Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Sammelband 1 - Frank Hille - Страница 4

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Panther, Halbe, 25. April 1945, westlicher Teil des Kessels

Der Motor lief im Leerlauf und Oberleutnant Fred Beyer blickte missmutig in die Gegend. Sein Oberkörper ragte aus der Turm Luke des mehr als drei Meter hohen Panzers, durch das Fernglas beobachtete er angestrengt das Gelände. Die vier anderen Männer der Besatzung dösten im Inneren vor sich hin, momentan hatten sie keine Aufgaben. Es war seine dritte Besatzung, zweimal war er gerade noch aus den brennenden Kisten herausgekommen, die anderen schafften es nicht mehr. Obwohl er sich hundertmal gesagt hatte, dass Krieg war und der nicht ohne Opfer abgeht, lag das Geschehene wie Blei auf seiner Seele, manchmal sah er nachts die Gesichter der Toten vor sich. Immerhin hatte er bereits das sechste Kriegsjahr überlebt und wenn er zurückblickte hing das mit Glück und seinem Können als Panzermann zusammen. Der Krieg hatte für ihn in einem Panzer II begonnen, heute kommandierte er einen Panzer V, einen Panther. Welten lagen zwischen seinem ersten Fahrzeug und dem, in dem er nun saß. Dass es jetzt davon zu wenige gab schob er auf die Arroganz der Führung vor Ausbruch des Krieges. Mit einer nicht zu übertreffenden Siegesgewissheit war die Wehrmacht in Polen eingefallen und hatte den Feldzug dank überlegener Technik und Truppenführung schnell für sich entschieden, die Verluste hielten sich in Grenzen. Erstmalig spielten die Panzer und Flugzeuge eine dominierende Rolle und er war mit dabei. Heute war die Panzertruppe ausgeblutet, zusammen mit vier anderen Panthern und einer Handvoll klappriger Panzer III sollte er einen Abschnitt von 8 Kilometern Breite halten. Dass die dünnen Infanterielinien die Russen nicht lange aufhalten könnten war ihm bewusst. Er schwankte zwischen Pflichtgefühl und Hoffnungslosigkeit, allein die Vorstellung, was die Russen anrichten könnten ließ ihn weiter kämpfen, er gab sich keinen Illusionen hin was geschehen würde wenn Deutschland den Krieg verlieren sollte, und daran gab es nunmehr für ihn keinen Zweifel mehr.

Kramer, sein Funker, rief ihm zu:

„Funkspruch, erste Spitzenpanzer der Russen 20 Kilometer östlich gesichtet.“

Beyer quittierte nur mit einem „Verstanden“, bei dem Tempo das die Russen vorlegten konnten sie in zwei Stunden da sein, viel stand ihnen nicht mehr im Weg, aber es war nicht ihr Verteidigungsabschnitt.

Nur das ferne Donnern der Artillerie und gelegentliches Klackern von Infanteriewaffen störte die scheinbare Ruhe, er löste das Kabel seiner Sprechkombination vom Bordnetz, zog sich auf den Turm und stieg vom Panzer herab. Hinter dem Heck des Panzers schlug er Wasser ab, gleichzeitig stieg ihm der Geruch seiner Panzerkombi in die Nase: Öldunst, Feuchte und Dreck vereinten sich zu einer undefinierbaren Mischung. Seit Tagen hatten sie sich nicht mehr gewaschen, sich von einer Stellung in die nächste zurückziehend gab es keine Gelegenheit dazu, die Russen trieben sie vor sich her. Er stellte sich wieder auf den Panzerturm, setzte das Fernglas an die Augen und suchte den Horizont ab. Fern ging eine Werfersalve herunter, die Flugbahn der Raketen war gut zu erkennen. Er stieg ein, schloss sich an das Bordnetz an und gab den Fahrer einen kurzen Befehl.

„Gunder, fahr ein Stück nach vorn und stelle den Panzer mal besser bei der Buschgruppe ab, dort stehen wir günstiger und Müller hat besseres Blickfeld.“

Der Panzer ruckte an und bewegte sich rasselnd gut zehn Meter vorwärts, Beyer ragte aus dem Turmluk, noch gab es keinen Grund sich hinter die schützende Stahlhülle zu verziehen. In der neuen Stellung war der Blick aus dem Winkelspiegeln der Kommandantenkuppel auch besser, davon überzeugte er sich bei einem schnellen Hinabtauchen in den Panzer.

„Motor aus“ rief er Gunder zu und „alle aussteigen“ war der nächste Befehl. Die Männer schälten sich aus den Luken und traten im Halbkreis um Beyer herum, in ihren schwarzen Panzerkombis waren sie nicht zu unterscheiden und nur dass sie Beyer ansahen zeigte an, dass er der Vorgesetzte war.

„Also Männer, ihr wisst, dass der Russe den Sack dicht gemacht hat. Busse hat die Kapitulation abgelehnt, wahrscheinlich steckt wieder das OKW dahinter. Egal, neben uns stehen noch Peters, Weihnert, Kattwitz und Schulze mit ihren Panthern, ein paar Panzer III der SS-Panzeraufklärungsabteilung 10 und sonst nicht viel. Ich vermute mal, dass der Russe auf den östlichen Teil des Kessels drücken wird, dort stehen die meisten unserer Kräfte, Busse muss bald einen Ausbruch Richtung Amis wagen, die sind knapp 180 Kilometer weit weg. Also haben wir wahrscheinlich ganz gute Karten. Die armen Schweine im Osten werden das meiste abbekommen und wenn dieser Teil zusammenbricht gibt es nur noch eine Richtung, nämlich in unsere. Dass wir dann Spitze fahren ist mir egal, Hauptsache raus aus dem Sack. Wir haben noch einen vollen Kampfsatz auf dem LKW, Peukert, staue noch so viele Granaten wie du kannst. Scheiß drauf, ob wir mit 70 oder 90 Granaten in die Luft fliegen ist doch einerlei. Der Sprit reicht für die Strecke nicht, irgendwo werden wir aber hoffentlich noch welchen auftreiben können. Ich denke, dass wir heute noch Ruhe haben werden, die Infanterie vor uns müsste ja mitbekommen, wenn die Russen vorfühlen. Trinken wir noch einen Schluck, morgen wird’s ernst.“

Gunder tauchte in den Panzer und erschien mit einer Flasche Schnaps wieder, die Männer tranken reihum kräftige Schlucke, an die Scheibenräder des Fahrwerks gelehnt rauchten sie ruhig ihre Zigaretten.

Fred Beyer ließ seine Gedanken zurückschweifen. Hier in der Nähe war er zum Panzermann ausgebildet worden, die ersten Gefechte erlebte er Polen, dann in Frankreich, später in Russland und jetzt war der Krieg nach Deutschland zurückgekommen. Es war nur noch eine Frage von Wochen, dann würde alles zusammenbrechen. Bislang waren der Panzer und seine Männer der Kosmos gewesen in dem er lebte, ohne diese Stütze würde er die Orientierung verlieren. Was hatte er in seinem Leben vorzuweisen? Eine gute Bildung, sportliche Erfolge als Boxer, kurze Liebschaften und 6 Jahre Dienst in der Wehrmacht. Nüchtern betrachtet war er nichts weiter als ein moderner Landsknecht, der sein Handwerk immer mehr perfektioniert hatte, Töten als Aufgabe. Dass er viele seiner Opfer gar nicht zu Gesicht bekommen hatte machte es nicht leichter. Wenn ein getroffener Panzer in zwei Kilometer Entfernung in die Luft flog war das ein Moment den er in der Anspannung des Kampfes nicht als bedrückend empfand, erst wenn das Gefecht vorbei war zählte er unbewusst, wie viele Gegner er an diesem Tag besiegt hatte.

Bis zu diesem Tag hatte er mit seinen Besatzungen nachweislich 82 Panzer abgeschossen, dazu kamen eine Unmenge an Geschützen und PAK, auch die Sprenggranaten und die MG des Panzers rissen Hunderte von Infanteristen in den Tod. Lohn dafür war das Ritterkreuz, das jetzt an seinem Hals baumelte, bereits vor gut 2 Jahren war es ihm verliehen worden, damals war er gerade 23 Jahre alt. Er musste den Panzerkampf nicht im herkömmlichen Sinne lernen, natürlich gab ihm die theoretische Ausbildung erst eine Vorstellung davon, aber er entwickelte schnell die Fähigkeit, die Situation auf dem Gefechtsfeld zu überschauen. Kein einziges Mal war er in den Rausch eines zu erwartenden leichten Sieges verfallen, vorsichtig sondierte er die Kräfteverhältnisse und mit einem untrüglichen Gefühl nahm er Gefahren eher wahr als andere. Wenn die anderen Panzer rücksichtslos vorpreschten, was sie als Zeichen von Mut ansahen, zog er sich im Zweifelsfall eher in eine Deckung zurück, aus der er den Gegner umso wirkungsvoller bekämpfen konnte. Schon allein die spätere Knappheit an Fahrzeugen zwang die Deutschen bald in die Defensive, er hatte diese Taktik vorweggenommen und auch mit Glück waren an seinem Panzer lange nur unbedeutende Schäden aufgetreten.

Als er das erste Mal selbst abgeschossen wurde saß er in einem Panzer II, der ihm heute wie eine Sardinenbüchse vorkam. Er glaubte, den Schock dieses Ereignisses schnell überwunden zu haben, in Wahrheit resultierte daraus aber seine überlegte Kampfweise. Das zweite Mal durchschlug eine Panzergranate sein Fahrzeug in Frankreich, unverletzt konnten alle ausbooten, jedoch wurden zwei seiner Männer von der Maschinengewehrgarbe eines gegnerischen Panzers regelrecht zersägt.

Die schrecklichen Bilder in seinem Kopf verblassten nach und nach und wurden von anderen überlagert, die auch nicht positiver waren. Sie bildeten aber seinen Alltag und irgendwann konnte er keine Gefühle mehr entwickeln, wenn er grausam zugerichtete Tote oder zerstörte Städte und Dörfer sah. Zu Beginn des Krieges wäre es für ihn undenkbar gewesen Menschen in einem Schützenloch lebendig zu begraben, indem der Panzer sich über diesem durch Abbremsen einer Gleiskette drehte, später war es oft das einzige Mittel, um Panzer Nahbekämpfer auszuschalten. Wenn der Richtschütze und der Funker ihre MG abfeuerten und ganze Trauben von Männern tot oder verstümmelt zu Boden fielen beobachtete er dies aufmerksam durch die Winkelspiegel der Kommandantenkuppel wie ein distanzierter Theaterbesucher auf der Empore. Nach dem Gefecht saßen die Männer oft wortkarg zusammen, der Schnaps gehörte immer mehr zu ihrem Tagesablauf und an manchen Tagen waren sie schon mittags angetrunken.

Das Ritterkreuz wirkte auf Frauen, er nahm sie sich wo sich Gelegenheiten ergaben, da war nur noch animalischer Trieb in ihm, und wenn er mit ihnen schlief war es schnell vorüber, ein schaler Geschmack blieb zurück.

In normalen Zeiten wäre er ein Fall für den Psychiater gewesen.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Sammelband 1

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