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ee) Konsequenzen für die gerichtliche Praxis und offene Fragen

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Obgleich der EuGH nicht, wie vom Generalanwalt Jääskinen im CDC-Urteil168 gefordert, den Handlungsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeitsbestimmung in komplexen Kartellfällen hat entfallen lassen, dürfte dem Forum am Kartell-Gründungsort nur geringe praktische Bedeutung zukommen.169 Hierfür wird es in den meisten Fällen schlicht an einer alles determinierenden „Ur-Kartellabrede“ fehlen. Das gilt vor allem im Falle eines über einen langen Zeitraum andauernden Verstoßes mit vielen und wechselnden, europa- oder gar weltweit verteilten Beteiligten. Auch in der Entscheidungspraxis der Kommission wird regelmäßig kein zentraler „monokausaler“ Gründungsort eines Kartells identifiziert.

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Zudem lassen sich abgestimmte Verhaltensweisen, denen schon ihrem Wesen nach nicht zwingend eine konkrete Einzelabsprache zugrunde liegt, auf diese Art nicht erfassen. Selbst wenn es in einem Einzelfall einen solchen Gründungsort geben sollte, dürfte es den Klägern in der Praxis schwerfallen, diesen hinreichend darzulegen und zu beweisen. Da ein bestimmter Gründungsort für die Begründetheit eines Kartellschadensersatzanspruchs keine notwendige Voraussetzung ist, handelt es sich dabei um keine doppelrelevante Tatsache, so dass ein schlüssiger Vortrag nicht ausreicht.

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Die dem Kläger im CDC-Urteil alternativ eröffnete Möglichkeit, sich mittels der Darlegung einer konkreten Einzelabsprache auf den deliktischen Gerichtsstand des Handlungsortes zu berufen, führt zu einer Vielzahl von potenziellen Gerichtsständen, wie sie der EuGH in anderen Fällen zu vermeiden bestrebt ist.170 Sie ist aber auch für den Kläger kaum hilfreich. Zum einen wird der Kläger dazu gezwungen, eine Reihe von Gerichtsverfahren parallel zu führen, da die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Teilgerichtsstand eingeschränkt ist. Zum anderen steht er vor erheblichen Darlegungs- und Beweisproblemen hinsichtlich der Absprache und deren alleiniger Ursächlichkeit für einen konkreten Schaden.171 Auch hinsichtlich der für die Darlegung einer Einzelabsprache notwendigen Details gilt, dass sich diese regelmäßig nicht der jeweiligen Kommissionsentscheidung entnehmen lassen, zumindest was die nichtvertrauliche Fassung betrifft. Ohnehin würde dem Kläger dadurch nicht der Nachweis der Ursächlichkeit einer bestimmten Einzelabsprache für einen konkreten Teilschaden erspart, weil er sich insoweit nicht auf die Bindungswirkung der Kommissionsentscheidung berufen kann.

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Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen Teilabsprachen in einem über einen längeren Zeitraum hinweg fortgesetzten Kartell regelmäßig nicht isoliert für sich stehen, sondern ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. Es wird im Regelfall kaum möglich sein, diese ineinandergreifenden Kausalketten künstlich so aufzuspalten, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen nur einer Teilabrede und dem Gesamtschaden hergestellt werden kann.172

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Die Klarstellung des EuGH in Sachen flyLAL, namentlich dass die „Durchführung“ einer wettbewerbswidrigen Abrede eine eigene unerlaubte Handlung (im zuständigkeitsrechtlichen Sinne) darstellen kann und in diesem Fall einen gesonderten Gerichtsstand begründet, ist zu begrüßen. Die vom EuGH zusätzlich geforderte Festlegung auf einen Gerichtsstand bei einer einheitlichen Strategie der Kartellbeteiligten, führt allerdings zu Rechtsunsicherheit. Mangels klarer Kriterien zur Bestimmung des „Schwerpunkthandlungsortes“ gerät diese Auslegung mit dem europäischen Harmonisierungsziel in Konflikt.

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Größere praktische Bedeutung kommt ohnehin dem Erfolgsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu. Wie dargelegt, hat der EuGH in jüngerer Zeit verstärkt auf das Marktortprinzip abgestellt, zumindest wenn der Schaden auch konkret am Marktort eintritt. Ob darin eine Abkehr vom Klägergerichtsstand am Firmensitz des Geschädigten zu sehen ist, ist noch offen, erscheint aber eher unwahrscheinlich.

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Der EuGH wird sich auch künftig mit Vorlagefragen zur internationalen Zuständigkeit in kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen auseinandersetzen müssen. Ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren zum forum delicti in einer Klage zum Lkw-Kartell ist bereits beim EuGH anhängig.173 Auslöser für die Vorlagefrage eines Madrider Gerichts war eine Follow-On-Klage eines geschädigten Lkw-Abnehmers. Der Kläger mit Sitz in der Stadt Córdoba richtete seine Klage gegen vier Unternehmen der Volvo-Gruppe. Bei drei der beklagten Unternehmen handelt es sich um Adressaten der Lkw-Kartell-Bußgeldentscheidung mit Sitz außerhalb Spaniens. Die vierte Beklagte, eine spanische Tochtergesellschaft der Volvo-Gruppe, ist nicht Adressatin der Bußgeldentscheidung und hat ihren Sitz in Madrid.174

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Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass spanische Gerichte unter Zugrundelegung der CDC- und Tibor Trans-Entscheidungen gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international zuständig sind. Der Erfolgsort liege in Spanien, da das Lkw-Kartell (auch) den spanischen Markt beeinträchtigt und der Kläger dort seinen Schaden erlitten habe. Das Gericht hat jedoch Zweifel an der Reichweite von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Regelt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ausschließlich die internationale Zuständigkeit oder handelt es sich um eine doppelte bzw. gemischte Vorschrift, die sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit festlegt, ohne dass auf nationale Prozessvorschriften zurückgegriffen werden muss?

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Sollte Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nur die internationale Zuständigkeit regeln, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach nationalem Prozessrecht. Nach spanischem Recht ist auf kartellrechtliche Schadensersatzklagen die besondere Zuständigkeitsregel für Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs in Art. 52 Abs. 1 Nr. 12 der spanischen Zivilprozessordnung (Ley de Enjuiciamiento Civil, LEC) entsprechend anwendbar. Danach ist das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die Wirkungen der unerlaubten Handlung eintreten. Das wäre in Córdoba, da der Kläger dort die fünf streitgegenständlichen Lkw gekauft bzw. geleast hatte. Da die Beklagten jedoch zu keinem Zeitpunkt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts in Madrid gerügt hatten, ging das vorlegende Gericht von einer stillschweigenden Zuständigkeitsbegründung (Prorogation) nach Art. 56 LEC aus.175

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Sieht man Art. 7 Nr. 2 EuGVVO hingegen als gemischte Vorschrift an, die sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit regelt, wäre das Gericht am Sitz des Geschädigten (Erfolgsort) zuständig, somit in Córdoba und nicht in Madrid. Das vorlegende Gericht verweist dabei auf die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung des Erfüllungsortes bei vertraglicher Haftung in Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO.176 Diese Vorschrift soll sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit regeln und „den Gerichtsstand unmittelbar und ohne Verweis auf die innerstaatlichen Regeln der Mitgliedstaaten“ bestimmen.177

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Das spanische Gericht hat den EuGH indes nicht gefragt, ob die Tochtergesellschaft, die nicht Adressatin der Bußgeldentscheidung ist und ihren Sitz in Madrid hat, als Ankerbeklagte im Sinne von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dienen kann. Auch auf diese Weise hätte das Gericht in Madrid seine Zuständigkeit für die Klage gegen alle Beklagten begründen können. Geht der EuGH nicht über die Vorlagefrage hinaus oder deutet sie entsprechend um, wird er die in der CDC-Entscheidung offengelassene Frage, ob der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs auf konzernrechtlich verbundene Nichtadressaten der Kommissionsentscheidung Anwendung findet, nicht beantworten.178

Kartellrechtliche Schadensersatzklagen

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