Читать книгу Geschenk der Nacht - Gabriele Ketterl - Страница 23

10.

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»Das reicht! Du kümmerst dich um ihn. Ich versuche die Frau zu beruhigen.«

Raffaeles Anweisung duldete keinen Widerspruch.

Mit einem einzigen, kräftigen Satz sprang Luca über den Felsen, hinter dem sie sich verborgen hielten, hinunter in die kleine Bucht. Mit einem schnellen Griff schlang er seine Arme um den Oberkörper des bebenden, in seinem Verlangen verlorenen Vampirs.

Luca spürte sehr wohl die Kraft des anderen. wäre der auch nur annähernd darin geschult, seine neue Macht gezielt einzusetzen, dann hätte er jetzt wohl ein Problem gehabt. So aber gelang es ihm, wenn auch unter Aufbietung all seiner Kraft, Stefano einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen.

»Komm zu dir! Hörst du mich? Stefano! Zur Hölle noch mal, reiß dich zusammen! Du sagst, du liebst sie! Du hast dir selbst geschworen, nie eine unschuldige Frau zu verletzen, verdammt, Stefano, hier steht deine große Liebe und du willst ihr Gewalt antun?« Luca brüllte regelrecht in Stefanos Ohr.

Stefanos Körper war angespannt wie eine Bogensehne, seine Hände waren zu Fäusten geballt, und noch immer blitzten aus dem leicht geöffneten Mund die weißen Fangzähne hervor.

»Wird’s bald? Stefano, besinne dich! Du liebst sie doch, du kannst nicht wollen, dass sie vor Angst umkommt!« Mit aller Macht schloss Luca seine Arme wie einen Schraubstock um Stefanos Oberkörper. »Himmel noch mal, Kerl, ich mag dich, ich habe keine Lust, dich abzuurteilen. Bitte, Stefano, beruhige dich.« Den letzten Satz flüsterte er leiser in sein Ohr, und entweder der Hinweis auf Gianninas Zustand oder die Möglichkeit, sein Leben zu verlieren, etwas davon drang zu Stefano durch. Da er den Kopf hob und sein Blick nach Giannina suchte, war es wohl Ersteres gewesen.

Luca spürte, wie Stefanos Erregung zurückging und sein Körper sich in seinen Armen entspannte.

»Gut so. Versuch langsam zu atmen und deine Gefühle in deinen Körper zurückzuziehen, so als würdest du sie in einem Kokon verwahren. Ja, sehr gut. Schließ die Augen, stell dir eine endlose Ebene vor, über die ein Sturm tobt. Nun nutze deine Energie dazu, diesen Sturm einzudämmen, so lange, bis nur noch eine sanfte Brise sachte über die Gräser streift. Geht’s?«

Stefano nickte leicht. »Ich denke schon. Du kannst mich loslassen.«

»Sicher?«

»Ja.«

Langsam löste Luca seine Arme und ließ Stefano los.

»Musste das denn sein? Konntest du nicht warten? Hatte ich dir nicht gesagt, dass du erst lernen musst, mit deinem neuen Körper zurecht zu kommen?« Luca war wütend. Wütend auf sich selbst, da er das Gefühl hatte, versagt zu haben, und wütend auf Stefano und seinen übereilten Alleingang. Erst auf Raffaeles leises Räuspern hin wandte er sich dem Ältesten zu.

Der hielt die bebende Giannina im Arm und seine andere Hand lag auf ihrer Stirn. Er beruhigte sie, so gut er konnte.

»Stefano, komm her!«

Zitternd trat der auf die verängstigte Frau zu.

»Nun zeig ihr aufrichtig, was du bist.«

»Wie?«

»Das weißt du sehr wohl, Stefano. Du wolltest es so, nun zeig es ihr auch. Wir werden sehen, wie sie sich entscheidet, wobei ich befürchte, die Antwort zu kennen.«

Luca beobachtete angespannt die Szene. Er konnte Stefano nur zu gut verstehen. Wenige Augenblicke würden darüber entscheiden, ob er alles verlöre oder alles gut würde, und es sah schlecht aus für den jungen Vampir.

Der trat noch einen Schritt näher auf Giannina zu.

»Liebling, bitte vergib mir. Ich wollte dich weder erschrecken noch verletzen. Aber versteh doch! Ich habe nur für dich um mein Leben gekämpft, nur für dich wollte ich überleben – egal wie! Ich habe überlebt und bin nun wieder bei dir!«

Giannina schüttelte, noch immer angstbebend, den Kopf. »Nein, das bist du nicht. Der Mann, den ich geliebt habe, ist dort draußen auf dem Meer gestorben. Du hast seinen Körper gestohlen.«

»Das ist doch Unsinn, Giannina. Du hörst meine Stimme, du hast meine Hände gefühlt und meine Lippen – meine Seele lebt noch immer in diesem Körper.«

Die Augen seiner Verlobten verengten sich. »Wage es nicht, von einer Seele zu sprechen. Der Zorn Gottes soll dich treffen, das ist Hexerei! Du hast den einzigen Menschen getötet, den ich über alles liebte! Und du wagst es, von seiner Seele zu sprechen, die du ihm gestohlen hast? Dämon!«

Als Stefano verzweifelt die Hand nach ihr ausstreckte, um sie zu berühren, wich sie schreiend zurück.

»Tötet ihn! Er ist ein Monstrum! So tötet ihn, ehe er uns tötet.« Die Frau begann in Raffaeles Arm vor Verzweiflung zu toben.

Stefano zuckte entsetzt zurück. Er starrte Giannina fassungslos an.

»Sag mir: Wie soll ich leben ohne mein Leben, das du warst und immer sein wirst? Wie soll ich atmen ohne meine Seele, die auf ewig dir gehört?«

»Ich will deine verfluchte Seele nicht, stirb und nimm deine Seele mit dir!«

Luca trat hinter Stefano.

»Du siehst ihre Reaktion auf dein neues Ich? Ich weiß, es ist grauenvoll, doch du wirst sie loslassen müssen.«

»Und wofür soll ich dann noch leben? Du konntest zumindest eine kleine Weile für deine Rache leben, konntest die töten, die dir solches Leid zugefügt haben. Ich aber stehe vor dem Nichts.«

»Genau da stand ich auch, Stefano. Es liegt an dir, was du aus diesem Leben machst. Bitte glaube mir, es wird sich alles fügen, auch wenn es dir im Moment aussichtslos erscheint.«

Stefano schien noch immer nicht aufgeben zu wollen. Erneut wandte er sich an die Frau.

»So hast du mich nie geliebt, denn sonst würdest du um unsere Liebe kämpfen.«

»Ich liebte Stefano Borello, dich kenne ich nicht. Du bist eine Kreatur der Unterwelt, brennen sollst du, auf dem Scheiterhaufen!«

»Jetzt reicht es!« Raffaeles Geduld schien endgültig erschöpft zu sein. »Stefano, sieh sie dir ein letztes Mal an, und dann wirst du mit Luca gehen. Wir reden später. Ich bringe das hier in Ordnung.«

Luca ergriff Stefano, der fassungslos in das hassverzerrte Gesicht seiner einstigen Verlobten blickte, am Arm. »Lass uns gehen. Sie ist für dich endgültig verloren. Je schneller du das akzeptierst, desto schneller kannst du ein neues Leben beginnen.«

Stefanos Blick wanderte zu Luca und von dort hinaus auf das endlos erscheinende Meer. Er schwieg lange, dann antwortete er leise und entschlossen: »Gut, gehen wir.«

Stefano blickte nicht mehr zurück.

Raffaele drehte die Frau vorsichtig zu sich um. Noch immer stand sie mit bloßen Brüsten vor ihm und ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen. Zwar sah sie ratlos an sich hinab, doch sie war noch nicht in der Lage zu begreifen, was sie erblickte. Er seufzte leise in sich hinein.

»Gnädigste, Ihr gestattet?«

Ohne Gianninas Antwort, auf die er sowieso nicht viel gegeben hätte, abzuwarten, löste er seine Hand unter ihrem Arm und legte beide Handflächen an ihre Schläfen. Eine Sekunde später sank sie ohne Bewusstsein zu Boden.

Mit einem letzten bedauernden Blick auf ihre prallen Brüste begann er, sie wieder anzukleiden und tat dies sehr geschickt, wobei das aufgerissene Mieder ihn vor einige Probleme stellte, doch auch die löste er dank langjähriger Erfahrung. Nachdem er die letzten Häkchen ihres Kleides wieder verschlossen hatte, bettete er sie mit dem Rücken an den Fels, ordnete ihr Haar und betrachtete sie genau. Nichts wies mehr auf die Vorgänge der letzten Minuten hin. Raffaele atmete tief ein, legte seine Hände erneut an ihre Schläfen und drang in ihren Geist ein. Er suchte und fand den Moment, in dem sie Stefano an der Eingangstür erspäht hatte, ging wenige Sekunden zurück und löschte all ihre Erinnerungen seit jenem Augenblick. Dann trug er sie aus der Bucht, über die Felsen hinweg, hinaus auf den großen Strand.

»Signorina! Bitte wachen Sie doch auf. Was ist mit Ihnen? Kann ich Ihnen helfen?«

Offenbar mit Mühe öffnete Giannina die Augen und blickte verwirrt in sein Gesicht.

»Wo bin ich? Was ist geschehen?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Signorina. Ich machte nur einen Spaziergang am Strand, ehe mein Schiff wieder ablegt, und da fand ich Sie hier. Sie sind wohl ohnmächtig geworden, während Sie hier am Ufer entlang liefen.«

»Ich kann mich nicht erinnern. Das Letzte, das ich weiß, ist, dass ich zu Bett gehen wollte.«

»Sie bereiten mir Sorge, junge Dame. Bitte erlauben Sie, dass ich Sie nach Hause begleite. Mir ist erst wohl, wenn ich Sie sicher in Ihrem Heim weiß.«

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Herr. Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit.«

Raffaele half der verwirrten jungen Frau auf die Beine, hakte sie unter und führte sie langsam in Richtung der Häuser. Als sie an dem kleinen Haus anlangten, setzte er sie behutsam in einen Stuhl auf der Veranda.

»Ich verlasse Sie erst, wenn Sie mir versichern, dass es Ihnen gut geht, Signorina. Wie fühlen Sie sich?«

Giannina lächelte ihn traurig an. »Ich habe meinen Verlobten erst vor kurzer Zeit verloren, daher geht es mir wirklich nicht gut. Doch ich bin sicher wieder in der Verfassung, dass ich allein zurecht komme. Nochmals meinen Dank für Ihre Hilfe.«

»Es war mir eine Freude. Mein Beileid zum Verlust Ihres Verlobten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr Lachen wieder finden.«

Raffaele wandte sich ab und schlenderte, scheinbar gemächlich, wieder in Richtung Meer. Er gab sich nun keine Mühe mehr, ein freundliches Gesicht zu machen. Er war nachhaltig erbost über Stefanos Aktion, und das gedachte er ihm auch unmissverständlich klarzumachen … sobald er ihn und Luca fand.

Luca kletterte mit Stefano die steilen Klippen hoch, nachdem sie die Strände und Neapel weit hinter sich gelassen hatten und sich nun auf dem Rückweg zu dem Landgut befanden, in dem Stefano eigentlich noch immer hätte sein sollen. Ab und an warf der Hüter einen Blick nach unten in die Brandung. Stets beeindruckten ihn die unbändigen Gewalten der Natur aufs Neue. Gut dreißig Meter fielen die Felswände neben ihnen steil ins Meer ab. Hinter ihm vernahm er die leisen Schritte des verzweifelten Stefano. Er suchte in seinem Inneren nach Worten des Trostes, wusste aber sehr wohl, dass es wenig gab, das in solch einem Moment zu trösten vermochte. Wie es in Stefano aussah, konnte er allerdings gut nachempfinden. Sie hatten die Klippen schon fast überwunden, als er einen erstickten Laut hinter sich vernahm. Böses ahnend, wandte er sich sofort zu Stefano um. Er blickte in ein tränenüberströmtes, von Trauer und Wut gezeichnetes Antlitz. Der große Vampir sah ihm in die Augen und neigte leicht das Haupt. Als er den Kopf wieder hob, sah Luca zu spät das Aufflackern im Blick des anderen.

»Es tut mir leid, ich schaffe das nicht.«

Mit diesen Worten ließ Stefano sich mit geschlossenen Augen in den Abgrund fallen.

Luca atmete tief ein.

Gut, auch dies war eine Lektion, die er wohl lernen musste. Relativ entspannt spähte der Hüter über den Rand der Klippen in die Tiefe. Weit unter ihm tobte die Brandung. Die Flut hatte eingesetzt. Luca seufzte. Eigentlich war ihm nicht danach, nass zu werden, aber es nutzte ja nun nichts. Wie eine Raubkatze sprang er, jeden noch so winzigen Vorsprung nutzend, elegant in die Tiefe. Als er auf dem kleinen Felsplateau ankam, das sich etwa fünf Meter ins Meer schob, zupfte er sich die Ärmel seines Hemdes zurecht und sah sich suchend um.

Er fand Stefano mit wütender Miene am Ende der Felsformation sitzend. Das Hemd war zerrissen, ebenso die Hose, doch die Knochen heilten bereits wieder und die Wunden an seinen Armen schlossen sich.

»Du hättest es mir sagen können.«

»Was? Dass du dich so nicht töten kannst? Hättest du mir denn zugehört?«

»Nein.«

»Was hätte es also gebracht?«

»Nichts.«

»Schön, siehst du, gut, dass wir darüber gesprochen haben.« Luca setzte sich neben Stefano auf den nassen Fels. »Unwirtlich hier. Nächstes Mal suchst du dir bitte einen angenehmeren Ort aus.«

»Wenn ich mich umbringen will?«

»Unsinn, du Wahnsinniger. Wenn du reden willst.«

»Wer sagt, dass ich reden will?«

»Deine entspannten Gesichtszüge und dein ausgeglichenes Wesen?«

»Oh gütiger Himmel, du hast ja keine Ahnung, wie ich mich fühle. Mir ist nichts geblieben! Niemand kann das verstehen. «

»Verdammt noch mal, du Ignorant. Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass ich das sehr wohl kann? Ich wiederhole mich ungern, aber zum letzten Mal: Ich ging durch die gleiche Hölle! Angel ebenso … und Craigh … nun ja, auf seine Art wohl auch. Stefano, deine Familie existiert wenigstens noch. Niemand hat sie sinnlos ermordet, sie werden weiterleben, in ihr altes Dasein zurückfinden. Und du wärst dort ertrunken, stattdessen wurde dir ein neues, ein ganz besonderes Leben geschenkt. So versuch wenigstens jetzt, dieses Leben anzunehmen.«

Stefano schob sich seinen Oberarmknochen in die richtige Position und es knackte heftig, als er das Schultergelenk einrenkte.

»Scheiße!«

»Wie bitte?«

»Hm, das bedeutet bei mir ungefähr so viel wie ›Danke‹.«

»Ach so, ja dann. Das wird alles wieder, vertrau mir.« Luca warf einen neugierigen Blick auf Stefanos abgewandtes Profil. Er erblickte die zwei kleinen Tränen, die über die Wange des Vampirs liefen, sofort. »Hey, ich sagte: Alles wird wieder. Ich helfe dir auch dabei.«

Ohne es verhindern zu können, tauchte in exakt jenem Augenblick Anas lächelndes Gesicht vor seinem inneren Auge auf. Verstohlen wischte er seine eigenen Tränen weg, doch die Bewegung war nicht ungesehen geblieben.

»Wie denn? Indem du mit mir hier auf den Felsen hockst und heulst?«

»Vielleicht. Kennst du den Spruch mit dem geteilten Leid?«

Stefano drehte sich zu ihm um und musterte ihn lange. Endlich erschien zumindest die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen. Unwirsch wischte er die letzte Träne ab.

»Danke, Luca. Danke für alles und auch für das hier.«

»Gern geschehen. Aber jetzt würde ich mich lieber wieder in eine etwas angenehmere Umgebung begeben. Irgendwelche Einwände?«

»Eigentlich nicht. Ich denke, mein Oberschenkelknochen spielt auch wieder mit. Lass uns verschwinden.« Stefano rappelte sich auf und tastete seinen Körper ab.

»Und? Alles wieder an seinem Platz?« Luca konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Hm, sieht so aus. Erzähl das ja nie jemandem, hörst du?«

»Vampirehrenwort.«

Während die beiden großen Gestalten zurück nach oben kletterten, zog sich Raffaele leise zurück. Er brachte es nicht übers Herz, dem heißblütigen neuen Familienmitglied wie geplant seine Meinung zu sagen. Grübelnd sah er ihnen nach, wie sie die steilen Felsen überwanden, Stefano sogar als Erster oben ankam und Luca helfend die Hand reichte. Vielleicht würde er seinen Weg schneller finden, als er selbst es für möglich hielt. Stefano stellte für ihn die erste wahre Herausforderung seit vielen Jahren dar. Er gedachte, sich dieser Herausforderung zu stellen, und das so schnell wie möglich.

Geschenk der Nacht

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