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Die Logik hat noch immer recht
ОглавлениеDie Welt der Mathematik ist nicht mehr dieselbe, seit Gödel seinen Unvollständigkeitssatz veröffentlichte. Die Methoden der Logik, an denen er arbeitete, spielen für die Mathematik bis heute eine wichtige Rolle. Man darf das mathematische Forschungsgebiet der Logik allerdings nicht mit dem verwechseln, was man im Alltag normalerweise unter „Logik“ versteht. „Das ist doch logisch“, sagen wir, wenn wir etwas völlig offensichtlich, klar und einfach finden. Dabei geht es normalerweise nicht um mathematische Formeln, sondern um leicht verständliche Nachvollziehbarkeit.
Ursprünglich hatte die Logik mit Mathematik nicht besonders viel zu tun. Im antiken Griechenland war die Logik eher ein Teilgebiet der Rhetorik. Es ging darum, korrektes Argumentieren von Trugschlüssen zu unterscheiden. „Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich.“ – Das ist ein Beispiel für ein logisch korrekt geführtes Argument. „Geniale Ideen stoßen immer auf Widerspruch. Meine Ideen stoßen auf Widerspruch. Also sind meine Ideen genial.“ – Diese Argumentation klingt zwar auch so ähnlich, sie ist aber falsch.
Aristoteles beschäftigte sich mit solchen Mustern logischer Schlüsse – sogenannten „Syllogismen“. Um solche Gedankenspielereien zu durchschauen, muss man keine Gleichungen und Formeln aufschreiben, unsere einfache Alltagssprache genügt.
Die mathematische Logik hingegen ist keine Wissenschaft, die sich auf banale Alltagsaussagen beschränkt. Sie ist ein diffiziler, abstrakter Teilbereich der Mathematik. Man hat eine ganz eigene Formelsprache entwickelt, in der man mit speziellen Zeichen und Schriftregeln logische Aussagen aufschreiben kann. Ähnlich wie man in der Schule mathematische Gleichungen umformt, bis man am Ende den Wert einer Variable ausgerechnet hat, kann man logische Aussagen umformen, um neue Wahrheiten aus ihnen abzuleiten. Jeder einzelne Schritt ist leicht nachzuvollziehen und gehorcht ganz einfachen Grundregeln. Aber am Ende gelangt man zu einer neuen Erkenntnis, die alles andere als offensichtlich ist.
Ganz besonders bedeutsam wurde die Logik für eine Wissenschaft, an die zu Kurt Gödels Zeiten noch gar nicht zu denken war – für die moderne Informatik. Heute gibt es Computerprogramme, die ganz automatisch, nach vorgegebenen logischen Regeln Beweise für bestimmte mathematische Aussagen liefern können. Es gibt Computerprogramme, die andere Computerprogramme nach Fehlern durchsuchen, oder auch Computerprogramme, die beweisen können, dass ein bestimmter Computercode unter allen logisch möglichen Bedingungen das richtige Ergebnis liefert.
All das sind wunderbare, nützliche Fortschritte, die wir der formalen Logik zu verdanken haben. Gödels logischer Beweis der Unvollständigkeit mathematischer Systeme wird allerdings immer wieder völlig falsch interpretiert. Manche Leute deuten Gödels Unvollständigkeitssätze als Hinweis darauf, dass auch die Mathematik etwas Unscharfes, Unklares, Mystisches birgt. Das ist natürlich völlig falsch. Die Logik lässt sich nicht in ein esoterischmystisches Weltbild einbauen.
Hat Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen bewiesen, dass die Mathematik ein löchriges Gebilde von zweifelhafter Stabilität ist, das jederzeit einstürzen könnte? Nein, das hat er nicht. Hat Gödel behauptet, dass die Logik nicht immer richtig liegt oder dass exaktes Beweisen gar nicht möglich ist? Niemals wäre er auf so unsinnige Ideen gekommen. Hat Gödel angezweifelt, dass es so etwas wie wahre oder falsche Aussagen überhaupt gibt? Nein, sonst wäre er kein historisch bedeutsamer Wissenschaftler, sondern ein längst vergessener Wirrkopf.
Selbstverständlich gibt es nach wie vor wahre und falsche Aussagen. Ein gleichseitiges Dreieck in der Ebene schließt in jeder Ecke einen Winkel von sechzig Grad ein – das ist wahr. Achtundvierzig ist eine Primzahl – das ist falsch. Beides lässt sich beweisen. Die Tatsache, dass man durch Gödels Aussagen-Nummerierung auch Sätze konstruieren kann, bei denen die Sache komplizierter ist, hat damit nichts zu tun. Eine logisch bewiesene Aussage ist nach Gödel noch genauso unverrückbar wahr wie vorher. Und wenn aus wahren Aussagen eine neue Aussage logisch folgt, dann muss diese neue Aussage auch wieder wahr sein. Daran besteht kein Zweifel.
Wir müssen uns nur damit abfinden, dass es wahre Aussagen gibt, für die wir niemals einen Beweis finden können. Vieles in der Mathematik lässt sich wunderbar beweisen – etwa die Tatsache, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Aber manche Dinge bleiben lange Zeit eine bloße Vermutung, so lange, bis man endlich einen Beweis gefunden hat.
So vermutet man zum Beispiel schon lange, dass jede gerade Zahl größer als zwei die Summe von zwei Primzahlen ist – das ist die sogenannte „Goldbach’sche Vermutung“. Sechs ist drei plus drei, acht ist fünf plus drei, vierundzwanzig ist dreizehn plus elf. Man kann das für Milliarden Zahlen nachprüfen, immer findet man mindestens eine Möglichkeit, die Zahl aus zwei Primzahlen zusammenzusetzen. Aber ob das wirklich für alle Zahlen gilt, bis ins Unendliche, ist bis heute nicht bewiesen.
David Hilbert wäre in jungen Jahren noch völlig überzeugt gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis man entweder beweisen kann, dass die Goldbach’sche Vermutung für alle geraden Zahlen gilt, oder aber beweisen kann, dass irgendeine Zahl dagegen verstößt. Heute wissen wir: Es kann sein, dass es einen solchen Beweis einfach nicht gibt.
Je nach persönlichem Geschmack kann man das schön oder traurig finden – es ist einfach so. Gödels Ergebnisse entwerten die Mathematik nicht, sie schärfen unseren Blick darauf, was die Mathematik aussagen kann und was nicht. Dass wir nicht alles beweisen können, mindert nicht die Zuverlässigkeit des bereits Bewiesenen. Wenn uns die Astronomie sagt, dass es viele Sterne gibt, die wir niemals sehen können, weil uns ihr Licht niemals erreichen wird, dann entwertet das auch nicht unser Wissen über die Sterne, die wir bereits kennen. Wir verstehen dadurch nur besser, auf welches Wissen wir in Zukunft hoffen dürfen und warum manches für immer im Dunkeln bleiben wird.