Читать книгу Kartellrechtliche Schadensersatzklagen - Fabian Stancke - Страница 77
(3) Konsequenzen für die gerichtliche Praxis und offene Fragen
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Vorab ist zu beachten, dass die Bedeutung von Gerichtsstandsklauseln bei Kartellschadensersatzklagen geringer sein dürfte, als es zunächst erscheint. Denn Gerichtsstandsklauseln sind nur gegenüber Vertragspartnern und ihren Rechtsnachfolgern wirksam, weshalb sich Kartellteilnehmer nur begrenzt auf Gerichtsstandsvereinbarungen berufen können. Schon bei der gesamtschuldnerischen Inanspruchnahme durch einen Nicht-Abnehmer helfen sie nicht. Auch im regelmäßig anzutreffenden Fall der Weitergabe eines kartellbedingten Schadens innerhalb einer Lieferkette kann sich ein beklagter Kartellteilnehmer gegenüber Folgeabnehmern nicht auf eine Gerichtsstandsklausel berufen, weil diese nicht als Rechtsnachfolger des unmittelbaren Abnehmers klagen, sondern gegenüber dem Kartellteilnehmer einen Direktanspruch aus eigenem Recht geltend machen.218 Ebenso wenig kann sich ein Kartellteilnehmer im Falle einer Regressklage eines anderen Kartellteilnehmers auf eine Gerichtsstandsklausel berufen.
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Für die Praxis kann die folgende Differenzierung für kartellrechtliche Schadensersatzklagen festgehalten werden: Vorbehaltlich einer abweichenden Ausgestaltung der Klausel sind vertragliche Gerichtsstandsvereinbarungen auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche anwendbar, die sich auf eine Verletzung von Art. 102 AEUV, nicht aber auf solche, die sich auf einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV stützen.
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Sollen auch Letztere von Gerichtsstandsklauseln umfasst sein, müssen die weiten Standard-Gerichtsstandsklauseln („alle Ansprüche aus und im Zusammenhang“) angepasst werden. Es empfiehlt sich, etwaige kartelldeliktische Ansprüche mit aufzunehmen (ggf. durch einen „including but not limited to“-Zusatz wie: „einschließlich aber nicht beschränkt auf kartelldeliktische Schadensersatzansprüche“). Ob der Verwender einer solchen Klausel damit bereits seine eigene Täuschungsabsicht offenlegt, erscheint zweifelhaft.219 Dies gilt umso mehr, als der konkret kartelldeliktisch Handelnde in den allermeisten Fällen jemand anderes sein wird als derjenige, der den Vertrag samt Gerichtsstandsklausel geschlossen hat. Eng damit verbunden ist die Frage, ob nicht – konsequenter- und überzeugenderweise – auch weitere deliktische Ansprüche (Produkthaftung, Umwelthaftung usw.) in die Klausel mit aufgenommen werden sollten.
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Ungeklärt ist die Frage, wie es sich verhält, wenn in den vertraglichen Bedingungen bzw. den AGB pauschalierte Schadensberechnungen für Kartellschäden vorgesehen sind. Oder wenn die Vertragsvereinbarung einer oder beiden Parteien Compliance-Schulungen zur Verhinderung von Kartelldelikten auferlegt. In einem solchen Fall ließe sich auch nach der Auslegung des EuGH kaum argumentieren, dass den Parteien die Gefahr eines Kartelldelikts nicht vorhersehbar gewesen sei. Denn dann hätten sie entsprechende Klauseln nicht vereinbart. Konsequenterweise müssten dann auch nach Auffassung des EuGH die angesprochenen weiten Klauseln kartelldeliktische Ansprüche umfassen.
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Dem nachträglichen Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen stehen ebenso wie der rügelosen Einlassung nach Art. 26 EuGVVO keine Wirksamkeitshindernisse entgegen.220