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Der Dunning-Kruger-Effekt

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Wir müssen lernen, wo wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen können und wo nicht. Aber können wir ein verlässliches Bauchgefühl für die Verlässlichkeit des Bauchgefühls entwickeln? Die Sache ist kompliziert. Leider fällt es uns ziemlich schwer, uns selbst richtig einzuschätzen.

Wenn man die gesamte Bevölkerung nach Intelligenz reihen würde – wo würden wir uns selbst einordnen? Im obersten Drittel? Bei den besten drei Prozent? Wie sieht es mit anderen Qualitäten aus – zum Beispiel mit unserem Sinn für Humor? Oder mit der Fähigkeit, zuverlässige Nachrichten von frei erfundenem Unsinn zu unterscheiden? Fast jeder ist davon überzeugt, das besser zu können als die meisten anderen. Aber wenn sich neunzig Prozent zu den besten zehn Prozent zählen, dann muss irgendetwas falsch sein. Um das zu erkennen, muss man gar nicht zu den neunzig Prozent zählen, die zu den besten zehn Prozent im Prozentrechnen gehören.

Offensichtlich überschätzen wir oft unsere eigenen Fähigkeiten, wenn wir uns mit anderen vergleichen. Diesem Phänomen liegt der „Dunning-Kruger-Effekt“ zugrunde, benannt nach den Psychologen Justin Kruger und David Dunning, die ihre Experimente zu diesem Phänomen im Jahr 1999 veröffentlichten.

Dunning und Kruger legten ihren Versuchspersonen unterschiedliche Aufgaben vor, etwa Logik- oder Grammatiktests. Danach wurden die Probanden befragt, wie gut sie ihre eigene Leistung im Vergleich zur Leistung anderer Leute einschätzen würden. Erstaunlicherweise lagen viele von ihnen ziemlich weit daneben. Sogar unter den Versuchspersonen, die in Wahrheit zum schlechtesten Viertel gehörten, hielten sich viele für eher gut. Die Leute, die zum besten Viertel zählten, schätzten die eigene Leistung auch als gut ein, sie waren in Wirklichkeit aber sogar noch deutlich besser, als sie dachten.

Im nächsten Schritt ließ man die Versuchspersonen dann die Antworten anderer Leute bewerten. Je besser sie selbst beim Test abgeschnitten hatten, umso eher gelang es ihnen auch, die Qualität fremder Leistungen richtig einzuschätzen. Das ist nicht überraschend. Wer kaum lesen kann, ist mit Sicherheit kein guter Literaturkritiker, und wer Angst vor mehr als zweistelligen Zahlen hat, sollte nicht unbedingt als Rechnungsprüfer arbeiten.

Interessant ist allerdings, welche Schlüsse die Versuchspersonen daraus in Bezug auf ihre eigene Leistung zogen. Nachdem sie die Antworten anderer Leute gesehen hatten, wurden sie ein weiteres Mal gebeten, ihre eigene Leistung einzuschätzen. Die besonders guten Testpersonen hatten nun erkannt, dass die meisten anderen schlechter abgeschnitten hatten als sie selbst, und korrigierten ihre Einschätzung der eigenen Leistung nach oben. Die unbegabteren Testpersonen hingegen konnten aus den fremden Ergebnissen überhaupt keine zusätzliche Information gewinnen. Sie schätzten sich selbst danach noch immer viel zu positiv ein.

Genau das ist der „Dunning-Kruger-Effekt“: Um korrekt beurteilen zu können, ob man etwas gut kann, muss man es gut können. Die Fähigkeiten, die man braucht, um Leistungen einzuschätzen, sind dieselben Fähigkeiten, die man auch benötigt, um diese Leistungen selbst zu vollbringen. Wer das eine nicht kann, wird meist auch am anderen scheitern. Gerade den ahnungslosesten, unfähigsten und inkompetentesten Leuten fällt es daher ganz besonders schwer, die eigene Ahnungslosigkeit zu erkennen.

Wenn man jemandem klarmachen möchte, was er nicht kann, muss man dafür sorgen, dass er es lernt. Dunning und Kruger gaben Personen, die beim Logiktest schlecht abgeschnitten hatten, Logiknachhilfe. Damit verbesserten sich die Antworten, doch die Einschätzung der eigenen Leistung verschlechterte sich. Wenn man dazulernt, kann man auch die eigenen Schwächen besser wahrnehmen.

Diese bittere Erfahrung haben wir wohl alle schon einmal gemacht – auf ganz unterschiedlichen Gebieten. Man kauft sich eine Gitarre und würgt die ersten verkrampften Akkorde aus ihr heraus. Die Begeisterung ist groß, und man zweifelt nicht daran: Der Aufstieg zum gefeierten Weltstar ist sicher nur noch eine Frage der Zeit. Doch dann übt man weiter, schult das eigene Gehör, bekommt ein Gefühl für die Feinheiten des Instruments und erkennt: Was die wahren Profis zustande bringen, ist doch noch einmal etwas völlig anderes. Die eigene Leistung wird zwar kontinuierlich besser, aber die Zufriedenheit mit dem Resultat nimmt eher ab.

Dasselbe lässt sich auch im Bereich der Wissenschaft beobachten: Begeisterte Hobbyforscher finden ein Buch über die Relativitätstheorie und sind plötzlich überzeugt davon, Albert Einstein widerlegen zu können. Hoffnungsvolle Esoteriker lassen sich im Wochenendseminar zum Teilzeitwunderheiler ausbilden und glauben dann, der wissenschaftlichen Medizin widersprechen zu können. Enthusiastische Garagenbastler schrauben an einem elektrischen Generator herum und sind zuversichtlich, ihn mit ein bisschen Schmieröl und technischem Geschick in ein Perpetuum mobile umbauen zu können. Wenn ein paar Naturgesetze etwas dagegen haben, dann muss man sich eben neue suchen!

Sie alle sind Opfer des Dunning-Kruger-Effekts. Ihnen fehlt das nötige Wissen über wissenschaftliche Fakten, um einzusehen, dass sie über wissenschaftliche Fakten sehr wenig wissen. Im besten Fall lernen sie dazu und sehen irgendwann ein, dass man als Einzelperson nicht so einfach die gesamte Wissenschaft zerschlagen kann. Im schlechtesten Fall bleiben sie dauerhaft im Stadium der Selbstüberschätzung stecken – dann verbringen sie ein selbstbewusstes, aber wissenschaftlich höchst unproduktives Leben als Esoteriker.

Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl

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