Читать книгу Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl - Florian Aigner - Страница 10
Mit Wissenschaft lässt es sich besser streiten
ОглавлениеAber ist es überhaupt ein echtes Problem, wenn es ein paar seltsame Leute gibt, die zwischen Wissenschaft und Bauchgefühl nicht unterscheiden können – oder gar nicht unterscheiden wollen? Für die Wissenschaft ist es doch völlig egal, ob sich irgendjemand seine eigenen alternativen Fakten zusammenträumt oder nicht. Wissenschaft ist das, was stimmt, auch wenn man nicht daran glaubt. Wenn sich manche Menschen unbedingt einreden möchten, dass die Erde eine Scheibe ist, dass man durch feinstoffliche Auramassage wieder gesund wird oder dass die Erde vor sechstausend Jahren erschaffen wurde – sollten wir sie dann nicht einfach lächelnd ignorieren? Schaden diese Leute nicht ohnehin nur sich selbst?
Ganz so einfach ist es leider nicht. Das friedliche Zusammenleben der Menschheit kann nur gelingen, wenn wir uns alle an gewisse logisch-rationale Grundregeln halten. Wenn wir gemeinsam Probleme lösen wollen, dann müssen wir uns zuallererst darüber einig sein, welche Sorte von Argumenten überhaupt zulässig ist.
Bei jedem Spiel muss man die Regeln festlegen, bevor man beginnt. Wer beim Tennis seinen Gegner mit drohend erhobenem Schläger dazu zwingt, den Ball aufzuessen, bekommt dafür keine Punkte. Eine solche Aktion mag zwar kurzfristig wie ein Erfolg aussehen, aber sie gehört nicht zu den Verhaltensweisen, die in diesem Sport allgemein anerkannt werden.
In einer demokratischen Diskussion ist es ähnlich. Wir müssen erlaubte, konstruktive Beiträge und sinnloses, destruktives Verhalten auseinanderhalten. Wenn wir darüber diskutieren, ob in der Landwirtschaft bestimmte Pestizide verboten werden sollen, dann sind biochemische Analysen und ökologische Studien zulässige Argumente. Wenn uns hingegen jemand erzählt, er habe die letztgültige Wahrheit telepathisch von einem intergalaktischen Grottenolm aus einer fremden Dimension übermittelt bekommen, werden wir das eher nicht als akzeptablen Diskussionsbeitrag gelten lassen.
Genau auf dieses Problem stoßen wir ziemlich oft: Wir bekommen Scheinargumente präsentiert, die in einer sinnvollen Debatte eigentlich gar nicht als Argument zählen dürften: „Das muss man verbieten, denn das gehört sich einfach nicht!“, sagen die einen. „Das steht aber so in meinem heiligen Buch“, entgegnen die anderen. Der eine versucht Wählerstimmen zu gewinnen, indem er ohne echten Grund Angst verbreitet, der andere ignoriert die Wirklichkeit und wirft bei der Wahlkampfrede dem Publikum frei erfundene Zahlen entgegen. Der eine sieht die Moral auf seiner Seite, weil er im intensiven Gebet erleuchtet wurde, der andere behauptet, zu einem Herrenvolk zu gehören, mit dem naturgegebenen Anrecht auf die Weltherrschaft. Alle haben ein sehr ausgeprägtes Gefühl, recht zu haben – aber das dürfen wir nicht gelten lassen.
Manche Meinungen sind fundiert und durch überprüfbare Fakten belegbar, manche Meinungen sind bloß ein vages Gefühl und manche Meinungen sind nichts als faktenverachtender Unsinn. Demokratie kann nur funktionieren, wenn wir zwischen diesen Kategorien unterscheiden. Dafür brauchen wir die Wissenschaft.
Wissenschaft bedeutet nicht, selbstbewusst zu verkünden, was andere glauben müssen. Nichts hält uns bei der Suche nach der Wahrheit so sehr auf wie die voreilige Überzeugung, man sei schon am Ziel. Wir müssen erkennen, was wir alles noch nicht erkannt haben. Wir müssen lernen, dass wir noch vieles lernen müssen. Erst dann können wir uns auf die Suche nach wissenschaftlichen Wahrheiten machen, die für uns alle gelten – unabhängig davon, auf welchem Kontinent oder in welchem Jahrhundert wir geboren wurden. Wissenschaft ist die Suche nach dem, worauf wir uns gemeinsam verlassen können.