Читать книгу Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer - Страница 6
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ОглавлениеSven Lundquist sah den Wald vor lauter Weihnachtsbäumen nicht. Der Verkäufer, ein vierschrötiger, übergewichtiger Mann, der allen Ernstes behauptete, all seine Bäume eigenhändig frisch geschlagen zu haben, machte inzwischen keinen Hehl mehr aus seiner Ungeduld.
»Vielleicht willst du ihn ja erst mal probeschmücken, um die Wirkung der Kugeln am Baum zu testen?«
Lundquist grinste schief.
Er glaubte dem Mann kein Wort.
Wahrscheinlich waren die Bäume schon vor Monaten geschlagen worden und würden, einmal im Wohnzimmer, sofort ihre Nadeln abwerfen.
»Nein.«
»Also mehr Bäume hab ich nicht, als du dir angeschaut hast! Du solltest dich jetzt einfach entscheiden. Ich muss mich schließlich auch noch um die anderen Kunden kümmern.«
Er zeigte auf ein junges Pärchen, das sich durch Kuscheln warm hielt.
»Also gut«, sagte Lundquist, »den nehm ich.«
Zunächst staunte der Mann, weil Lundquist noch kurz zuvor den Baum seines zu krummen Wuchses wegen abgewiesen hatte, aber dann dachte er, dass das Leben eben oft krumme Wege ging, und zog ihn achselzuckend durch die Netzverspannung.
In diesem Jahr sollte es wieder ein fröhliches Fest werden, das war er seiner Tochter – und vielleicht auch sich selbst – schuldig, überlegte Lundquist. Er hatte kein Recht dazu, sie in ein Leben in Trauer zu zwingen. Drei Jahre war es nun her, dass Anna bei diesem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen war. Es wurde Zeit, Lisa wieder ein relativ normales Leben zu bieten. Eines, wie es die anderen Kinder, die sie kannte, auch führten. Da durfte weder die Erinnerung an Anna noch seine eigene schwere Krankheit eine Rolle spielen. Und da war ja auch noch Magda.
Mit ihr würde nun ein ganz neuer Lebensabschnitt beginnen.
Beschwingt zog er einen Einkaufswagen heran und begann ihn zu füllen. Weihnachtsbier konnte er auch später noch kaufen, beschloss er, das Elchfleisch für das traditionelle Weihnachtsmenü der Familie Lundquist, Elchrouladen mit Gurkenmus, hatte er schon in der Tiefkühltruhe eingelagert.
Mehl, Kardamom, Zimt, Hefe, Mohn ...
Nach Annas Tod hatte er geglaubt, nie wieder glücklich sein zu können. Er lebte überhaupt nur für seine kleine Tochter weiter. Zusammen mit seiner Mutter war er in eine geräumige Wohnung in der Vasagatan in Göteborgs Innenstadt gezogen. Sie kümmerte sich um Lisa und den Haushalt, und er ging jeden Tag zur Arbeit. Seine ungeregelten Arbeitszeiten bei der Kriminalpolizei Göteborg waren deshalb kein Problem.
Doch dann, als er gerade zu hoffen begann, er könne wieder in einen relativ normalen Alltag zurückfinden, folgte ein weiterer Schicksalsschlag: Er wurde krank. Multiple Sklerose.
Vor einem Schaufenster blitzte sein Spiegelbild auf. Eigentlich sah er für einen Kriminalhauptkommissar zu harmlos aus, dachte er, und wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Sven Lundquist fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes dunkles Haar und forschte nach Anzeichen des nahenden Alters. Du bist hoffnungslos eitel, schalt er sich sanft. Ein bisschen schlanker war er geworden, nahm er erstaunt zur Kenntnis, denn viel Zeit für Sport blieb ihm nicht. Er dachte ein wenig neidisch an Lars’ athletischen Körperbau, Ergebnis eines harten und konsequenten Trainings. Nichts für ihn, er verbrachte seine Freizeit lieber mit Lisa und Magda.
Sein Körper straffte sich. Er spürte, wie das Leben sich in ihm wieder breit machte, seinen Gang beflügelte und den Kopf endlich befreite. Ja, sagte er sich, er wollte wieder glücklich sein – und das gelang ihm am besten mit Magda.
Weihnachten wird ein Neuanfang werden, dachte er voller Zuversicht.
Als er eine halbe Stunde später mit seinem Freund und Kollegen Lars Knyst in einem Café zusammentraf und sie sich gegenseitig Geschenkvorschläge für ihre Lieben machten, war die Welt für Sven Lundquist fast völlig in Ordnung.
Doch Mörder nehmen in der Regel weder Rücksicht auf Wochenenden oder Feiertage. Und zu diesem Zeitpunkt wusste außer den unmittelbar Beteiligten niemand von dem langsam erstarrenden Körper, der Lundquist und seinem Team in Kürze viele Rätsel aufgeben würde.