Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Sammelband 1 - Frank Hille - Страница 14

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Günther Weber, SS-Kompanie, Sommer 1939

Das Herz hämmerte heftig in seiner Brust, die letzte Runde schien endlos, doch das befriedigende Gefühl wieder schneller zu sein als letzten Monat, ließ die körperliche Anstrengung klein werden. Noch war Müller besser als er, er legte aber alles darauf an, ihn bald zu schlagen. Die Ausbilder sahen es gern, dass sich die jungen Männer gegenseitig zu Höchstleistungen trieben, es machte ihre Arbeit leichter. Bislang hatten sich Webers Vorstellungen erfüllt, die Männer hielten zusammen, dass sich ihr Testosteron auch in gelegentlichen Rivalitäten äußerte war für ihn normal, dennoch war der Grundsatz, dass der eine für den anderen bedingungslos einstand, nach seinem Geschmack. Der Tagesablauf nahm ihn ganz gefangen, die strengen Regeln hielt er für richtig, einzig die Unterrichte zu nationalsozialistischen Themen fesselten ihn nicht sonderlich, lieber lernte er wie eine Panzermine funktionierte, schließlich wollte er Soldat werden, nicht Parteifunktionär. Manchmal fluchte er innerlich über den Drill, fügte sich aber. Besser jetzt in der Übung geschunden, als später im Kampf hilflos war seine Überlegung. Nach dem Lauf rannten die Männer auf die Stuben, wechselten die Sportsachen gegen die Uniform und nach dem Frühstück traten sie vor der Waffenkammer an. Jeder erhielt einen Karabiner 98 und zwei mit Patronen gefüllte Magazintaschen, die sie in die Gürtel einschlauften. Im Laufschritt ging es zum Schießstand, vier Zeltplanen lagen in gleichmäßigen Abständen auf der Erde, davor war jeweils eine Reihe Sandsäcke aufgebaut. Die Ausbilder hatten sich neben den Schützenplätzen postiert und der Kompaniechef rief den Rekruten zu: „Umschließen“. In lockerer Formation standen die Männer da, Sturmbannführer Wolf instruierte sie nochmals:

„Heute werden Sie zum ersten Mal scharf schießen. Theoretisch dürfte alles klar sein, jetzt kommt es darauf an, auch praktisch gut zu sein. Atmen Sie ruhig, halten Sie das Ziel mittig und nicht zu hoch oder tief. Die Scheiben stehen fest, es gibt also keine Überraschungen. Noch Fragen? Ausbilder übernehmen.“

Die Männer verteilten sich auf die Plätze und die ersten legten sich auf die Zeltbahnen. Die immer wieder gepaukten Handgriffe mit den Waffen gelangen problemlos, überall war ein „Waffe geladen und gesichert“ zu hören, kurz darauf ein „entsichern“ und dann „Feuer eröffnen“.

Weber hörte die Schüsse peitschen, in gut 100 Meter Entfernung stiebten kleine Dreckfontänen auf, teils vor den Scheiben, meistens im Erdhügel hinter den Scheiben, der als Kugelfang diente. Der Abschussknall war nicht laut, er hatte mehr erwartet. Nachdem die ersten ihre 10 Schuss abgegeben hatten war wieder der Singsang der Meldungen zu hören: „Waffe entladen und gesichert, Patronenlager frei“. Die Männer liefen zu den Scheiben, vier Unterscharführer trugen die Ergebnisse in Listen ein und klebten die Einschusslöscher zu. Er war an der Reihe und nahm Stellung hinter den Sandsäcken. Der Patronenrahmen war in die Waffe eingeführt, er lud durch und legte die Waffe auf den Sandsäcken an. Das Ziel anvisierend stellte er fest dass der Lauf der Waffe leicht schwankte, er hielt die Luft an, zielte und drückte ab, der Rückstoß schlug in seine Schulter. Er hatte den Eindruck, dass der Schuss zu hoch gelegen hatte, korrigierte beim nächsten und nach und nach hatte er das Gefühl, gut zu treffen. Gespannt lief er zur Scheibe, näherkommend sah er, dass 7 Kugeln im Zentrum getroffen hatten, 3 hatten weit gestreut. Insgesamt kam er auf 52 Ringe, das war nicht viel. Enttäuscht trabte er zurück, die nächsten gingen in Position.

Der Kompaniechef sah sich die Listen an, er trat vor die Männer.

„Das war keine Glanzleistung heute, Sie werden noch viel üben müssen. Morgen Vormittag wird das Schießtraining fortgesetzt. Wegtreten zum Waffenreinigen.“

Im Gang der Kaserne saßen die Männer auf Hockern, die Waffen waren zerlegt und mit den Reinigungsutensilien beseitigten sie Schmutz und Pulverspuren. Wer glaubte fertig zu sein ging zur Waffenkammer, der Scharführer schaute durch den Lauf, begutachtete die anderen Teile, viele Männer wurden zurück geschickt und mussten sich nochmals an die Arbeit machen.

Beim Mittagessen unterhielt sich Weber mit seinem Bettnachbarn Friedrich. Sie waren sich von Beginn an sympathisch gewesen obwohl sie unterschiedlicher nicht sein konnten, der Abiturient Weber und der Bauernjunge Friedrich. Weber war bewusst, dass er einen gewissen Dünkel in Bezug auf seine Bildung in sich trug, Friedrich machte ihm schnell klar, dass dies nicht alles war. Noch größer und kräftiger als Weber waren die körperlichen Anforderungen für ihn kein Problem, allerdings hatte er Mühe zu folgen, wenn ein Ausbilder ihnen zum Beispiel die physikalischen Bedingungen beim Flug eines Geschosses erklärte. Als Weber ihm das zu erklären versuchte merkte er, wie Friedrich sich plagte die Zusammenhänge zu verstehen, schließlich begriff er es aber doch. Was ihm selbst in der Schule zugeflogen war für diesen einfachen Mann eine Anstrengung. Er gewann Webers Achtung, als er sich eines Tages schützend vor Becker stellte, den die anderen deswegen hänselten, weil er nicht über die Eskaladierwand kam. Die beiden übten nach Dienstschluss und Friedrich half ihm anfangs, dann kam Becker allein über die Wand. Als sich ein anderer bei einer Geländeübung den Knöchel vertrat und nicht auftreten konnte nahm ihn Friedrich ohne Worte über die Schulter und schleppte ihn zwei Kilometer bis in die Kaserne. Weber verstand, dass dieser Mann von einem Pflichtgefühl und Kameradschaftsgedanken erfüllt war, der seinen Kompass darstellte und dessen Richtung er bedingungslos und unbeirrt folgte.

„Ich habe nicht gut getroffen“ fing Weber an, er kannte Friedrichs Ergebnis, der war deutlich besser.

„Mach dir nichts draus“ sagte Friedrich, „das ist nur eine Frage der Übung. So wie du Mathe gepaukt hast musst du auch das Schießen einfach trainieren. Talent gehört auch dazu, aber das hat man oder nicht. Auf unserem Hof habe ich oft mit dem Luftgewehr geschossen, hier habe ich Vorsprung.“

Am Nachmittag war Überrollen durch einen Panzer im Schützengraben vorgesehen. Die Männer alberten herum, dass dies eine leichte Sache wäre, sie quatschten nur ihre Angst davor klein. Langsam schob sich ein Panzer III heran, mit rasselnden Ketten blieb er gut 50 Meter vor dem Graben stehen, der Motor lief blubbernd. Sie standen längs des Grabens rechts und links in zwei Reihen, ungefähr 10 Meter voneinander entfernt.

„Herhören“ rief der Zugführer, „ihr braucht nichts weiter zu tun als abzuwarten bis der Panzer über den Graben gefahren ist, wenn er drüber ist raus aus dem Graben und abwechselnd springt der nächste aus der Reihe hinein, der Panzer wendet und kommt zurück. Es geht los.“

Der erste aus der linken Reihe war im Graben verschwunden, der Zugführer hob einen Arm und der Panzer setzte sich in Bewegung. Wie ein Urzeitungeheuer kam er langsam näher, sie konnten hören, wenn der Fahrer den nächsten Gang einlegte, der Lärm schwoll an und als das Fahrzeug über den Graben rollte sahen sie es aus 5 Meter Entfernung von der Seite. Langsam schob sich der Koloss über den Graben, er dünstete Benzingestank und Wärme aus und aus dem Auspuff stieg Rauch, der Kampfwagen war weit über zwei Meter hoch. Als er den Graben passiert hatte tauchte der Rekrut auf, sprang behände auf die Grabenbrüstung und lief zu seiner Reihe, der nächste rannte los und verschwand. Inzwischen hatte der Panzer auf der Stelle gewendet, er drehte sich wie ein Kreisel und sein Bug zeigte wieder Richtung Graben. Er ruckte an, beschleunigte und überquerte den Graben.

Weber war an der Reihe, er hockte im Graben und wartete auf die Überfahrt. Das Rasseln kam näher, es wurde dunkel und den Kopf zwischen die Schulter gezogen blickte er auf den Boden, dann spürte er körperlich den Motorlärm, kleine Erdstücke rieselten herunter, es wurde hell und nach einem Moment sprang er heraus. Was war daran schlimm?

Noch waren fünf Mann übrig, der erste lief zum Graben und war schnell verschwunden. Der Panzer kam näher und als er über dem Graben war gab es ein Krachen, die rechte Kette blieb plötzlich stehen, die linke lief weiter und dadurch wurde das Fahrzeug so gedreht, dass es mit der rechten Kette in den Graben rutschte. Durch die immer noch laufende linke Kette wurde der Panzer weiter nach rechts geschoben, bis er seinen Bug schräg in die Grabenwand rammte. Plötzlich war Stille, der Fahrer hatte den Motor ausgeschaltet. Die Kommandantenluke flog auf, ein Mann erschien und sprang den Weg über die Wanne nehmend zu Boden.

Der Zugführer stand wie erstarrt da, der Panzermann lief ziellos um das Fahrzeug herum und brüllte den Zugführer an: „Eine Zugmaschine, schnell!“. Weber krampfte sich das Herz zusammen, der Panzer war tief in den Graben gerutscht und hatte ihn zugeschüttet, ob der Mann darunter noch lebte war ungewiss. Mit Manneskraft war hier nichts zu machen, würden sie mit den Händen graben könnte der Panzer noch weiter rutschen und auch sie gefährden.

Der Zugführer rief einen Soldaten zu sich, sagte ihm etwas und der Mann rannte los. Es war kein Laut zu hören, der Fahrer kam blass aus dem Panzer gekrochen und stellte sich wortlos zu den anderen. Der sonst so selbstsichere Zugführer schaute unruhig um sich, sein auf und absteigender Adamsapfel zeigte die Erregung an. Nach endlosen Minuten war Kettenrasseln zu hören, ein turmloser Panzer II näherte sich, der Fahrer steuerte ihn schräg vor den Bug des Panzer III. Kommandant und Fahrer des größeren Panzers hatten bereits die Abschleppseile in die Ösen am Bug des Panzer III eingehängt und diese mit Bolzen gesichert. Die Stahlseile wurden am Panzer II angeschlagen, dessen Fahrer schaltete und gab Vollgas, die Ketten wühlten den Boden auf, er schaltete in den nächsten Gang, da bewegte sich der Panzer III etwas und langsam zog der kleine Panzer den großen aus dem Graben heraus.

Der Zugführer blickte vorsichtig in den Graben hinein, dann winkte er die Männer heran, „los, alle mit den Händen graben“ er selbst blieb auf der Böschung stehen. Friedrich war als erster unten, mit seinen großen Händen schaufelte er wie ein Irrer Erde weg, andere halfen ihm. Zuerst kam der Kopf des Mannes zum Vorschein, dann der Rücken, als der Oberkörper frei lag zogen sie ihn vorsichtig aus der Erde. Friedrich drehte ihn auf den Rücken, es war keine Verletzung zu sehen, die Augen des Soldaten blickten aber leer in den Himmel, er war erstickt.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Sammelband 1

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