois Glück, Richard Heinzmann, Peter Jentzmik, Paul Kirchhof, Helmut Kohl, Veronika Krenn, Helmut Linnenbrink, Alfred Pfeiffer, Joachim Reger, Katharina Reiß, Klaus Schultz, Erwin Teufel, Theo Waigel und Gunther Wenz.
Indem ich mein Lebenswerk in ihre Hände lege, wünsche ich ihrem nicht hoch genug zu veranschlagenden Einsatz den Segen und Beistand dessen, dem meine Versuche gelten und den sie in den in sechs Jahrzehnten entwickelten Ansätzen umkreisen. Ihm zu dienen, ist die Ehre aller theologischen Bemühung. Deshalb kann sie sich nur das Anliegen Jesu zu eigen machen, den Namen des von ihm entdeckten, gelebten und erlittenen Gottes weltweit zur Geltung zu bringen und seinem Reich zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn die Neue Theologie ihrem Namen gerecht werden will, muß sie dieses Anliegen übernehmen und den ihr möglichen Beitrag zu deren Verwirklichung leisten.
Mein besonderer Dank gebührt dem Lektor Dr. Bernd Villhauer für die ebenso verständnisvolle wie hilfreiche Betreuung des Bandes, nicht weniger aber auch meinem Mitarbeiter Dr. Franz Fuchs für die sorgfältige Überprüfung und Gestaltung des Textes.
Eugen Biser