Читать книгу Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer - Страница 12

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»Wie soll ich das verstehen?«

Lars Knyst war gereizt.

»Wir ermitteln in einem Mordfall, Mann! Ich möchte doch nur wissen, wem der Wagen mit dem Kennzeichen Rufus 15 gehört. Und du erklärst mir, das sei nicht so einfach!«, fauchte er seinen Gesprächspartner am Telefon an. »Ach – das ist ein Leihwagen? Und von welcher ...? Aha. Na, geht doch. Jetzt muss ich nur noch wissen, von welcher Filiale der graue Saab vermietet wurde.«

Er angelte nach einem Stift, um sich die Nummer der Filiale zu notieren, als seine Augenbrauen plötzlich hochschnellten.

»Was? Die sind nicht vernetzt? Soll das heißen, ich muss jetzt jede der Filialen einzeln anrufen?«

Zwanzig Minuten später hatte der Kollege aus Dänemark die Liste mit den einzelnen Filialen und die entsprechenden Nummern gefaxt, und wider Erwarten hatte Lars schon beim dritten Versuch Erfolg.

Bernt Örneberg sprach mit Bjarne Jaspers, dem Wirt des Kro in Holm. Nach vier Tassen Kaffee mit viel Milch hatte Bernt zwar einen gewaltigen Druck auf der Blase, war aber bei den Ermittlungen noch keinen Schritt vorangekommen.

Bjarne Jaspers kannte niemanden, der im Rollstuhl saß. Er wusste auch nicht, ob man das schwere Kreuz in der Kirche verrücken konnte, er jedenfalls hatte das noch nie versucht und kannte auch keinen, der es je ausprobiert hätte. Ja, klar gäbe es im Dorf ein paar kräftige, junge Männer, aber die gingen ja nie in die Kirche und, ehrlich gesagt, es würde ihn eher überraschen zu erfahren, dass sie von dem Glaskreuz überhaupt wüssten. Und die Älteren wären ja wohl kaum in der Lage – und wieso sollte überhaupt jemand aus Holm mit der Sache zu tun haben? Ja, er gäbe schon zu: Ein zufälliges Zusammentreffen eines unbekannten Rollstuhlfahrers und einer unbekannten Gruppe von Tätern in einem selbst dem Tourismus unbekannten Ort wie Holm sei zumindest unwahrscheinlich – aber so sei der Zufall eben nun mal, oder nicht? Das sei doch wohl ein typisches Merkmal. Und seine deutsche Großmutter habe auch schon immer gesagt: Unverhofft kommt oft.

Außerdem solle der Ermittler doch nach so viel Kaffee lieber noch etwas essen.

Das sei gut für den Magen. Und gerade heute habe er so leckere Smörebröd im Angebot.

»Oder Toast? Wie wäre es mit einem Toast Skagen? Meine Frau bereitet ihn dir ganz frisch zu!«

Bernt gab auf und ging zur Toilette.

Britta Lilliehöök wurde von einer entrüsteten Haushälterin zum Tee ins Pfarrhaus gebeten.

»Seit über zwanzig Jahren mach ich nun für den Herrn Pfarrer den Haushalt – aber so was ist uns noch nie untergekommen. Wir waren schon in ein paar Gemeinden, das ist ja so üblich in einem Pfarrerleben – aber außer ein paar Prügeleien und Familienzwistigkeiten ist nichts Außergewöhnliches passiert. Du weißt schon: wenn der Alkohol das Regiment übernimmt, da bleibt das oft nicht aus. Aber ein Mord!«

Die dralle Wirtschafterin bugsierte Britta ins gemütliche Wohnzimmer. Der Inspektorin kam es vor, als träte sie durch ein Zeitfenster in ein Zimmer aus einem vergangenen Jahrhundert. Hier sah es genauso aus wie in einem der Agatha-Christie-Romane, die sie so liebte.

Fast erwartete man Miss Marple am Fenster vorbeihuschen zu sehen.

Die antiquierte Sitzgruppe, auf deren Armlehnen gehäkelte Schoner lagen, die dunklen Möbel, die das Zimmer ein wenig höhlenartig wirken ließen, die Lampe über dem Couchtisch, deren Troddeln sich im Laufe der Jahre gelblich verfärbt hatten, und die vielen Bücher, die sich ihren Weg aus den deckenhohen Regalen über Stapel auf dem Fußboden bis zu einem der Sessel gesucht hatten, alles schien aus Monkswell Manor in Die Mausefalle zu stammen. Auch die Haushälterin mit ihrem akkuraten schwarzen Kleid und der weißen Schürze passte perfekt hinein.

»So eine Frechheit – im Hause des Herrn, und dann auch noch mit einem Kreuz! Das ist pure Blasphemie! Also ich weiß nicht, ob der Pfarrer sich von dem Schock je wieder erholen wird. Er ist noch immer ganz verstört, der Ärmste.«

Britta nickte verständnisvoll.

»Wie rücksichtslos von diesen Unmenschen. Pfarrer Landulf hätte ja der Schlag treffen können! – Kräutertee oder Grünen Tee?«

»Ach, Quatsch. So schwer ist das Kreuz nun auch wieder nicht. Ungefähr 120 Kilo, schätz ich mal. Einer allein hätte es nicht bewegen können, aber so viele Leute hätt’s jetzt auch wieder nicht gebraucht. Die Gemeinde hat aus dem Aufstellen des Kreuzes ein Riesenhappening gemacht, mit Musik und Grillen – aber wirklich nötig wäre das nicht gewesen.« Knut Hallmannsson Augen blitzten Ole Wikström amüsiert an. Sein faltiges, deutlich verlebtes Gesicht schien noch furchiger zu werden, wenn er lachte. Seine Haare, falls er noch welche hatte, waren unter einer bunt geringelten Strickmütze verborgen, die perfekt zu seinem ebenfalls geringelten, völlig ausgeleierten Pullover passte. Der Mann sah eindeutig nicht gesund aus, fand Ole.

»Nur weil ich der Gemeinde das Kreuz geschenkt habe, muss ich doch nicht auch gleich irgendwas mit Religion am Hut haben! Hab ich nämlich nicht. Ist doch eh alles Quatsch. Aber wenn’s den Leuten gefällt. Mir soll’s egal sein. Du weißt schon: Religion ist Opium fürs Volk.«

Eine Welle aus Alkoholdunst schwappte auf Wikström zu. Er hatte Hallmannsson überraschend in der Kirche angetroffen, wo der Künstler mit gesenktem Blick den Boden nach Glassplittern absuchte. Offensichtlich hatte Hallmannsson keinen Besuch erwartet und konnte den Flachmann nicht so schnell in der Hosentasche verschwinden lassen, wie er das vorhatte.

Eine Alkoholfahne hatte in einem Gotteshaus etwas leicht Irritierendes, registrierte Ole und unterdrückte den Impuls sich abzuwenden.

»Warum bist du hier?«, fragte er.

»Gegenfrage: Was meinst du: in dem Nest oder hier in der Kirche?«

Ole überlegte kurz.

»Beides.«

»In dem Nest, weil ich hier in Ruhe arbeiten kann.

Außerdem will meine Frau hier nicht weg. Sie liebt unseren kleinen Hof und das ganze Viehzeug. Und hier in der Kirche, weil ich gucken wollte, ob das Kreuz Schaden genommen hat. Ist aber alles soweit in Ordnung. Ist doch irre, was?« Die Begeisterung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Ein Mann erschlagen von meinem Kreuz!«

Im Revier Einar Dahls ging es weit weniger gemütlich zu als im Haus des Pfarrers. Das Telefon stand kaum mal zwei Minuten still, und Einar gab jedem Anrufer die gleiche Auskunft: Ja, es habe einen Toten in der Kirche gegeben, nein, er wisse nicht, um wen es sich handle, weitere Auskünfte könne er nicht geben, der Fall läge in den Händen der Göteborger Kollegen.

Man hätte genauso gut eine Ansage vom Band schalten können, überlegte Ole und wartete gelangweilt darauf, dass Einar das Gespräch beendete.

»So, was also wolltest du genau wissen?«

»Ich hatte gefragt, ob du dir eine Verbindung des fremden Rollstuhlfahrers zum Dorf vorstellen kannst?«, wiederholte Ole.

»Wie denn? Ohne Namen, ohne irgendeinen Hinweis?«

»Na, vielleicht hat hier mal jemand gewohnt, der einen Rollstuhl benutzen musste. Der Tote war mittleren Alters, besonders auffällig waren seine hellroten Haare. Also?«

»Ich kann mich jedenfalls an keinen erinnern«, brummte Einar gereizt.

Das Telefon schrillte erneut.

Ole stand auf und sah aus dem Fenster. In so einem kleinen Dorf müsste man sich doch an einen Rollstuhlfahrer erinnern, dachte er übellaunig.

»Wer war denn eigentlich vor dir hier Ortspolizist?«, fragte er, als Einar den Hörer endlich auflegte.

»Uli Morgenstern.«

»Aha. Ungewöhnlicher Name. Wo kann ich ihn finden?« Wikström bemerkte, wie ihm die früh hereinbrechende Dunkelheit auf die Stimmung schlug. Kurz nach vier Uhr fiel bereits die Nacht über die Straßen her und fraß den Tag auf. Dabei hatte der Winter noch gar nicht richtig angefangen. Du wirst langsam reizbar, dachte er missbilligend. Seiner Schwester war das auch schon aufgefallen: Im Winter verwandelte sich der jugendlich lustige und originelle Ole in einen nörgligen und reizbaren Misanthropen. Vielleicht sollte er seinen Arzt mal nach dieser neuen Lichttherapie fragen, dachte er. Mist, jetzt hatte er die Antwort nicht mitbekommen.

»Wo?«

»Na, ich sag doch: auf dem Friedhof.«

»So? War er krank?«

»Nein. Ist vor ein paar Jahren mit seiner Jolle rausgefahren. War ein prima Segler, der Uli, aber an dem Tag war es sehr stürmisch, und da muss er wohl über Bord gegangen sein. Das Boot hat man erst nach Monaten gefunden. Er selbst wurde acht Tage nach seinem Verschwinden unten in Sandvik angespült. Ich musste hin – es war grausig.«

Einar schüttelte sich.

»Was kam bei der Untersuchung raus?«

»Er wurde obduziert. Als Todesursache hat der forensische Pathologe einen schweren Hieb auf den Hinterkopf festgestellt. Er war wohl vom umherschlagenden Segel getroffen worden und ist dann über Bord gegangen. Fremdverschulden war nicht anzunehmen – schließlich war er ja allein unterwegs. Man muss auch zugeben, dass es nicht mehr allzu viel gab, was der Rechtsmediziner hätte untersuchen können – du weißt schon, die Fische. Bei der feierlichen Beisetzung gab’s einen großen Auflauf. Alle waren da. Die ganze Insel.«

Er war sichtlich ergriffen.

»Wie konntest du ihn dann überhaupt identifizieren?«, fragte Ole.

»Na, er sah schon ziemlich schrecklich aus – unvorstellbar, so zerfetzt schon nach ein paar Tagen. Noch heute träume ich manchmal von diesem Gesicht, dann wache ich schweißgebadet auf. Nach so langer Zeit! Der Arzt meinte damals, vielleicht habe auch die Brandung das ihre dazu beigetragen. Jedenfalls hat der Gerichtsmediziner die eindeutige Identifizierung anhand der Zahnarztunterlagen vornehmen müssen.«

»Also gut. Wen kann ich denn sonst noch fragen?«

»Jens, dem gehört der kleine Supermarkt am Ende der Straße. Alle kaufen bei ihm ein – und dabei schütten wohl manche auch gleich ihr Herz bei ihm aus. Der weiß mehr, als ihm lieb sein kann.«

Mord im Hause des Herrn

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