Читать книгу Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer - Страница 16
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ОглавлениеEr saß oben im Baum vor dem Haus und wartete auf sie.
Er hatte Angst.
Mehr als je zuvor in seinem Leben.
Schniefend zog er die Nase hoch und wischte mit dem Ärmel schmierige Reste von der Oberlippe. Sie sollten ihn nicht weinen sehen. Die Freude würde er ihnen nicht machen. Er würde sie auch nicht um Gnade anbetteln. Diesmal nicht, nie mehr.
Von seinem Platz im Baum aus konnte er in sein Zimmer hineinsehen. Wie gerne läge er jetzt in seinem Bett mit einem spannenden Buch oder einer Hörspielcassette, den Kater auf dem Bauch.
Er seufzte.
Es hatte keinen Sinn.
Sie würden mit Sicherheit kommen – da könnte auch das Bett keinen Schutz bieten. Morgen war wieder Schule, und schließlich konnte er sich nicht auf Dauer vor ihnen verkriechen.
Das wollte er auch gar nicht – er war nicht feige!
Diesmal konnte es kein Pardon geben – das war klar. Noch nie zuvor waren der Dicke, der Dünne und der Kurze so gedemütigt worden, und nie zuvor hatte er sie so wütend gesehen.
Er war zu weit gegangen – das war unverzeihlich. Deshalb wusste er auch so sicher, dass sie kommen würden, und zwar noch heute. Die Sache duldete aus ihrer Sicht keinen Aufschub. Und da war es besser, im Baum auf sie zu warten, denn von seinem Ast aus würde er sie frühzeitig kommen sehen, schon lange bevor sie das Haus erreicht hatten.
Er fror.
Trotz der sommerlichen Hitze, die nun schon seit mehr als zwei Wochen über dem Land lag. Seine Hände und Füße waren so kalt, er spürte sie kaum noch.
Eine halbe Stunde später entdeckte er drei Punkte am Horizont. Zitternd beobachtete er, wie bedrohlich schnell sie näher kamen. Natürlich, sie kamen auf den Rädern her. So konnten sie auch danach schnell wieder verschwinden. Unbemerkt, ungesehen. Hier draußen wohnte außer ihm und seiner Mutter niemand mehr.
Wie würde ihre Rache wohl diesmal aussehen? Kamen sie vielleicht sogar mit der Absicht, ihn zu töten?
Ach Quatsch, versuchte er sich zu beruhigen, Kinder brachten doch keinen um – jedenfalls nicht in Schweden, und nicht wegen so was!
Kindersoldaten vielleicht – aber das war weit weg, in einer anderen Welt, im Krieg.
In den Nachrichten.
Nicht hier.
Nicht aus diesem Grund.