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4.

George Byng stand auf dem Achterdeck seines Schiffs und beobachtete seit geraumer Zeit, wie nacheinander mehrere der unter seinem Kommando segelnden Schiffe am Kai des Hafens in Neapel anlegten, um die neuen Truppen an Bord zu nehmen. Auf die George I würde keiner von ihnen kommen. Seine Mannschaft war komplett, gut, fast komplett. Interessiert ließ er seinen Blick über das Hafengelände schweifen. Es dauerte nicht lange, bis er ihn entdeckte. Ein Lächeln kräuselte seine Lippen. Der Kerl war unglaublich, selbst in dem Gewimmel dort an Land stach er aus allen anderen hervor. George stützte sich an der Reling ab und sah zu ihm hinüber. Rudolfo würde den Tag verfluchen, an dem er ihm gestattet hatte, Stefano Borello für diese Mission unter seiner Flagge segeln zu lassen. Er wäre nicht George Byng gewesen, wenn er auch nur ansatzweise geplant hätte, Borello wieder gehen zu lassen. Dass der junge Mann ehrgeizig war, das war ihm von der ersten Begegnung an bewusst gewesen. Die Möglichkeiten, die er ihm zu bieten gedachte, konnte eine italienische Brigg ihm nie und nimmer offerieren. Wenn er die für ihn vorgesehene Feuertaufe bestand, dann würde er einen perfekten Offizier seiner Majestät abgeben. Drüben am Kai legte soeben das letzte der Schiffe ab. Es war an der Zeit, den vielversprechenden jungen Mann abholen zu lassen. Der Admiral richtete sich zu seiner vollen Größe auf und gab Order, das Beiboot zu Wasser zu lassen. Er würde es tunlichst unterlassen, die riesige George I durch die dort vor Anker liegenden Boote zu manövrieren. Um Borello zu zeigen, wie sehr er ihn jetzt schon schätzte, sandte er seinen ersten Offizier Gregory mit sechs Matrosen, die das Boot ruderten, in den Hafen, um ihn abzuholen. Die Frau und der Mann, von denen Borello sich so herzlich verabschiedete, mussten seine Eltern sein. Byng fragte sich im Stillen, wie sie wohl darauf reagieren würden, wenn er ihren Sohn nach England holte, aber das sollte jetzt nicht seine Sorge sein. Hocherfreut beobachtete er, wie der junge Offizier in das Boot stieg.

Der Admiral klopfte zufrieden auf das edle Teakholz. »Bringen Sie mir Borello bitte sofort in meine Kajüte, sobald er an Bord ist.« Das, was er ihm zu sagen hatte, duldete keinen Aufschub.

»Admiral, Sie wollten mich sprechen?«

»Ja, bitte kommen Sie doch herein, Borello, und schließen Sie die Tür hinter sich.«

Beinahe hätte er gelacht, so verdutzt sah Stefano in diesem Augenblick aus.

»Selbstverständlich, Admiral.«

»Setzen Sie sich, Borello. Das, was ich Ihnen mitzuteilen habe, wird mit Sicherheit ein wenig überraschend kommen, aber Sie werden das Kind schon schaukeln.«

»Wenn ich dazu in der Lage bin, gern.«

»Sind Sie. Ich bin, um offen zu Ihnen zu sein, in einer kleinen Zwangslage. Leider sah ich mich genötigt, einen meiner besten Männer auf Menorca zurückzulassen, da er so krank wurde, dass er uns nicht begleiten konnte. Thomas ist einer meiner zuverlässigsten Offiziere und gleichzeitig der Erste Offizier auf der Rochester. Der Kapitän der Rochester, Charles Plain, der ich weiß nicht genau wie vielte Earl of Stratford, ist hingegen ein Idiot.«

Byng registrierte sehr zu seinem Amüsement, wie Borello überrascht die Brauen hochzog. Er hob grinsend die Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, Borello, das ist ein offenes Geheimnis. Der Knabe ist ein Protegé der Gemahlin seiner Majestät und irgendwo musste er ja untergebracht werden. Dass man ausgerechnet beschloss, dass der Kerl unter meinem Kommando wohl den geringsten Schaden anrichten könnte, trug nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Bis heute konnte Thomas das Schlimmste verhindern, doch nun liegt er weit entfernt auf dieser Insel und Plain stehen für seine Torheiten alle Türen offen. Daher habe ich eine Entscheidung getroffen. Mir ist wohl bewusst, dass Sie noch nicht lange in dieser Position zur See fahren, doch ich habe Sie genau beobachtet. Sie haben heute schon mehr seefahrerisches Geschick und von Haus aus ein Vielfaches mehr an Verstand, als Plain es jemals haben wird. Ich habe beschlossen, Sie für dieses Unternehmen zum Ersten Offizier auf der Rochester zu ernennen.«

Er erkannte, dass Stefano gern widersprochen hätte, doch er kam ihm zuvor.

»Keine Bange, mein junger Freund. Es ist nur für dieses Mal. Sie werden dann sofort auf die George zurückkehren. Doch da die Rochester meine Flanke zur Rechten decken wird, ist mir um einiges wohler, wenn ich Sie an der Seite dieses Kapitäns von Königs Gnaden weiß. Sobald wir die Spanier ausgeschaltet haben, und ich gehe davon aus, dass uns das gelingt, werden wir beide uns einmal unterhalten. Ich rede nicht lange um die Sache herum: Ich möchte Sie unter meinem Kommando langfristig hier auf der George I haben. Denken Sie darüber nach, Borello. Das ist eine Chance, die sich nicht jeden Tag bietet.«

Byng lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte Stefano eingehend. Er konnte förmlich sehen, wie es hinter der Stirn des jungen Offiziers zu arbeiten begann. Sehr gut, er hatte ihn am Haken!

»Borello, vielen Dank, das war es fürs Erste. Wir nehmen Kurs auf die Straße von Messina, dort werden wir uns formieren, dann sehen wir weiter. Sie können dann gehen.«

»Danke, Admiral, auch für das Vertrauen, das Sie in mich setzen.«

»Nichts zu danken! Sie werden mich nicht enttäuschen, das weiß ich schon heute.«

10. August 1718, kurz nach Sonnenaufgang

Stefano beobachtete Charles Plain nun schon, seit er am Abend des 8. August an Bord der Rochester gekommen war. Byng lag vollkommen richtig. Plain war schlicht ein Idiot. Er war kaum in der Lage gewesen, die Rochester vernünftig in den Flottenverband einzuordnen, der sich in der Straße von Messina formierte, nachdem man dort bereits einige der spanischen Schiffe vertrieben hatte, die offenbar die Lage sondierten. Erst als Stefano ihn so unauffällig wie möglich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der Platz der Rochester an der rechten Seite der George I war, hatte Plain die richtigen Befehle gegeben. Stefano war bewusst, dass, sobald es zu einem Gefecht kommen würde, die Verantwortung auf seinen Schultern und nicht auf denen des Kapitäns ruhen würde. Er traute sich bereits jetzt diese Aufgabe zu, insbesondere, da ihm von Seiten der anderen Offiziere an Bord keinerlei Feindseligkeit entgegenschlug, sondern allesamt froh schienen, dass der Kapitän sich einigermaßen unter Kontrolle befand. Er grinste in sich hinein. Er würde einige höchst amüsante Geschichten zu erzählen haben, sobald er wieder in Neapel war. Stefanos Blick huschte über das Deck der Rochester, jedermann war auf seinem Posten, derzeit ließ sich kein Spanier blicken und so schlenderte er zum Bug und suchte den Horizont ab.

»Guten Morgen, Sir!« Der Zweite Offizier der Rochester salutierte vor Stefano. Daran musste er sich noch gewöhnen.

»Guten Morgen. Bitte nicht so förmlich, wie Sie sehen, ist außer uns sowieso noch keiner wach.«

»Irrtum, Mannschaft und Offiziere sind wach, der Kapitän geruht zu schlafen.«

Stefano konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Besser so.«

»Sie sprechen ein wahres Wort gelassen aus. Sehen Sie schon etwas?«

Stefano schüttelte den Kopf. »Von den beiden Seglern, die der Admiral gestern Abend auf Erkundung schickte, fehlt noch jede Spur. Ich mache mir ein wenig Sorgen.«

»Müssen Sie nicht. Die Kerle auf den Aufklärern sind alte Hasen, die wissen, was sie tun. Was denken Sie, wann werden wir auf die Spanier treffen?«

»Sie sind sicher nicht weit zurückgewichen. Es ist eine riesige Armada, die sie hier aufbieten. Ich könnte schwören, was sie uns sehen ließen, war nur ein Bruchteil ihrer Schiffe.« Stefano erinnerte sich lebhaft an Gianninas Beschreibung. Er war sich sicher, dass sie nicht übertrieben hatte.

Der andere kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Wir werden sehen. Wenn unsere Schiffe zurückkommen, sind wir klüger.«

Plötzlich kniff Stefano die Augen zusammen. »Dort, sehen Sie die Segel? Das ist eines von unseren Schiffen, aber leider nur eines.« Er sah genauer hin. »Und es scheint beschädigt. Verflucht! Die Spanier haben sie offenbar entdeckt und angegriffen.«

»Bei allem Respekt, Borello, aber das sehen Sie von hier aus?«

»Ja, ich habe schon immer ziemlich weit gesehen. Adleraugen, Sie verstehen?«

»Hut ab! Ihre Augen möchte ich haben.«

»Das dürfen Sie getrost vergessen. Da meine Verlobte mir schon mehrmals versicherte, sie habe sich zuallererst in meine Augen verliebt, werde ich das nicht aufs Spiel setzen.« Stefano lächelte den Zweiten Offizier vielsagend an.

»Wenn das so ist, werde ich wohl weiter mit einem Fernglas leben müssen«, sagte der schmunzelnd.

Als beide einen zweiten Blick auf die sich nun rasch nähernde Brigg warfen, wurden sie schlagartig ernst. Das Schiff sah böse aus. Der Foggmast war geknickt und in der rechten Seite klaffte ein riesiges Einschlagloch.

»Ich denke, das war es mit der Schonfrist für die Spanier. Offenbar hat man sie auf der George I auch schon ausgemacht. Sehen Sie, Flaggensignale, wir sollen an Bord der George I kommen. Ich schätze, es wird ernst.« Stefano sah sich suchend um. »Und wer weckt jetzt den Kapitän?«

B

»Meine Herren, das war dann wohl eine offizielle Kriegserklärung!« Der Admiral schäumte vor Wut, als er vor die Offiziere trat. »Die zweite Brigg liegt nun auf dem Grund des Meeres, die Überlebenden konnten in letzter Sekunde aufgenommen werden. Das werden uns die Iberer büßen.«

Er stapfte zornerfüllt zu der Seekarte, die auf seinem Schreibtisch ausgebreitet lag.

»Hier werden wir sie finden, sie nähern sich dem Capo Passero. Sorgen wir dafür, dass sie es erreichen, aber nie wieder verlassen!«

Byng warf einen auffordernden Blick in die Runde. »Am Nachmittag setzen wir die Segel! Wir werden das Kap beizeiten anlaufen. Sobald am morgigen Tag die Sonne aufgeht, greifen wir an. Sie alle wissen, was zu tun ist. Sie kennen Ihre Aufgaben.«

Sein Blick glitt über die Kapitäne und ihre Stellvertreter, und dass Byng dabei nicht Plain, sondern nur Stefano in die Augen sah, hatte gute Gründe. Solange er sich sicher sein konnte, dass Stefano die Rochester unter seiner Kontrolle hatte, war seine Rechte sicher und er musste nicht stets mit einem Auge sein Begleitschiff beobachten. Stefanos ernstes Nicken genügte ihm. Es würde keine Probleme geben.

Geschenk der Nacht

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