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I. A Untersuchungsgebiet
ОглавлениеItalien, dessen geographische Nordgrenze lange undefiniert geblieben, steht im Fokus dieser Arbeit. Einen starken Impuls zur sozialen Integration der Bevölkerung Italiens, setzte nach dem Ende der Bundesgenossenkriege 88 v. Chr. ein, als allen Bewohnern der Peninsula das römische Bürgerrecht zuerkannt wurde3. Somit bekam die Bevölkerung auch außerhalb Roms bis hinauf zum Po volle Bürgerrechte, womit gerade derjenige Reichsteil privilegiert wurde, dessen Bevölkerung ohnehin bereits stark romanisiert war. Ciceros Ausspruch von tota Italia4, aus dem ein eben starker Integrationsgedanke spricht, dürfte sich auf diese Maßnahme beziehen, jedoch war eine vollkommene Gleichstellung aller Einwohner Italiens damit noch nicht eingetreten5. Mit der lex roscia Caesars erhielten 49 v. Chr. das römische Bürgerrecht auch die Bewohner der nördlich des Po gelegenen Gallia Cisalpina, die 42 v. Chr. als Provinz aufgelöst und territorial Italien zugeschlagen wurde. Mit der Constitutio Antoniniana Caracallas (212/213 n.Chr.) ging das römische Bürgerrecht auf alle freien Bürger des Reiches über6.
Beim Zensus des Jahres 70 v. Chr. lebten wohl etwa 910.000 freie Männer und ihre Familien in Italien, Rom ausgenommen7. Die Gesamtbevölkerung der Peninsula um die Zeitenwende wird – inklusive der Sklaven – realistisch mit etwa 4,2 bis 4,9 Millionen Menschen angenommen; gestützt auch auf die in den Res Gestae Divi Augusti genannten Zahlen8. Nach Ägypten, Syria-Palestina und der Cyrenaika war Italien seinerzeit reichsweit eines der am dichtesten besiedelten Gebiete. Siziliens Bevölkerung wird für den Beginn des 1. Jhs. n.Chr. auf ca. 600.000 Menschen geschätzt9. Diese Bevölkerungsgröße blieb bis in die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. weitgehend unverändert.
Im 1. Jh. n. Chr. nennt Plinius d. Ä. für Italien 400 städtische Zentren, von denen die meisten mit wenigen tausend Einwohnern eher klein blieben10. Auffällig ist der mit 40 % in dieser Zeit schon sehr hohe Prozentsatz in Städten lebender Menschen, wobei Rom hier mit eingeschlossen ist. Von Rom abgesehen gibt es für wenige Städte verlässliche Informationen zur Einwohnerzahl. So wird die Einwohnerzahl der Städte Bononia (Bologna) und Pisae für das 1. Jh. n. Chr. auf ca. 10.000 beziehungsweise 20 000 Personen geschätzt und die der kampanischen Städte Capua und Neapolis auf ca. 36 000 beziehungsweise 1500011. In Catania auf Sizilien sollen in dieser Zeit etwa 18000 Menschen gelebt haben. Für die folgende Untersuchung müssen wir uns gleichwohl bewusst machen, dass der Status einer Stadt und ihr Prestige unter den Städten des Imperiums nicht allein von der Einwohnerzahl abhingen, sondern dass dabei auch andere Faktoren (Gründungsdatum, politische und wirtschaftliche Bedeutung) wesentlich mit hineinspielten12.
In republikanischer Zeit reichte Italien geographisch zunächst nur bis zum Fluss Aesis in Umbrien, während die nördlich anschließenden Gebiete zur Gallia Cispadana gerechnet wurden. Seit Sulla bildeten Arno und Rubicon die nördliche Grenze des als Italien bezeichneten Landesteils und erst unter Augustus wurde auch das Gebiet nördlich des Po zum Kernland Italien hinzugerechnet.
Das Untersuchungsgebiet Italien und Sizilien wird im Rahmen dieser Arbeit zunächst in vier Einzellandschaften gegliedert (s. Karte 1), nämlich in Mittel-, Unter- und Oberitalien sowie die Insel Sizilien. Diese Gliederung erfolgt zum einen pragmatisch nach geographischen Gesichtspunkten, indem die durch das Mittelmeer definierten Landschaften Italien und Sizilien als natürliche Raumeinheiten berücksichtigt werden. Das hohe Fundaufkommen auf dem italischen Festland, die heterogene Fundverbreitung und die historisch-territorialen Entwicklungen verlangen darüber hinaus eine weitere geographische Untergliederung der untersuchten Räume. Im Hinblick auf die Geographie Italiens werden dabei zweierlei Untersuchungsansätze verfolgt. Zuerst werden die Funde nach ihrem Vorkommen im Norden, im Zentrum oder im Süden der Halbinsel untersucht. Bei diesem Ansatz spielen die geschichtlichen Schritte römischer Okkupation von den Zentren Rom und Latium in Mittelitalien zunächst nach Süden, in späterer Folge auch nach Norden in Richtung auf die Alpen eine wesentliche Rolle, da sich mit diesen Okkupationsschritten für die Landschaften in Nord und Süd unterschiedlich lange Romanisierungsphasen verbinden. Wenngleich Italien in der hier vorwiegend behandelten Kaiserzeit (zum zeitlichen Rahmen s. unten) eine administrative Verbundregion darstellte, soll nicht der Umstand außer Acht gelassen werden, dass diese das Resultat einer langen Integrationsentwicklung war, in deren Zuge die verschiedenen Landesteile kulturell und politisch sukzessive miteinander verknüpft wurden. Da auch die Zeitspanne des eigentlichen Romanisierungsprozesses13 entscheidenden Einfluss auf das ökonomische sowie das soziale Gepräge einzelner Gebiete haben konnte, erfolgt zunächst eine getrennte Besprechung der Schiffsdarstellungen aus den genannten Landschaften, bevor die Ergebnisse dieser Einzeluntersuchungen einer vergleichenden Analyse unterzogen werden. Im zweiten, komprimierten Untersuchungsansatz wird dasselbe Fundmaterial noch einmal getrennt nach jenen elf Regionen vorgelegt, in die Augustus die Halbinsel Italien 7 n. Chr. gliederte. Dieser Untersuchungsweg verfolgt das Ziel, mögliche Auswirkungen von mit der Zeitenwende entstandenen regionalen Identitäten auf das maritime Kunstschaffen und die Herstellung von Schiffsbildern herauszuarbeiten.
So ergibt sich für die untersuchten Landschaften folgende Reihenfolge: Zunächst werden die Schiffsdarstellungen aus Latium und den anderen Fundorten Mittelitaliens (Karte 1 Bereich A; Katalog-Nr. LA1–LA279) analysiert, danach diejenigen aus Kampanien und von weiteren Fundorten Unteritaliens (Karte 1 Bereich B; Katalog-Nr. KA1–KA95). Es mag dabei die Frage aufkommen, weshalb die Landschaften Latium und Kampanien, wenngleich räumlich benachbart, in dieser Arbeit zunächst doch keine gemeinsame Behandlung erfahren. Mehrere gute Gründe sprechen für eine getrennte Behandlung gemäß ihrer Lage in Mittel- bzw. Unteritalien. Unteritalien und insbesondere Kampanien sowie die dortigen Städte waren durch die hier seit Jahrhunderten siedelnden Griechen kulturell bestimmt und nachhaltig geprägt worden. Fortwährend dichte Besiedelung sahen insbesondere die West- sowie mit Abstrichen die Südküsten Unteritaliens, ein Gebiet mit zahlreichen griechischen Pflanzstädten, während die Ostküste in jener vorrömischen Zeit zwar ebenfalls griechischen Einfluss erfahren, dabei aber vergleichsweise siedlungsarm geblieben war. Gleichwohl bilden jene anderen Gebiete, bezogen auf die stark von griechischen Kolonien durchsetzten Landschaften im Westen und Süden ein Hinterland, in das spezifisch griechische Einflüsse ebenfalls einwirken konnten14. Städte wie Neapolis, Rhegium und Tarentum verbanden noch im 1. Jh. v. Chr. starke Widerstände gegen die bereits weithin um sich greifende Romanisierung. Mit diesen Gebieten teilt Kampanien einen der Magna Graecia inhärenten geschichtlichen sowie kulturspezifischen Eigenschaftenkatalog, welcher dem weiter nördlich gelegenen Latium weitgehend fehlt15.
Im Rahmen der Untersuchung folgen auf Latium und Kampanien die Darstellungen aus Nordetrurien, Umbrien und von anderen Fundstätten Oberitaliens (Karte 1 Bereich C; Katalog-Nr. EO1–EO23), bevor die Schiffsbilder Siziliens (Karte 1 Bereich D; Katalog-Nr. SI1–SI6) analysiert werden, wo das Untersuchungsgebiet geographisch mit der antiken Provinzgrenze übereinstimmt. Die untersuchten Landschaften eint ihre Lage im oder in der unmittelbaren Peripherie des geographischen, politischen und in gewisser Weise auch ideellen Zentrum des Reiches. Aus der Perspektive der Urbs lagen sie gewissermaßen vor der Türschwelle, weshalb die Distanzen zwischen den Landesteilen – zu Lande wie auf dem Wasser – vergleichsweise gering waren.
Selbstverständlich ist das Vorkommen von Schiffsdarstellungen nicht auf den beschriebenen geographischen Mittelpunkt des Imperiums, Italien und Sizilien, beschränkt. Ein stilistisch wie inhaltlich ebenso facettenreiches Bilderspektrum findet sich auch in den Städten Nordafrikas, und dort gerade in jenem Landschaftsraum zwischen Tripolitanien im Osten und Numidien im Westen (s. Karte 1 Bereich E), dessen einschlägiges Dekorationenpanorama besonders zahlreich in Wohnhäusern und öffentlichen Thermen hervorsticht und einen insgesamt sehr reichhaltigen Fundus ausbildet. Dieser Bilderbestand wurde hier ebenfalls erfasst (Katalog-Nr. AF1–AF71). Wir begreifen Nordafrika gleichwohl geographisch und kulturell nicht als natürliche Fortsetzung der europäischen Gebiete, auf die mithin derselbe methodische Zugriff angewandt sein müsste. Vielmehr betrachten wir die dort vorhandenen oder von dort stammenden Quellenbestände unter einem etwas anderen Blickwinkel. So nehmen wir an, dass die Gebiete am Südgestade des Mittelmeeres eine in sich recht heterogen geschlossene Landschaft bildeten, bezogen auf ökonomische, siedlungsgeographische und kulturelle Phänomene. Insofern darf hier mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit Entwicklungslinien gerechnet werden, die von denjenigen der europäischen Untersuchungsgebiete abweichen. Ermutigend ist überdies der gute Forschungsstand insbesondere zu den nordafrikanischen Mosaikbildern und zu den Wohnhäusern in diesen Gebieten, der eine wichtige Basis bildet für die hier angestellten Beobachtungen gerade zu den Schiffsbildern und den sonstigen maritimen Bildthemen. Die nordafrikanischen Exemplare und dortigen Kontextbefunde werden gestrafft abgehandelt werden und der Befund danach den Ergebnissen in den anderen Gebieten gegenübergestellt. Dieser Zugriffsweg, der den italischen Verhältnisse diejenigen eines (benachbarten) außereuropäischen Gebietes gegenübergestellt, soll helfen, die italischen Schiffsdarstellungen objektiv durch eine Perspektive ‚von außen her‘ zu referenzieren.
Während die oben formulierten Überlegungen einerseits Untersuchungen in einem geographisch klar umrissenen Gebiet begründen, sind damit andererseits auch diejenigen Gebiete definiert, die hier nicht berücksichtigt werden können. Vollständig ausgeklammert bleiben die hispanischen Provinzen, Gallien sowie Mauretanien und Ägypten. Diese Regionen unterliegen geographisch und in der Chronologie der Reichsgeschichte so wesentlich anderen Voraussetzungen, dass ein direkter Vergleich mit den oben genannten Gebieten die Grenzen dieser Untersuchung sprengen würde.