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Wie Einstein Raum und Zeit verbog

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Manchmal bringt uns die Wissenschaft sogar auf Gedanken, die unserem Bauchgefühl ziemlich heftig widersprechen. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie.

Einstein beschäftigte sich mit einem der ältesten physikalischen Rätsel überhaupt – mit der Schwerkraft. Eigentlich haben wir dafür ein ziemlich gutes Bauchgefühl entwickelt: Wenn ich einen Kirschkern aus dem Fenster spucke, dann fliegt er in parabelförmigem Bogen durch die Luft und bewegt sich am Ende mit großer Zuverlässigkeit nach unten, Richtung Erdmittelpunkt. Und wer unten davon getroffen wird, weiß sofort ganz intuitiv: Dieses Ding muss von oben gekommen sein.

Einsteins Gedanken über die Schwerkraft waren allerdings deutlich komplizierter. Er arbeitete an einer völlig neuen Theorie von Raum und Zeit. Im Jahr 1905 hatte er bereits gezeigt, dass Raum und Zeit zusammengehören. Man kann sie streng genommen gar nicht getrennt voneinander betrachten, sie bilden gemeinsam eine vierdimensionale Raumzeit. Schon dieser Gedanke ist etwas, womit unser Bauchgefühl niemals zurechtkommt: Für uns sind Raum und Zeit zwei völlig unterschiedliche Dinge. Aber Einsteins Ideen wurden noch viel seltsamer: Diese Raumzeit ist nämlich noch dazu verbogen. Ein fliegender Kirschkern weit draußen im leeren Weltraum bewegt sich entlang einer geraden Linie. Aber hier auf der Erde, wo die Masse des gesamten Planeten Raum und Zeit verbiegt, muss der Kirschkern einer gekrümmten Bahn folgen.

Anschaulich vorstellen kann man sich eine solche „verbogene Raumzeit“ leider nicht. Niemand kann das. Auch Albert Einstein selbst konnte das nicht. Unser menschlicher Verstand ist für die Relativitätstheorie nicht geschaffen. Aber das macht nichts, denn die Relativitätstheorie ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und mathematischen Regeln kann man auch gehorchen, ohne sich darunter etwas vorstellen zu können.

Allerdings ist die Mathematik, die man zum Bezwingen der allgemeinen Relativitätstheorie benötigt, schrecklich kompliziert. Jahrelang quälte sich Albert Einstein damit herum, oft genug hatte ihn seine Arbeit an den Rand der Verzweiflung getrieben, weil er die entscheidende Formel für die Gravitation und die Krümmung der Raumzeit nicht finden konnte. Doch im Lauf der Zeit verstand Einstein immer besser, welche Eigenschaften eine solche Formel haben muss – und im Herbst 1915 hatte er das Gefühl, ganz knapp vor dem Durchbruch zu stehen.

In diesen Tagen arbeitete aber nicht nur Albert Einstein angestrengt daran, das große Rätsel der Relativitätstheorie zu lösen. David Hilbert, damals der berühmteste Mathematiker der Welt, beschäftigte sich zur gleichen Zeit mit genau demselben Problem. Im Sommer 1915 war Einstein zu Hilbert nach Göttingen gefahren, um vom aktuellen Stand der Forschung zu berichten. Beide Wissenschaftler waren beeindruckt von den Ideen des jeweils anderen. Einstein wurde klar, dass er sich wohl beeilen müsse, um seine allgemeine Relativitätstheorie präsentieren zu können, bevor es Hilbert gelang.

Um seine Ideen gründlich durchzudenken, fehlte Einstein die Zeit. Im November veröffentlichte er eine erste Version seiner Theorie, doch sie enthielt noch entscheidende Fehler. Hilbert lud Einstein ein, noch einmal zu ihm nach Göttingen zu kommen, er hätte gerne seine eigenen Gedanken dazu präsentiert – doch Einstein lehnte ab. Er habe Magenschmerzen, behauptete er, und blieb zu Hause in Berlin. In Wirklichkeit arbeitete er fieberhaft weiter an seinen Formeln.

Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl

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