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3.
Neapel, 4. August 1718

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»Stefano, du hast einen Brief bekommen. Er liegt auf dem Küchentisch. Das Siegel sieht sehr herrschaftlich aus. Wer schreibt dir denn solche Briefe?« Lucia sah ihm von der Veranda des weißen Häuschens aus neugierig entgegen und schien schwer beeindruckt zu sein. Über die Näharbeit, die sie in der Hand hielt, hinweg, zeigte sie in die Küche hinein. »Gleich dort liegt er.«

»Schon gut, Mama, das kann warten.«

»Junge, was kann denn wichtiger sein als solch ein Schreiben?«

»Na, das hier!« Stefano trat zu seiner Mutter, zog sie an sich, umarmte sie und küsste sie herzhaft auf beide Wangen.

»Stefano!«

»Ja?«

Lucia strahlte ihren Sohn an. »Alter Charmeur! Früher hattest du meist etwas ausgefressen, wenn du das getan hast.«

»Na siehst du, davor musst du dich heute nicht mehr fürchten. Heute bin ich erwachsen und sehr, sehr vernünftig.«

Lucia hüstelte leise, zog es aber offenbar vor zu schweigen.

Breit grinsend stapfte Stefano ins Haus. Er sah den Umschlag sofort und schon auf den ersten Blick ahnte er, woher er kam. Er ergriff das Schriftstück und wog es in Händen. Das war schweres, edles Papier, nicht das seltsam raue, auf dem die italienische Obrigkeit ihre Schreiben verfasste. Fast schon schuldbewusst warf er einen Blick hinaus zu seiner Mutter, die sich erneut darauf konzentrierte, die Hemden, die er und sein Vater fortwährend ruinierten, wieder zu flicken und sie in einen passablen Zustand zu versetzen. Er setzte sich auf den Küchentisch und betrachtete eingehend das rote Siegel. Er hätte es wissen müssen. Seit Wochen schon rüsteten sie im Hafen die großen Segler auf, seit Wochen fuhren sie draußen vor der Küste ihre Manöver und beobachteten die spanischen Fregatten, die sich immer bedrohlicher den Küsten näherten. Bereits Anfang Juli war er zum Kapitän beordert worden, der ihm lediglich mitgeteilt hatte, was er eigentlich schon wusste. Die Schiffe der britischen Krone würden Neapel im Kampf gegen die spanische Kriegsflotte unterstützen. Die Entscheidung hatte irgendwann fallen müssen, und nun war es wohl soweit. Stefano atmete tief durch und dann brach er das Siegel, entfaltete das Schreiben und las.

»Mama, Papa, ich muss mit euch sprechen.«

Lucia wurde schon übel, als sie die Stimme ihres Sohnes vernahm. Sie klang nicht wie sonst, nicht so unbeschwert. So hatte Stefano noch nie geklungen.

Domenico schien ebenfalls zu ahnen, dass das, was er ihnen mitzuteilen hatte, etwas Schwerwiegendes sein musste. »Was ist los, mein Sohn? Ist etwas geschehen?«

»So kann man es auch sagen. Bitte, setzt euch.«

»Stefano, mach mir keine Angst.«

»Mama, hab keine Sorge. Es mag schlimmer klingen, als es ist.«

Sie setzte sich auf die hölzerne Bank, die direkt unter ihrem Küchenfenster stand, zog Domenico neben sich und starrte in das schöne Gesicht ihres Sohnes. »Erzähl, Stefano, wir hören dir zu.«

Es dauerte etwas, bis er begann zu sprechen. Fast schien es, als wählte er seine Worte so, dass sie nicht allzu schwerwiegend klingen sollten.

»Während meiner ersten Fahrt als Offizier auf der Ana Maria ankerten wir für vier Tage in Plymouth. Dort lagen auch die George I und mehrere britische Fregatten vor Anker, um überholt zu werden. Unser Kapitän ist ein langjähriger Freund des Admirals, der die George I befehligt. Admiral George Byng lud den Kapitän und die Offiziere zu sich zum Dinner ein. Für die beiden Folgetage waren Manöver geplant, ein freundschaftliches Kräftemessen. Nun, langer Rede kurzer Sinn, obwohl die George I der Ana Maria weit überlegen ist, gewannen wir, da unser Kapitän meinen Ratschlag annahm und wir die Größe der George I zu unserem Vorteil nutzten. Der Admiral war wohl ziemlich von unserem Sieg überrascht und angetan von unserer Strategie. Er zeigte gesteigertes Interesse an meiner Person, und das Ende vom Lied war, dass ich, falls die Spanier sich nicht aus unseren Gewässern zurückziehen und die britische Flotte zusammen mit der Allianz eingreifen würde, auf der George I als zweiter Offizier mitsegeln werde.«

Stefano schwieg und sah ein wenig betreten zu Boden.

Das klang bedrohlich. Lucia schluckte schwer.

»Du versuchst also gerade uns beizubringen, dass du auf ein britisches Kriegsschiff gehen wirst, wenn es sich so ergeben sollte?«

Stefano nickte zaghaft.

»Und in diesem Schreiben stand, dass es irgendwann geschehen wird?«

Wieder nickte ihr Sohn.

»Stefano! Bei allen Heiligen, sprich mit uns. Wann sollst du Neapel verlassen und wie lange? Wenn das stimmt, was man in der Stadt hört und ich mir ansehe, dass über zweitausend deutsche Soldaten hier eingetroffen sind, dann macht mir das doch ziemlich große Angst.«

»Ja, ich bin sonst nicht gerade furchtsam, das weißt du, aber das klingt nicht gut«, pflichtete ihr Domenico bei.

»Nun ja, um ehrlich zu sein: Ich werde übermorgen gemeinsam mit den deutschen Truppen hier abgeholt. Bitte, sorgt euch nicht. Die britische Flotte ist ungeheuer schlagkräftig, sie haben die besten Taktiker und sie haben einen exzellenten Admiral. George Byng wird diesen Einsatz zu einem für Neapel, nein, für ganz Italien siegreichen Ende bringen. Bitte, wir können und dürfen nicht zulassen, dass diese gierigen Spanier sich erneut hier breitmachen, dass sie schon wieder damit anfangen, sich unsere Schätze anzueignen und unsere Steuern nach Spanien wandern. Wir werden sie zurückschlagen und dann wird alles gut. Neapel wird frei sein!«

»Ja, und du wahrscheinlich auch, mein Sohn. Dir ist schon bewusst, dass du und Giannina am 15. August heiraten wolltet?« Lucia warf ihren letzten Trumpf ins Spiel, ahnte aber sehr wohl, dass er nicht stechen würde.

»Mama, das werden wir doch auch! Ich komme heil und gesund zu euch zurück. Mir geschieht nichts auf der George I

»Weiß Giannina schon Bescheid?«

Stefano seufzte. »Nein, sie weiß es noch nicht.«

Lucia erhob sich, strich ihren Rock glatt und wandte sich zum Gehen. »Dann würde ich an deiner Stelle es ihr sofort mitteilen! Von Dritten zu erfahren, dass der Verlobte in einen Krieg zieht, hat sie beileibe nicht verdient.«

Lucia beeilte sich, das Haus zu verlassen, denn die Tränen, die nun über ihre Wangen rollten, sollten weder Stefano noch Domenico zu sehen bekommen.

Geschenk der Nacht

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