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Von null bis unendlich

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Wenn die Methode des logischen Schließens auf der Basis von unbezweifelbaren Axiomen in der Geometrie so gut funktioniert, dann ist es doch verlockend, dasselbe auch anderswo auszuprobieren. Genau das versuchte der italienische Mathematiker Giuseppe Peano. Er suchte nach einer soliden, logischen Basis für die Theorie der natürlichen Zahlen. Das klingt zunächst vielleicht seltsam – wozu brauchen die natürlichen Zahlen überhaupt eine Theorie? Sind die nicht einfach da? Sind die nicht völlig selbstverständlich?

Schon als kleine Kinder haben wir begriffen, wie die natürlichen Zahlen funktionieren: Vier Teddybären in der Badewanne und vier Schokoflecken auf Omas Sofa sind sehr unterschiedliche Dinge, aber sie haben etwas gemeinsam – es sind jeweils vier. Sie teilen sich die Eigenschaft der Vierheit. Es gibt Wörter für die Anzahl von etwas. Die Anzahl wovon? Das spielt keine Rolle.

Wenn man das verstanden hat, ist der Rest einfach: Man malt einen Schokofleck aufs Sofa, dann zwei, dann drei. Man kann immer noch einen weiteren Fleck dazumalen. Und wenn der Sofabezug dann aus der Reinigung zurückkommt, hat er null Schokoflecken – mit der Null haben wir ein ganz besonderes Zahlwort, das die Anzahl von gar nichts beschreibt.

Der Umgang mit diesen natürlichen Zahlen ist uns so vertraut, dass wir kaum darüber nachdenken, was die natürlichen Zahlen überhaupt ausmacht. Warum können wir uns auf sie verlassen? Welche Eigenschaft muss ein Gedanke eigentlich haben, damit wir ihn „natürliche Zahl“ nennen können? Giuseppe Peano konnte im Jahr 1889 zeigen, dass man mit fünf einfachen Axiomen eine Theorie der natürlichen Zahlen bauen kann. Diese berühmt gewordenen fünf Peano-Axiome gehören zu den klarsten, fundamentalsten Wahrheiten, die man in der Wissenschaft finden kann.

Das erste Axiom legt eigentlich bloß einen Namen fest: „Null ist eine natürliche Zahl.“ Das zweite Axiom sagt bereits etwas Wichtiges über die Struktur der Zahlen aus: „Jede natürliche Zahl hat eine natürliche Zahl als Nachfolger.“ Auf diesen Nachfolger kann man dann natürlich gleich dieselbe Regel anwenden, auch diese Zahl muss wieder eine natürliche Zahl als Nachfolger haben. Das bedeutet, dass es eine Kette natürlicher Zahlen gibt, die keinen Endpunkt hat. Aber wie sieht diese Kette aus? Das dritte Axiom sagt: „Null ist nicht der Nachfolger einer natürlichen Zahl.“ Die Null spielt also eine Sonderrolle: Sie ist der Anfangspunkt der Kette.

Auch mit dem vierten Axiom lernen wir wieder etwas Bedeutendes über die Struktur unserer Zahlenkette dazu: „Natürliche Zahlen mit gleichem Nachfolger sind gleich.“ Wenn also die Acht nach der Sieben kommt, bedeutet das, dass es keine andere Zahl gibt, nach der die Acht an der Reihe ist. Das ist wichtig, denn sonst könnte es sein, dass nach der Elf wieder die Acht kommt, die Zahlenreihe somit in sich selbst zurückgeführt wird und es außer den Zahlen von null bis elf keine weiteren Zahlen mehr gibt.

Die Zahlenkette darf also keine inneren Kreise oder Verknotungen haben, sie ist eine ordentlich aufgefädelte Reihe, in der eine Zahl auf die andere folgt. Nun wissen wir auch, dass die Kette niemals aufhört – es muss unendlich viele Zahlen geben. Das fünfte und letzte Axiom stellt noch sicher, dass die natürlichen Zahlen die kleinste Menge sind, für die diese Aussagen gelten. Damit wird ausgeschlossen, dass neben den natürlichen Zahlen, wie wir sie kennen, zusätzlich noch weitere natürliche Zahlen herumliegen, die von unserer unendlichen Zahlenkette niemals erreicht werden.

Auf diese Grundsätze können wir uns alle einigen. Und auf dieser Basis lässt sich Schritt für Schritt eine umfangreiche Zahlentheorie definieren – Addition, Multiplikation, Primzahlen. Wenn man von einer kleineren Zahl eine größere abzieht, stößt man auf eine neue Sorte von Zahlen – die negativen Zahlen. Aus ganzen Zahlen kann man Brüche bilden – die rationalen Zahlen. Das gesamte Gedankengebäude der Mathematik ist auf Basis der natürlichen Zahlen aufgebaut. Oder umgekehrt betrachtet: Die gesamte Mathematik lässt sich, wenn man ausreichend oft „Warum?“ fragt, am Ende auf die natürlichen Zahlen zurückführen, so wie man von jedem winzigen Zweig eines großen Baumes Schritt für Schritt zum Stamm gelangen kann.

Auf den ersten Blick kann man das für wissenschaftliche Liebhaberei halten, für ein hübsches, aber relativ nutzloses Spiel. Wenn wir an unserer Steuererklärung herumrechnen oder wenn wir herausfinden möchten, wie viele Fliesen wir für die Badezimmersanierung kaufen müssen, dann brauchen wir keine Axiome. Wenn wir auf dem Konto ein Minus vorfinden, ist uns ziemlich egal, wie diese seltsame negative Zahl zu Peanos Regeln passt. In all diesen Fällen befinden wir uns in dem Bereich der Mathematik, für den die meisten Leute ein ziemlich gutes Bauchgefühl haben. Und in solchen Situationen kommen wir auch ohne die logische Strenge eines klar definierten Axiomensystems zurecht.

Es gibt aber auch komplizierte Gebiete der Mathematik, in denen wir uns mit logischen Rechenregeln gewissenhaft von einer Wahrheit zur nächsten weiterarbeiten müssen, um von einer Wahrheit zur nächsten zu gelangen. Es ist so ähnlich wie beim Klettern im Gebirge: So lange die Sonne scheint, kann man ziemlich frei und unbekümmert mit Blick zum Gipfel einen Schritt nach dem anderen machen. Wenn wir uns aber in Gebiete wagen, wo uns der Nebel die freie Sicht verdeckt, dann wird es gefährlich. Dann müssen wir uns an etwas Zuverlässigem festhalten. Glück haben wir, wenn es eine Leiter gibt, die uns nach oben führt. Die Regeln einer Leiter sind einfach und klar: Wenn man die unterste Sprosse findet und weiß, wie man von einer Sprosse zur nächsten gelangt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man ans Ziel kommt.

Leute wie Peano zeigten: Die mathematische Logik dient nicht nur dazu, Zahlen auszurechnen und neue mathematische Wahrheiten zu finden, wir können sie auch verwenden, um die Regeln unseres Denkens genauer unter die Lupe zu nehmen. Dadurch ergaben sich für die Mathematik spannende neue Aufgaben.

Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl

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