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FÜNFTES KAPITEL
ОглавлениеWas Joseph im Gefängnisse begegnete und wie er
zu hohen Ehren gelangte.
1. Joseph stellte nun sein ganzes Geschick Gott anheim und verschmähte sowohl seine Verteidigung als auch eine genaue Darstellung des Sachverhaltes, viel mehr trug er schweigend seine Ketten und vertraute Gott, der die wahre Ursache seines Unglückes kenne und mächtiger sei als die, welche ihn ins Gefängnis geworfen. Und bald erfuhr er auch Gottes Vorsehung an sich. Denn der Kerkermeister nahm ihm mit Rücksicht auf seinen Fleiß, seine Zuverlässigkeit und seine schöne Körpergestalt die Fesseln ab und machte ihm hierdurch wie auch durch die Gestattung besserer Kost sein Unglück leichter und erträglicher. Unter den Gefangenen nun, die, von gleichem Elend gebeugt, sich in den kurzen Erholungspausen nach schwerer Arbeit über die Gründe ihrer Verurteilung zu unterhalten pflegten, befand sich auch ein Mundschenk des Königs, der diesem sehr lieb gewesen, aber im Zorne von ihm ins Gefängnis geworfen worden war. Und da er mit Joseph dieselben Fesseln trug, wurde er vertrauter mit ihm und erzählte ihm (er hatte erkannt, dass dieser die übrigen Gefangenen an Scharfsinn übertraf) einen Traum mit der Bitte, ihm denselben zu deuten, wenn man ihm eine Bedeutung beilegen könne. Er beklagte dabei sehr, dass ihm außer dem vom Könige über ihn verhängten Elende auch noch die Träume solche Beunruhigung brächten.
2. Er erzählte ihm also, er habe im Traum drei Rebzweige gesehen, an denen große und ausgereifte Weintrauben hingen; diese habe er in einen Becher ausgepresst, den der König in der Hand hielt, dann habe er den Most durchgeseiht und ihn dem Könige zum Trinken gereicht, der ihn gnädig angenommen habe. Diesen Traum, sagte er, habe er gesehen, und er bat Joseph, ihm die Deutung desselben mitzuteilen, wenn er dazu die Einsicht besitze. Joseph aber hieß ihn gutes Mutes sein, denn in drei Tagen könne er seine Befreiung aus dem Kerker erwarten, und der König werde seine Dienste wieder begehren und ihn dazu wieder berufen. Die Frucht des Weinstockes nämlich sei durch Gottes Freigebigkeit den Menschen zu ihrem Nutzen gegeben worden, da sie ihm selbst geopfert werde und da sie Freundschaft und Vertrauen unter den Menschen vermittele, Feindschaft löse, Verwirrung und Trauer zerstreue und großes Vergnügen bereite. »Du sagst nun, du habest mit deinen Händen aus drei Weintrauben den Saft gepresst, und der König habe ihn angenommen. So wisse also, dass du einen guten Traum gehabt hast, der dir zeigt, dass du in so viel Tagen, als es Weintrauben waren, aus denen du Wein gepresst im Traume, aus deinem Elend wirst erlöst werden. Wenn du nun die Wahrheit dieser Deutung erprobt haben wirst, so erinnere dich meiner, der dir dieses Glück verkündet hat, und siehe nicht auf uns, die du hier im Kerker zurücklässt, verächtlich herab, wenn du die Freiheit wiedererlangt hast und das Glück findest, das ich dir vorhergesagt habe. Denn nicht durch meine Schuld bin ich in Banden geworfen worden, sondern wegen meiner Tugend und Sittsamkeit erleide ich die Strafe von Verbrechern, da ich dem, der mich hierher gebracht hat, nicht aus schnöder Lust Schande antun wollte.« Über eine solche Traumdeutung freute sich natürlich der Mundschenk und harrte nun des Erfolges.
3. Noch ein anderer Diener des Königs, der oberste der Bäcker nämlich, war zugleich mit dem Mundschenk eingekerkert worden. Da nun auch er einen Traum gehabt und die günstige Auslegung vernommen hatte, die Joseph dem Traume des Mundschenken gab, fragte er ihn hoffnungsvoll, was sein eigener Traum bedeute, den er in der verflossenen Nacht gehabt. Dieser aber war folgender: »Es schien mir«, sagte er, »ich trüge auf meinem Kopfe drei Körbe, davon zwei mit Broten gefüllt; der dritte aber mit Zukost und anderen Esswaren, wie sie dem Könige bereitet werden. Da kamen Vögel angeflogen und verschlangen alles, und obwohl ich sie zu vertreiben suchte, konnte ich sie nicht abschrecken.« Und der Bäcker erwartete eine ähnlich günstige Auslegung, wie sie dem Mundschenk zuteil geworden. Joseph aber dachte über den Traum eifrig nach und verkündete ihm dann, er möchte ihm gern eine freudigere Deutung geben, als in dem Traume versteckt liege. Er habe nämlich nur noch zwei Tage zu leben (denn das bedeuteten die Körbe), am dritten aber werde er gekreuzigt und eine Speise der Vögel werden, und er werde nichts dagegen vermögen. Und beiden geschah, wie Joseph vorhergesagt hatte. Denn als an dem erwähnten Tage der König seinen Geburtstag feierte, ließ er den obersten der Bäcker kreuzigen, den Mundschenk aber entließ er aus dem Kerker und setzte ihn in sein früheres Amt ein.
4. Als nun Joseph zwei Jahre im Gefängnis zugebracht und von dem Mundschenk trotz der günstigen Prophezeiung keine Hilfe erlangt hatte, erlöste Gott selbst ihn aus seinen Banden auf folgende Weise. Pharao hatte in einer Nacht zwei Träume und zu jedem eine besondere Deutung erhalten; die Deutung hatte er vergessen, während er sich der Träume noch entsann. Da er nun über die Träume bekümmert war (sie schienen ihm nämlich Trauriges zu verkünden), berief er frühmorgens die weisesten der Ägypter und verlangte von ihnen die Auslegung der Träume. Und als diese in ihren Meinungen schwankten, wurde der König umso mehr beunruhigt. Der Mundschenk aber erinnerte sich, da er den König wegen der Träume in Unruhe sah, des Joseph und seiner Geschicklichkeit im Traumdeuten. Er ging also zum König und erzählte ihm von Joseph, von dem Traum, den er ihm gedeutet, dass der Ausgang genau der Deutung entsprochen habe und dass an demselben Tage der oberste der Bäcker gekreuzigt worden sei, ebenfalls genau nach Josephs Deutung. Der Letztere sei von dem Küchenmeister Petephres gefangen gesetzt worden, dessen Knecht er gewesen sei. Er sei ein Hebräer und von angesehenem Geschlecht. Diesen möge der König zu sich bescheiden, wenn anders er nicht wegen seiner gegenwärtigen üblen Lage darauf verzichten wolle, und er werde dann von ihm erfahren, was die Träume bedeuteten. Da befahl der König, dass Joseph ihm vorgeführt werde; und diejenigen, denen dies oblag, kleideten und schmückten ihn nach des Königs Befehl und führten ihn demselben vor.
5. Der König aber nahm ihn bei der Hand und sprach: »O Jüngling, mein Diener hat mir Beweise von deiner Tugend und Einsicht gegeben; also gewähre auch mir die Gefälligkeit, die du ihm erwiesen hast, und verkünde mir die Deutung der Träume, die ich gehabt. Doch will ich, dass du nichts verschweigst, auch darfst du mir nicht mit schmeichlerischer, auf Gunst und Wohlgefallen gerichteter Rede dienen, wenn auch das Antlitz der Wahrheit etwas erschrecklicher sein sollte. Also es träumte mir, ich wandelte längs eines Flusses dahin und sähe sieben wohlgenährte und durch Größe ausgezeichnete Kühe aus dem Flusse kommen und auf einen Sumpf zugehen, sowie sieben andere sehr magere und hässliche Kühe aus dem Sumpfe steigen und jenen entgegengehen. Die mageren Kühe aber verschlangen die sieben fetten und großen Kühe, ohne dass sie dadurch zunahmen; vielmehr blieben sie elend und ausgehungert. Nach diesem Traume wachte ich beunruhigt auf und überlegte, was das Bild wohl bedeuten könne. Darüber schlief ich wieder ein und hatte nun einen zweiten noch wunderbareren Traum, der mich noch mehr erschreckte und verwirrte. Ich meinte nämlich sieben Ähren zu sehen, die aus einer Wurzel sprossten und voll schwerer und reifer Körner waren, daneben aber auch sieben andere, armselige, trockene und schmächtige Ähren, welche sich zu den schönen hinneigten, um sie aufzuzehren, worüber ich mich sehr erschreckte.«
6. Darauf antwortete Joseph und sprach: »Dein Traum, o König, ist zwar scheinbar ein doppelter, bezeichnet jedoch in Wirklichkeit einen und denselben Vorgang. Denn was die Kühe betrifft (sie sind, nebenbei bemerkt, zum Pflügen bestimmt), die von den mageren verschlungen, und die Ähren, die von den schlechteren verzehrt werden, so verkünden sie für Ägypten ebenso viele Jahre des Hungers und der Unfruchtbarkeit, als Jahre des Überflusses vorangegangen sind, und dass der Überfluss der letzteren von der Unfruchtbarkeit der folgenden verzehrt werden wird. Und es wird die Not so groß werden, dass es schwer sein wird, ihr abzuhelfen, was ich daraus schließe, dass die mageren Kühe, nachdem sie die fetten verschlungen, doch nicht satt werden konnten. Gott sagt aber sicherlich den Menschen die Zukunft voraus, nicht um sie zu erschrecken oder zu betrüben, sondern damit sie in kluger Vorsicht sich Erleichterung verschaffen können, wenn die vorher verkündeten Ereignisse eintreten. Wenn du daher den Ertrag der vorhergehenden Jahre aufspeicherst und weise verteilst, so werden die Ägypter die nachfolgende Hungersnot nicht merken.«
7. Der König aber bewunderte Josephs Weisheit und Klugheit, und er fragte ihn, wie denn zur Zeit des Überflusses für die Zukunft gesorgt werden könne, um die Unfruchtbarkeit erträglicher zu machen. Darauf antwortete Joseph mit dem Rat, er solle mit der Ernte möglichst sparsam umgehen und den Ägyptern nicht gestatten, den Überfluss zu verschwenden, sondern ihnen befehlen, denselben für die Zeit der Not aufzubewahren. Auch ermahnte er ihn, er möge das Getreide von den Ackersleuten in Empfang nehmen, es in Scheunen bergen und jedem nur so viel verabfolgen lassen, als er zum Lebensunterhalt brauche. Pharao bewunderte den Joseph sowohl seiner Traumauslegung als des guten Rates wegen, den er gegeben, und betraute ihn selbst mit der Anordnung; er solle alles so machen, wie er es für das Volk der Ägypter und den König für ersprießlich halte, denn als der Urheber des guten Rates sei er auch der geeignetste Mann, ihn auszuführen. Joseph erhielt also vom Könige die Befugnis, dessen Siegel zu gebrauchen und Purpur zu tragen. Im Wagen fuhr er durch ganz Ägypten, sammelte von den Landleuten das Getreide und teilte jedem nur so viel davon zu, als er zur Saat und Nahrung gebrauchte. Doch verriet er niemand den Grund, warum er so verfuhr.