Читать книгу Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl - Florian Aigner - Страница 18
Die Kunst des logischen Denkens
ОглавлениеDiese Art zu denken fällt uns meistens schwer. Im Alltag legen wir normalerweise keinen Wert darauf, unsere Gedanken in logische Ketten zu ordnen, in denen jede Aussage zwingend aus der vorangegangenen folgt. Viel häufiger denken wir in Analogien: Wir gehen davon aus, dass in ähnlichen Situationen ähnliche Gesetze gelten. Eine Kerzenflamme kann man mit Wasser löschen. Daher kann ich vermutlich auch ein Lagerfeuer mit Wasser löschen. Eine Kartoffel wird weich, wenn ich sie in Wasser koche. Daher kann ich vermutlich auch eine Rübe in Wasser weichkochen. Wenn mir jemand meine Schokolade wegnimmt, werde ich ungemütlich. Daher verstehe ich, dass mich der Hund böse anknurrt, wenn ich ihm seine Wurst weggenommen habe.
Analogien sind auch in der Wissenschaft oft nützlich. Sie helfen uns, in unserem Kopf Bilder entstehen zu lassen: Im Atom kreisen Elektronen um den Atomkern, ähnlich wie Planeten um die Sonne. Das können wir uns einigermaßen vorstellen. Eine logische Erklärung oder gar ein Beweis ist es aber nicht. Den Elektronen sind die Planeten völlig egal. Sie bewegen sich nicht deswegen so, weil sie von den Planeten dazu gezwungen wurden.
Besonders heikel sind Analogieschlüsse, die einen wissenschaftlichen Gedanken in ein ganz anderes Teilgebiet der Wissenschaft verpflanzen. In der klassischen Physik gilt Newtons Gesetz vom Gleichgewicht der Kräfte: Jede Kraft hat eine gleich große, aber entgegengerichtete Gegenkraft. Die Sonne zieht durch ihre Schwerkraft die Erde zu sich, die Erde zieht mit derselben Kraft die Sonne in die andere Richtung. Wenn ein Buch auf dem Tisch liegt, drückt es nach unten auf die Tischplatte, die Tischplatte drückt mit derselben Kraft von unten gegen das Buch.
Daran fühlt man sich vielleicht erinnert, wenn man kleinen Kindern etwas vorschreiben möchte und sie dann aus purem Trotz ihre Kräfte genau in die entgegengesetzte Richtung lenken. Man möchte sie mit sanftem Druck dazu bringen, endlich ins Bett zu gehen, und plötzlich sind sie erst recht hellwach. Man weist sie darauf hin, dass mit Cremespinat eher nicht herumgekleckert werden soll, und dann wird das Tischtuch erst recht in ein dunkelgrünes Schüttbild verwandelt.
Wenn nun jemand stolz verkündet: „Das muss so sein, laut Newtons Gesetz gibt es zu jeder Kraft eine entgegengesetzte Gegenkraft!“, dann demonstriert er damit nicht seine naturwissenschaftliche Bildung, sondern er beweist, dass er von der Physik nichts verstanden hat. Natürlich hat das Trotzverhalten von Kindern nichts mit Newton’scher Mechanik zu tun. Vielleicht mag uns das eine an einem bestimmten Punkt an das andere erinnern, aber eine logische Verbindung dazwischen gibt es nicht.
Analogieschlüsse fühlen sich in unserem Kopf wunderbar sinnvoll an, auch wenn sie überhaupt keine Beweiskraft haben. In der Esoterik verzichtet man oft überhaupt auf logische Argumente und gibt sich von vornherein mit Analogien zufrieden: In meinem Leben gibt es bessere und schlechtere Zeiten. Und am Himmel stehen die Planeten mal in diesem, mal in jenem Sternzeichen. Also muss beides miteinander zu tun haben. Mein Wasserkocher funktioniert nicht, wenn das Stromkabel kaputt ist. Mein Körper funktioniert momentan auch nicht richtig. Also müssen da auch irgendwelche Energieflüsse gestört worden sein. Die Quantenphysik ist etwas Verwirrendes. Und das menschliche Bewusstsein ist auch etwas Verwirrendes. Also lässt sich das menschliche Bewusstsein mit Quantenphysik erklären.
Das alles sind nur Scheinargumente. Man lernt durch sie nichts Neues. Es ist, als würde man gefragt werden, wie eine elektrische Eisenbahn funktioniert, und einfach nur antworten: Im Atom drehen sich die Elektronen um den Atomkern, und in der Eisenbahn drehen sich die Räder. Deshalb fährt die Eisenbahn. Das ist keine Erklärung. Man könnte eine logische Brücke bauen, von den Elektronen, die sich durch einen Draht bewegen, über die mechanische Kraft, die dadurch im Elektromotor erzeugt wird, bis zum Drehmoment, das am Ende die Räder antreibt. Aber solange man eine solche logische Brücke nicht baut, sind Analogien wissenschaftlich wertlos.
Das ist ein guter Grund, sich mit Mathematik zu beschäftigen: Mathematik zeigt uns, wie weit man kommen kann, wenn man mit präziser Logik vorgeht. Sie zwingt uns, Ordnung in unserem eigenen Kopf zu schaffen. Sie bringt uns bei, die Welt zu verstehen, als Verkettung logisch zwingender Zusammenhänge, als Geflecht von Grundannahmen und logischen Regeln, von Prämissen und Schlussfolgerungen.
Wir beginnen mit ganz einfachen Gedanken, auf die wir uns alle einigen können. Und dann überlegen wir, welche anderen Ideen daraus folgen. Schritt für Schritt gelangen wir von einer Wahrheit zur nächsten. Jeder einzelne Schritt ist nachvollziehbar und einfach. Und wenn wir es richtig machen, stoßen wir dabei vielleicht auf großartige Ergebnisse, die wir mit reiner Intuition niemals erraten hätten.