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Halbe, 25. April 1945, östlicher Teil des Kessels

Martin Haberkorn hielt die Situation für surrealistisch: er hockte mit Soldaten verschiedenster Truppenteile in einem eilig ausgehobenen Schützengraben, eine Einheitlichkeit der Uniformen oder der Bewaffnung gab es nicht, sie unterstanden einem kurzbeinigen Hauptmann mit einer russischen Maschinenpistole der sichtbar mit Schlafmangel zu kämpfen hatte. Noch vor drei Tagen war er in Eckernförde gewesen, dann wurden er und seine Kameraden in schon altersschwache, langsame und nur mit einer schwachen Abwehrbewaffnung versehene Ju 52 verladen, sie sollten nach dem Willen des Großadmirals Dönitz mit zur Verteidigung von Berlin beitragen. Großsprecherisch von der Propaganda als kampfstarke Marineinfanterie bezeichnet wusste Haberkorn es besser: die meisten von ihnen kamen von der U-Boot Waffe, ihre Boote lagen von Wasserbomben zerschmettert, von Fliegerbomben getroffen oder selbstversenkt auf dem Grund und die ehemaligen Seeleute waren weiß Gott keine erfahrenen Landkämpfer. Über Berlin war ihre Maschine von russischen Jägern abgedrängt worden und suchte ihr Heil in der Flucht Richtung Süden, die Russen fanden lohnendere Ziele und drehten ab. Mit unwahrscheinlichem Glück gelang es dem Piloten den alten Vogel in der Luft zu halten obwohl der Steuerbordmotor brannte. Er setzte die Maschine auf der Autobahn Richtung Dresden ab, die Fahrbahn war breit genug und die Männer verließen eilig das Flugzeug und verschwanden in den Nadelwäldern die nah der Straße begannen, nach kurzer Zeit stießen sie auf deutsche Soldaten.

Erstmalig seit der Grundausbildung hatte er wieder ein Gewehr in der Hand gehalten und in der graugrünen Uniform der Marineinfanterie kam er sich komisch vor, nichts von der Lockerheit seiner Bordkleidung war geblieben. Dass er noch schießen könnte stand außer Frage, dem Infanteriekampf sah er aber mit gemischten Gefühlen entgegen, da gab es keinerlei Erfahrung und die Russen die ihnen gegenüberstanden hatten Routine aus vielen Gefechten. Der nahe Donner der Artillerie erinnerte ihn daran dass der Angriff bevorstand, die Russen würden ihre Truppen schonen und die deutschen Stellungen mit einem Hagel aller möglichen Geschosse eindecken. Hier könnte er nicht Schutz in der Tiefe des Meeres suchen, wie er es oft mit seinem Boot getan hatte.

Als er als Heizer auf dem VII C Typ einstieg konnte er nicht ahnen, dass er in nicht allzu ferner Zukunft bis zum Offizier und Leitenden Ingenieur aufrücken würde, hätte ihm jemand das prophezeit wäre sein Zeigefinger unvermittelt für eine bestimmte Geste an die Stirn gewandert. Sein ausgeprägtes technisches Verständnis ebnete ihm den Weg in der militärischen Hierarchie, ohne dass er es vordergründig darauf anlegt hatte voranzukommen, lieber wollte er sein Wissen und die damit verbundenen Fertigkeiten erst zu einem sicheren Fundament ausbauen. Nachdem er auf seinem ersten Boot entscheidend dazu beigetragen hatte eine gefährliche Situation zu entschärfen, die den Verlust des Bootes hätte bedeuten können, nahm ihn der Kommandant genauer in den Blick. Das EK I war ihm nicht so wichtig wie die Anerkennung seiner Kameraden, deswegen blieb er auf dem Boden und büffelte an Bord in den Freiwachen Bücher und Dienstvorschriften zum Betrieb des Bootes, keiner wagte es, ihn deswegen aufzuziehen. Als der Kaleun auf ein anderes Boot umstieg nahm er Haberkorn mit, die Männer dort empfingen ihn wegen seiner zurückhaltenden Art freundlich und sie merkten schnell, dass er gut war. Nach der vierten Feindfahrt wurde er zum Ingenieurlehrgang delegiert, als Leutnant und LI ging er auf einem neuen Boot an Bord. Es gab Situationen, da schrammte er mit den anderen nur knapp an der Vernichtung vorbei und als die Alliierten mit ihrer Luftüberlegenheit und den neuen Ortungsverfahren den Booten den Einsatz nahezu unmöglich machten sank sein Mut nicht etwa, trotzig versuchte er den anderen Hoffnung auf ganz neue Waffen zu machen die im Bau wären. Die ersten Typ XXI Boote gingen in Erprobung und er hoffte auf eine Wende im Seekrieg, mit der ganz neuen Sektionsbauweise, die die Fertigung revolutionierte und den Ausstoß steigerte und den drastisch verbesserten Kampfeigenschaften kam noch einmal Optimismus auf, es war jedoch zu spät. Sein eigenes Boot versenkte er selbst Anfang April 1945. Die angeschlagenen Sprengladungen rissen es auf und als es vollgelaufen war ragte nur noch der Turm schräg aus dem brackigen Wasser. Im Dingi waren mit ihm noch zwei Matrosen die es an Land ruderten, er schaute sich nicht mehr um und es war so, als hätte er einen vertrauten Menschen verloren und ohne dass die beiden anderen es sehen konnten heulte er lautlos, alles war umsonst gewesen.

Haberkorn schaute über den Wall vor dem Schützengraben, er lag in der zweiten Staffel der Verteidigung, vor ihnen gab es noch mehrere MG-Nester und PAK, aber lange würden sie die Russen nicht aufhalten können. Plötzlich brüllten die hinter ihnen stehenden Feldgeschütze auf, die Russen antworteten wenig später, noch lagen die Einschläge weit entfernt, sie näherten sich jedoch beängstigend schnell und die erste Explosion gut dreißig Meter von ihm entfernt ließ ihn in den Graben abtauchen.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Sammelband 1

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