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SECHSTES KAPITEL

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Wie Joseph in Ägypten berühmt wurde und die Brüder

in seine Gewalt bekam.

1. Joseph war damals dreißig Jahre alt und wurde vom König mit allen erdenklichen Ehren überhäuft. Wegen seiner staunenswerten Weisheit gab er ihm den Beinamen Psothomphanech, das heißt »Entdecker verborgener Dinge.« Auch ging Joseph eine sehr ehrenvolle eheliche Verbindung ein. Denn unter Vermittlung des Königs heiratete er die Aseneth, die jungfräuliche Tochter des Petephras, eines Priesters in Heliopolis. Von dieser erhielt er noch vor der Hungersnot zwei Söhne, deren ältester Manasses hieß. Dieser Name bedeutet »vergessen«, weil er sein früheres widriges Schicksal vergaß, als er in glückliche Verhältnisse kam. Der jüngere Sohn hieß Ephraïm, das heißt »wieder eingesetzt«, weil er in die Freiheit seiner Vorfahren wieder eingesetzt worden war. Als nun Ägypten die sieben glücklichen Jahre, wie sie Joseph in der Traumdeutung vorherverkündet, hinter sich hatte, brach im achten Jahre die Hungersnot herein. Und da man sich für dieselbe schlecht vorgesehen hatte, strömte alles in großer Not zum königlichen Palast. Der König ließ den Joseph kommen, der das Getreide anwies und sich in Wahrheit als Erretter des Volkes zeigte. Und nicht allein den Einwohnern dieser Gegend öffnete er sein Haus, sondern er war auch bereit, den Auswärtigen Getreide zu verkaufen. Denn er hielt es für billig, dass alle ärmeren Menschen von denen, die im Überfluss lebten, unterstützt würden, da sie ja doch alle miteinander verwandt seien.

2. Weil nun auch Chananaea sehr unter der Hungersnot litt (die Plage hatte nämlich das ganze Land ringsum ergriffen), schickte Jakob, der vernommen hatte, dass auch Auswärtige den dortigen Markt besuchen dürften, alle seine Söhne nach Ägypten, um Getreide einzukaufen. Nur den Benjamin, Josephs leiblichen Bruder, den Sohn der Rachel, behielt er bei sich. Als diese nun nach Ägypten gekommen waren, baten sie den Joseph, auch ihnen den Ankauf von Getreide zu gestatten. Denn nichts geschah ohne Josephs Willen, und es nutzte nichts, dem König Verehrung zu erweisen, wenn man sie nicht vorher dem Joseph erwiesen hatte. Dieser erkannte in ihnen seine Brüder, die aber ihrerseits an ihn nicht im entferntesten dachten; denn als er von ihnen getrennt wurde, war er noch jung, und jetzt war er schon zu einem Alter gelangt, in dem sich seine Gesichtszüge so verändert hatten, dass sie ihn nicht zu erkennen vermochten, zumal sie nicht ahnen konnten, dass er zu so hoher Würde erhoben worden sei. Und Joseph dachte sie auf die Probe zu stellen und ihre Gesinnung zu erforschen. Denn er schlug ihnen das Getreide ab und sagte, sie seien nur gekommen, um zu spionieren; aus verschiedenen Gegenden seien sie zusammengetroffen und gäben nun vor, Verwandte zu sein. Es sei nicht denkbar, dass ein Privatmann so viele und so wohlgestaltete Söhne erziehen könne, da Königen kaum ein solches Glück zuteil werde. So sprach er aber nur, um etwas Sicheres über seinen Vater zu erfahren, wie es ihm gehe und was er erlebt habe, seit er (Joseph) von ihm weggegangen war; auch hätte er gern gehört, wie es mit Benjamin stehe, denn er fürchtete, sie hätten auch diesen Bruder, ebenso wie ihn selbst, aus dem Wege geräumt.

3. Die Brüder wurden hierdurch beunruhigt und erschreckt, denn sie sahen sich von großer Gefahr bedroht und dachten nicht im Geringsten an ihren Bruder. Sowie sie sich aber etwas gefasst hatten, ergriff Rubel als der älteste das Wort und entgegnete also: »Wir sind weder hierher gekommen, um jemand unrecht zu tun, noch um dem Könige Schaden zuzufügen, sondern nur um Hilfe für unser eigenes Leid zu erlangen, und wir hoffen bei eurer Menschenfreundlichkeit Zuflucht zu finden in der Not, die über unser Vaterland hereingebrochen ist. Denn wir haben vernommen, dass ihr nicht bloß euren eigenen Leuten, sondern auch Auswärtigen Getreide verkauft, und dass ihr allen helfen wollt, die der Hilfe bedürfen. Dass wir aber Brüder sind und Blutsverwandte, geht schon daraus hervor, dass wir an Gestalt einander in hohem Grade ähnlich sind. Unser Vater ist Jakob, ein Hebräer, dem wir zu zwölf Söhnen von vier Frauen geboren wurden. Solange wir nun alle noch am Leben waren, waren wir glücklich; seitdem aber unser Bruder Joseph umgekommen ist, hat sich unsere Lage mehr und mehr verschlimmert. Denn der Vater trauert beständig um ihn, und auch wir beklagen das Unglück seines Todes und das Leid des alten Vaters gar sehr. Und nun kommen wir hierher, um Lebensmittel zu kaufen, und haben unseren jüngsten Bruder Benjamin zur Pflege des Vaters und zur Verwaltung des Hauswesens daheim gelassen. Um die Wahrheit unserer Worte zu erproben, kannst du Boten in unsere Heimat schicken und dich erkundigen lassen.«

4. Mit diesen Worten versuchte Rubel dem Joseph eine günstigere Meinung von ihnen beizubringen. Joseph aber ließ, da er gehört, dass Jakob noch am Leben und Benjamin nicht umgekommen sei, seine Brüder in Gewahrsam bringen, als wolle er sie bei Gelegenheit einem Verhör unterziehen. Am dritten Tage jedoch ließ er sie vor sich führen und sprach zu ihnen. »Da ihr behauptet, ihr wäret nicht gekommen, um dem König zu schaden, und ihr wäret Brüder und stammtet von dem Vater ab, den ihr genannt, so könnt ihr mir die Wahrheit dieser Behauptung dadurch beweisen, dass ihr einen von euch bei mir zurücklasst, dem kein Leid widerfahren soll; ihr anderen aber bringt das Getreide eurem Vater und kehrt dann hierher zurück mit dem Bruder, den ihr eurer Angabe gemäß zu Hause gelassen habt. Daran werde ich erkennen, ob ihr mich nicht belogen habt.« Darüber gerieten sie in ein noch schlimmeres Leid; sie vergossen Tränen und beklagten heftig Josephs Schicksal, als ob ihnen wegen des an ihm begangenen Unrechtes diese Drangsal von Gott als Strafe geschickt worden sei. Rubel aber hielt ihnen eindringlich vor, dass ihre Reue dem Joseph doch nichts mehr nützen könne, und er beschwor sie, alle Leiden starkmütig zu ertragen, da sie von Gott als Strafe für das an ihrem Bruder verübte Unrecht ihnen geschickt seien. Also sprachen sie zueinander in dem Glauben, Joseph verstehe ihre Sprache nicht. Auf Rubels Vorstellungen hin aber ergriff sie Trauer und Reue, weil sie eine Tat verübt, für die Gott sie gerechterweise büßen lasse. Da nun Joseph sie in solcher Not sah, weinte er sehr; weil er aber nicht wollte, dass sie dies sähen, entfernte er sich eine kleine Weile von ihnen. Dann kam er zurück, hielt den Simeon als Bürgen für die Wiederkehr seiner Brüder fest und hieß die anderen nach Hause ziehen, sobald sie Getreide auf dem Markt eingekauft hätten. Einem Knechte aber befahl er, er solle das Geld, das sie zum Ankauf des Getreides mitgebracht hatten, heimlich wieder in ihre Säcke legen, und dieser vollzog den Befehl.

5. Als Jakobs Söhne nun nach Chananaea gelangten, erzählten sie dem Vater, was sich in Ägypten mit ihnen zugetragen habe. Sie seien für Spione gehalten worden und ihrer Angabe, sie seien Brüder und hätten den elften beim Vater zurückgelassen, sei kein Glaube beigemessen worden. Den Simeon aber hätten sie dem Landpfleger als Bürgen stellen müssen, bis Benjamin selbst dorthin kommen und die Wahrheit ihrer Aussagen beweisen würde. Sie baten also ihren Vater, er möge ohne Angst den Bruder ihnen mitgeben. Jakob aber war mit ihrem Beginnen unzufrieden und ärgerlich darüber, dass Simeon in Ägypten festgehalten worden war; für Torheit erklärte er es, den Benjamin auch noch dahin bringen zu wollen. Und selbst als Rubel ihm für diesen seine beiden Söhne als Pfand bot, die er töten könne, wenn dem Benjamin auf der Reise etwas zustoße, ließ er sich nicht dazu bewegen. Bei dieser üblen Lage wurden sie ängstlich und unruhig; noch mehr aber verwirrte sie der Umstand, dass sie das Geld in ihren Säcken versteckt fanden. Als nun später der mitgebrachte Weizen verbraucht war und die Hungersnot immer drückender wurde, gab Jakob nach und entschloss sich, den Benjamin mit seinen Brüdern zu schicken, weil sie nicht nach Ägypten zurückkehren konnten, ohne ihn mitzubringen. Denn da die Hungersnot von Tag zu Tag heftiger wütete, und die Söhne ihn inständig baten, blieb ihm nichts anderes zu tun übrig. Namentlich sprach Judas, der von Natur heftig war, eindringlich mit dem Vater: Er brauche sich nicht um ihren Bruder zu quälen und zu ängstigen, denn ohne den Willen Gottes könne ihm nichts zustoßen; übrigens könne das, was ihm bestimmt sei, ihn auch zu Hause treffen. Er möge sie doch nicht dem offenbaren Untergang überantworten und ihnen nicht aus törichter Angst um seinen Sohn die notwendigen Lebensmittel vorenthalten, die ihnen Pharao gewähren wolle. Auch müsse er das Wohlergehen Simeons bedenken und dürfe nicht zulassen, dass dieser vielleicht umkommen werde dadurch, dass er Benjamins Reise verweigere. Er möge also seinen Sohn Gott befehlen, denn er selbst werde ihn entweder wohlbehalten wieder nach Hause bringen oder zugleich mit ihm zugrunde gehen. Hierauf gab Jakob endlich nach und überließ ihnen den Benjamin. Auch gab er ihnen den doppelten Preis für Getreide mit sowie für Joseph Geschenke aus den Produkten Chananaeas: Balsam, Myrrhenharz, Terebinthen und Honig. Darauf vergossen sowohl der Vater als die scheidenden Söhne bittere Tränen: denn jener war in Sorge, ob er seine Söhne noch einmal wohlbehalten wieder sehen würde; die Söhne aber fürchteten, sie möchten den Vater nicht mehr wieder finden, da er vielleicht der Trauer um ihre Abwesenheit erliegen könnte. In dieser Bekümmernis brachten sie einen ganzen Tag zu. Dann begaben sich die Söhne auf den Weg nach Ägypten und suchten ihren Schmerz mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu lindern; der Greis aber blieb tief gebeugt zu Hause.

6. In Ägypten angekommen, wurden sie gleich zu Joseph geführt. Sie hatten aber nicht geringe Furcht, es möchten ihnen Vorwürfe wegen des Getreidepreises gemacht werden, gleich als hätten sie denselben betrügerischerweise wieder mitgenommen. Daher entschuldigten sie sich bei Josephs Hausverwalter mit den Worten, sie hätten das Geld zu Hause in ihren Säcken gefunden und es jetzt wieder mit zurückgebracht. Als dieser aber entgegnete, er verstehe nicht, wovon sie redeten, verschwand ihre Angst. Simeon ward nun aus dem Gefängnis entlassen und gesellte sich seinen Brüdern bei. Unterdessen kam auch Joseph vom Dienste beim König zurück, und sie überreichten ihm die Geschenke. Als er sich nun erkundigte, wie sich ihr Vater befinde, sagten sie, sie hätten ihn wohlbehalten angetroffen. Dann fragte er, da er den Benjamin erkannt hatte, ob das ihr jüngster Bruder sei. Und da sie ihm diese Frage bejahten, sprach er: Gott lenkt alles, und er fing vor Bewegung an zu weinen und entfernte sich, damit seine Brüder dies nicht merkten. Alsdann lud er sie zu Tische, und sie setzten sich in derselben Reihenfolge wie zu Hause. Joseph behandelte sie alle freundlich, den Benjamin aber ehrte er mehr als die anderen Tischgenossen und ließ ihm von den Speisen doppelt so viel geben als den Brüdern.

7. Als sie sich nun nach der Mahlzeit zum Schlafe niederlegten, befahl er dem Verwalter, er solle ihnen das Getreide zumessen und den Preis dafür wieder heimlich in die Säcke legen, in Benjamins Gepäck aber solle er seinen silbernen Becher verstecken, aus dem er zu trinken pflegte. Auf diese Weise wollte er seine Brüder erproben, ob sie ihrem Bruder beistehen würden, wenn er, wegen Diebstahls angehalten, in Gefahr schwebe, oder ob sie ihn im Stiche lassen und, als wenn die Übeltat sie selbst nichts anginge, zu ihrem Vater zurückkehren würden. Der Verwalter vollzog den Befehl, und ohne Ahnung von alledem zogen die Söhne Jakobs bei Tagesanbruch mit Simeon ab, doppelt erfreut, einmal, weil sie den Simeon wieder bei sich hatten, dann aber auch, weil sie den Benjamin wieder mit nach Hause brachten, getreu dem ihrem Vater gegebenen Versprechen. Da umringten sie auf einmal Reiter, die den Diener bei sich führten, welcher den Becher in Benjamins Gepäck getan hatte. Erschreckt ob des plötzlichen Angriffes, fragten sie nach der Ursache, warum sie so überfallen würden, da sie noch kurz zuvor von Joseph ehrenvoll seien bewirtet worden. Jene entgegneten, sie seien nichtswürdige Menschen, da sie ohne Erkenntlichkeit für die gastliche, freigebige und freundliche Aufnahme, die Joseph ihnen habe angedeihen lassen, sich nicht gescheut hätten, Unrecht zu begehen und den Becher mitzunehmen, aus dem er ihnen wohlwollend zugetrunken. Für unrechtmäßigen Gewinn hätten sie Josephs Freundschaft verscherzt und sich selbst in die Gefahr begeben, ertappt zu werden. Doch würden sie dafür büßen müssen; denn vor Gott könne es nicht verborgen bleiben, dass sie mit dem geraubten Gut entflohen seien, wenn es ihnen auch gelungen sei, den Knecht zu betrügen. Und nun fragten sie auch noch, weshalb die Reiter da seien, da sie doch wohl wüssten, dass sie bald ihre Strafe erhalten würden. Mit diesen und noch mehreren Worten schalt sie der Diener aus. Sie aber hielten, da ihnen ein Betrug fern gelegen hatte, seine Worte für Scherz und verwunderten sich darüber, dass er so leichtfertig ihnen eine solche Handlung nachzusagen wage, da sie doch den Preis für das Getreide, den sie in ihren Säcken gefunden, nicht behalten, sondern wieder mitgebracht hätten, obgleich niemand darum gewusst habe. Sie seien also weit entfernt davon gewesen, etwas Böses zu tun. Doch wollten sie, anstatt einfach zu leugnen, sich lieber einer Durchsuchung unterziehen, und sie wollten gern jede Strafe erleiden, wenn einer von ihnen des Diebstahls überführt würde. Denn da sie sich keines Verbrechens bewusst waren, hatten sie Mut und glaubten ihrer Sache ganz sicher zu sein. Die Reiter nahmen die vorgeschlagene Untersuchung an, doch sagten sie, derjenige müsse allein die Strafe erleiden, der des Diebstahls überführt würde. Darauf schritten sie zur Untersuchung, und nachdem sie das Gepäck der anderen in Ordnung gefunden, kamen sie endlich zu dem des Benjamin, wohl wissend, dass in seinem Sacke der Becher versteckt sei. Doch wollten sie sich den Anschein geben, als ob sie mit aller Gewissenhaftigkeit zu Werke gegangen seien. Die anderen aber waren, da sie selbst von ihrer Sorge befreit waren, nur wegen Benjamins noch etwas bekümmert. Voller Hoffnung indes, man werde auch ihm nichts nachweisen können, warfen sie ihren Verfolgern schon freimütig vor, diese seien schuld daran, dass sie nicht bereits einen guten Teil ihrer Reise hinter sich hätten. Als aber bei der Durchsuchung des Gepäckes Benjamins der Becher sich fand, fingen sie an zu jammern und zu klagen, zerrissen ihre Kleider und beweinten nicht nur ihren Bruder, weil er bald die Strafe für den Diebstahl zu erleiden hätte, sondern auch ihr eigenes Schicksal, weil sie das dem Vater bezüglich Benjamins gegebene Versprechen nun nicht halten könnten. Vermehrt wurde ihr Leid noch dadurch, dass, als sie schon allem Unheil entronnen zu sein wähnten, widriges Geschick sie noch in dieses Unglück gestürzt habe. Und sie bekannten sich als Urheber nicht nur des Unglückes ihres Bruders, sondern auch der Trauer ihres Vaters, den sie wider seinen Willen veranlasst hatten, den Knaben mit ihnen zu schicken.

8. Die Reiter ergriffen darauf den Benjamin und führten ihn zu Joseph zurück; die anderen Brüder aber folgten ihnen. Da nun Joseph den Benjamin gefangen genommen und die Brüder in Trauer um ihn versunken sah, sprach er zu ihnen: »Was denkt ihr, ihr Nichtswürdigen, von meiner Menschenfreundlichkeit und voll Gottes Vorsehung, da ihr solches gegen euren Wohltäter und Gastfreund verüben konntet?« Sie aber erboten sich, die Strafe für Benjamin zu erleiden, riefen sich auch ins Gedächtnis zurück, wie frevelhaft sie gegen Joseph gehandelt, und priesen ihn glücklich, dass er (wenn er gestorben sei) den Mühsalen des Lebens entrückt sei. Sei er aber noch am Leben, so erlitten sie jetzt die Strafe, die Gott ihnen für ihre Freveltat auferlegt; und sie nannten sich des Vaters Unheil und Verderben, weil sie zu seinem Leid um Joseph noch die Trauer um Benjamin hinzugefügt hätten. Besonders heftige Vorwürfe machte ihnen Rubel. Joseph aber erklärte, er wolle die anderen ziehen lassen, da sie ja nichts verbrochen hätten, und mit der Bestrafung des Knaben allein zufrieden sein. Denn es sei nicht weise gehandelt, diesen den Unschuldigen zu Gefallen freizulassen, noch sie zugleich mit dem offenkundigen Dieb zu bestrafen. Alsdann versprach er ihnen beim Abzug sicheres Geleit. Sie waren hierüber bestürzt und vor Schmerz sprachlos. Judas aber, der den Vater beschwätzt hatte, den Knaben mit ihnen ziehen zu lassen, und der überhaupt entschiedenen und tatkräftigen Charakters war, entschloss sich, für das Wohlergehen des Bruders der Gefahr zu trotzen, und sprach: »Unrecht haben wir gegen dich, o Landpfleger, begangen und Strafe verdient, der wir uns alle unterziehen wollen, obgleich nur der Jüngste die Schuld trägt. Eigentlich müssten wir seinetwegen an unserer Rettung verzweifeln, aber doch lässt uns deine Güte noch einige Hoffnung hegen und eröffnet uns Aussicht auf Befreiung aus der Gefahr. Sieh daher nicht uns an noch die Tat, die wir verbrochen, sondern lass walten deine Herzensgüte und Tugend. Den Zorn aber, von dem kleinliche Menschen sich in allen Lebenslagen so leicht hinreißen lassen, weise ab von dir, lasse dich nicht von ihm überwinden und überantworte nicht die dem Verderben, die um ihr Heil nicht selbst Sorge tragen können, dasselbe von dir vielmehr flehentlich erbitten. Denn nicht zum ersten Mal zeigst du dich freigebig gegen uns, sondern du hast uns, als wir zu dir kamen, um Getreide zu kaufen, dazu Gelegenheit gegeben und uns so viel davon überlassen, als nötig war, um unsere Familie vor dem Hungertode zu bewahren. Es ist aber kein Unterschied, ob du dich der Darbenden annimmst und sie vor dem Untergang bewahrst oder ob du die von Strafe freisprichst, von denen die Menschen glauben, dass sie gefehlt haben, und die sie um der Wohltätigkeit willen beneiden, welche du ihnen erzeigst. Es ist ganz dieselbe Gnade, wenngleich sie in verschiedener Weise erzeigt wird. Erhalte also die, welche du bis jetzt gespeist hast, und rette uns das Leben, wie du uns vor dem Hungertode bewahrt hast. Es ist ebenso groß und bewunderungswürdig, uns das Leben zu schenken, als es durch Freigebigkeit vor dem Untergange zu bewahren. Ich halte dafür, dass Gott dir nur den Weg zur Vermehrung deines Ruhmes hat zeigen wollen, als er uns in dieses Unglück stürzen ließ, damit du nämlich ebenso viel Ruhm erlangest durch Vergebung des Unrechtes, das wir dir zugefügt, wie du schon erworben hast durch menschenfreundliche Unterstützung derer, die aus anderen Gründen deiner Hilfe bedurften. Denn es ist etwas Großes, denen zu helfen, die in Not sind; doch noch viel größer und herrlicher ist es, die zu begnadigen, die sich durch Frevel Strafe zugezogen haben. Und wenn es schon zu großem Lobe gereicht, kleinere Vergehen zu verzeihen, so reicht es doch fast an Gott selbst heran, den Zorn zu bezähmen und denjenigen zu verzeihen, die uns beleidigt und so das Leben verwirkt haben. Hätten wir nicht einen Vater, der sich um Josephs Tod abhärmt und der sich so schwer um den Verlust seiner Kinder grämt, so hätte ich nicht so viele Worte um unser Leben verloren, wenn ich es nicht in Ansehung deiner Güte getan hätte, der du es für erhaben hältst, denen das Leben zu schenken, die nach ihrem Tode niemand beweinen würde; vielmehr hätten wir mit Gleichmut die Strafe erlitten, die du über uns verhängen würdest. Jetzt aber, da wir nicht mit uns selbst Mitleid haben, obzwar wir noch jung sind und noch wenig von des Lebens Genüssen gekostet haben, sondern vielmehr mit unseres Vaters Greisenalter, bitten wir dich inständig und flehentlich, du wollest uns das Leben schenken, das wir durch unsere Übeltat gegen dich verwirkt haben. Denn unser Vater ist nicht schlecht und hat auch uns nicht so erzogen, sondern er ist ein rechtschaffener und ehrbarer Mann, der ein solches Geschick nicht verdient hat und jetzt wegen unserer langen Abwesenheit von Kummer und Sorgen gequält wird. Wenn er aber von unserem Tode und dessen Ursache Kunde erhielte, so würde er umso eher wünschen, aus dem Leben scheiden zu können; er würde sich verzehren in Trauer, und unsere Schmach würde seinen Tod beschleunigen und überdies ihn in Trostlosigkeit sterben lassen, da er doch jetzt schon, noch ehe er Nachricht über uns erhalten, fast von Sinnen ist. Bedenke dies doch, und wenn auch unsere Tat deinen Zorn erregt hat, so lass dem Vater zulieb Gnade walten und dein Mitleid mit ihm größer sein als unsere Ruchlosigkeit. Habe Rücksicht auf sein Greisenalter; er würde, wenn wir umkämen, in Verlassenheit leben und sterben. Denn indem du so handelst, ehrst du auch deinen eigenen Vater und dich selbst, und mit Freuden wirst du seinen Namen tragen. Dazu verleihe dir seine Gnade Gott, der Vater aller; denn auch ihm wirst du mit solcher liebevollen Gesinnung Ehre erweisen, wenn du nämlich Mitleid hast mit unserem Vater und bedenkest, was er durch den Verlust seiner Kinder leiden würde. Bei dir steht es daher, uns das Leben, das Gott uns gegeben hat, und das du uns jetzt nehmen kannst, wiederum zu schenken und so an Güte sein Ebenbild zu werden, so viel du das vermagst. Schön ist es, eine so große Macht zu anderer Nutzen und nicht zu ihrem Schaden zu gebrauchen und, wenn man andere verderben kann und das Recht dazu hat, dieses nicht auszuüben, gleich als wäre es nicht vorhanden, sondern seine Gewalt nur zum Heile anderer zu verwenden. Und je mehr Menschen man beglückt, desto größeren Ruhm erwirbt man sich selbst. Du kannst uns jetzt alle retten, wenn du unserem Bruder verzeihst, was er gegen dich gefrevelt. Denn auch uns wird es nicht mehr möglich sein zu leben, wenn er die Todesstrafe erleidet, da wir ohne ihn nicht zum Vater zurückkehren dürfen. Darum verhänge über uns dieselbe Strafe, gleich als ob wir Genossen seines Verbrechens wären; denn wir wollen dasselbe Schicksal erleiden, das unserem Bruder bevorsteht. Es ist uns lieber, mit ihm verurteilt zu werden und zu sterben, als dass wir nach seinem Tode uns in Trauer aufreiben. Ich will nicht davon reden, dass er noch jung und sein Verstand noch nicht ausgebildet und dass es deshalb nach menschlicher Sitte schicklich ist, ihm eher Verzeihung zu gewähren. Vielmehr will ich das alles deiner Beurteilung anheim stellen und zum Schluss meiner Rede kommen, damit, wenn du uns verurteilst, es meine eigene Schuld sei, dass ich nicht alles gesagt habe, was deinen Zorn gegen uns mildern könnte, dass hingegen, wenn du uns lossprichst, du das Bewusstsein habest, dies in deiner Güte und Milde getan zu haben. Denn dann schenkst du uns nicht nur das Leben, sondern erweisest uns auch die Gnade, uns für besser zu halten, als wir sind, und bist mehr auf unser Wohl bedacht als wir selbst. Hast du also beschlossen, ihn zu töten, so lass mich für ihn die Todesstrafe erleiden und sende ihn dem Vater zu. Willst du ihn aber lieber der Knechtschaft überantworten, so bin ich selbst noch tauglicher als er zu deinem Dienste. Zu beiden Strafen bin ich, wie du siehst, geeignet und bereit.« Hierauf warf sich Judas, der freudigen Herzens für das Wohlergehen seines Bruders leiden wollte, Joseph zu Füßen und versuchte so, dessen Zorn zu besänftigen und zu beschwichtigen. Ebenso taten auch die anderen Brüder und erboten sich unter Tränen, für Benjamin zu sterben.

9. Joseph aber wurde von Mitleid überwältigt und konnte sich nicht länger zornig stellen. Und er befahl den Anwesenden, sich zu entfernen, damit er ohne Zeugen sich seinen Brüdern zu erkennen geben könne. Als nun alle sich zurückgezogen hatten, gab er sich seinen Brüdern zu erkennen und sprach: »Eure liebevolle Gesinnung gegen unseren Bruder muss ich loben, und ich sehe, dass ihr doch ein besseres Gemüt habt, als ich nach dem erwarten konnte, was ihr einst gegen mich ins Werk gesetzt habt. Denn ich habe alles, was ihr hier an euch erfahren habt, nur deshalb angeordnet, um eure brüderliche Liebe auf die Probe zu stellen. Ich glaube auch, dass ihr von Natur nicht bösartig gegen mich gesinnt waret, sondern ich schreibe alles dem Willen Gottes zu, der uns den Genuss der gegenwärtigen Güter gestattet und den der zukünftigen nicht vorenthalten wird, wenn er fortfährt, uns gnädig zu sein. Da ich nun auch erfahren habe, dass der Vater gegen meine Erwartung noch wohlbehalten ist, und dass ihr euren Bruder so sehr liebt, so will ich weiterhin dessen, was ihr an mir gesündigt, nicht mehr gedenken. Auch will ich euch deswegen keinen Hass nachtragen, vielmehr euch Dank abstatten, weil ihr mit mir die Ursache gewesen seid, dass Gott so gnädig für uns sorgte. Und so wünsche ich, dass auch ihr das Geschehene vergesst. Freut euch, dass eure damaligen bösen Anschläge zum Guten gediehen sind, und betrübt euch nicht darüber, dass ihr etwas getan, dessen ihr euch schämen müsst. Auch lasst es euch nicht schmerzen, dass ihr so übel mit mir verfahren seid, da eure Absicht ja nicht verwirklicht worden ist. Freut euch vielmehr, dass Gott es so gelenkt hat, und nun zieht hin und verkündet es dem Vater, damit er nicht länger von Sorge um euch gequält werde und er so vielleicht eher sterbe, als ich ihn wieder gesehen und ihn zum Teilhaber aller dieser meiner Güter gemacht habe. Nehmt also den Vater, eure Weiber und Kinder und eure ganze Verwandtschaft und wandert hierher. Denn es ziemt sich nicht, dass die, die mir die liebsten sind, sich an meinem Glücke nicht erfreuen sollten, zumal da die Hungersnot noch fünf Jahre anhalten wird.« Nach diesen Worten umarmte Joseph seine Brüder. Diese aber brachen in Tränen und Klagen aus, indem sie des Bösen gedachten, das sie gegen ihn verübt; denn sie hatten noch immer Angst, hinter dem freundlichen Gebaren ihres Bruders möchte sich die verdiente Strafe verbergen. Darauf wurde ein Mahl hergerichtet. Und auch der König freute sich über die Ankunft der Brüder Josephs gar sehr, und er stellte sich an, als ob ihm selbst etwas Gutes zuteil geworden sei. Dann schenkte er ihnen Wagen, mit Getreide hoch beladen, und Gold und Silber für ihren Vater. Und nachdem sie auch von Joseph noch viele Geschenke, teils für ihren Vater, teils für sich, am meisten aber für Benjamin erhalten hatten, zogen sie nach Hause.

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