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15.
Odessa, 18. November 1916

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»MENSCHENPACK! WIE VERBOHRT UND DUMM muss man eigentlich sein, um von einem Krieg in den nächsten zu rennen?« Stefano war so wütend wie schon lange nicht mehr. Seit zwei Jahren tobte nun ein unerbittlicher Krieg, der sich auf die halbe Welt ausgebreitet hatte. Es war wahrlich nicht der Erste, den er miterleben musste, doch lernten die Menschen aus dem, was ihnen dieses sinnfreie Kräftemessen bescherte? Nein, mitnichten. Mit jedem Mal wurden ihre Gemetzel größer, vernichtender und tödlicher. Bis jetzt war es ihm gelungen, sich aus diesem Krieg weitestgehend heraus zu halten. Letzte Nacht aber war er in Odessa eingelaufen und er konnte beobachten, wie aus einem Kriegsschiff am nächsten Anleger Truppen an Land gingen. Ihm war es vollkommen egal, wer wohin ging, solange sie ihn in Ruhe ließen. Ihn und die Bevölkerung. Die Geduld und die Ruhe, die Xerxes ihn gelehrt hatte, schienen derzeit gänzlich verflogen. In ihm waberte der Zorn auf die Menschen, vor allem als er nun, knapp vierundzwanzig Stunden später, durch die nächtliche Stadt strich. Gerade in den Kneipen der Hafenregion ging es wild zu. Alles, was er wollte, war ein williger Blutspender, dann würde er sich wieder verziehen. Seine Nase und sein Gefühl aber führten ihn tiefer in die engen Straßen am Hafen. Irgendetwas beunruhigte ihn. Er hatte wieder einmal dieses ausgesprochen miese Gefühl in der Bauchgegend, das er immer bekam, wenn ein Verbrechen in seiner Umgebung geschah. Der altbekannte Groll kochte in ihm und mit dem Wodka, den er sich vor kurzem erst gegönnt hatte, war das keine gute Mischung. Seine Wut auf die menschliche Dummheit zu betäuben war sicherlich keine falsche Entscheidung gewesen, dass er aber Zeuge eines Verbrechens werden würde, war nicht geplant. Leise schlich er näher, wissend, dass sie ihn sowieso nicht hören würden. Drei Soldaten waren es. Sie hatten eine Frau in den engen Durchgang zwischen zwei verlassenen Lagerhäusern gezogen. Während einer hinter ihr stand und ihr kichernd den Mund zuhielt, war einer der anderen soeben dabei, sie zu vergewaltigen.

»Beeil dich und lass was von ihr für mich übrig.« Der Dritte im Bunde wollte wohl auch gern an dem Geschehen teilhaben.

Stefanos scharfe Augen erkannten die vom Fusel erhitzten roten Gesichter der Männer selbst im Dunkel der Nacht. Er musste erst seine Beherrschung wieder finden und sich zunächst ein wenig beruhigen, ehe er in der Lage war, zu ihnen zu sprechen.

Seine tiefe, drohende, wie aus dem Nichts kommende Stimme drang mühelos in die vernebelten Köpfe der Soldaten vor. Allerdings reichte ihre Vernunft nicht so weit, um die Frau loszulassen und zu fliehen. Selbst als Stefano, in einen bodenlangen, schwarzen Mantel gehüllt, aus dem Dunkel trat, rührten sie sich noch immer nicht von der Stelle. Stefano blickte mit großer Sorge auf die weinende und vor Angst zitternde Frau. Ihr Blick aus erschrocken geweiteten Augen huschte zwischen ihm und ihren Peinigern umher. Diese waren wenig gewillt, von ihrer Beute abzulassen.

»Wer bist du und was willst du? Mach dich davon, das hier geht dich nichts an.«

»Da niemand sonst hier ist, der für die Frau sprechen könnte, geht es mich sehr wohl etwas an. Lasst sie los, auf der Stelle.«

Die Fremde schien zu begreifen, dass er ihr nichts Böses wollte und er spürte ihre aufkeimende Hoffnung.

»Such dir doch selbst was, an dem du dich gütlich tun kannst. Die gehört uns!«

Stefano sah, wie der Größte der drei an seinen Hosenbund griff und versuchte, eine Waffe zu ziehen. Ein tödlicher Fehler. Stefano zischte und kurz darauf lag der Mann mit aufgerissener Kehle in seinem Blut.

»Bist du wahnsinnig? Was bist du denn für ein Irrer? Dafür wirst du bezahlen!«

»Ich bezahle rein gar nichts, du bezahlst und zwar mit deinem Leben.« Stefano stand schneller neben dem zweiten Kerl, als dieser zu reagieren vermochte. Er schlug seine Zähne in dessen Hals und hielt mit der freien Hand den letzten der drei fest. Der versuchte, inzwischen schreiend vor Angst, zu fliehen, und so brach er ihm kurzerhand das Genick. Der riesige Vampir war außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Erst als sein Blick auf die verletzte, halb tote Frau fiel, die zitternd zu Boden gesunken war und ihn nun mit fassungslosem Entsetzen anstarrte, kam er einigermaßen zu sich. Er zog seine Zähne aus dem Hals des sterbenden Soldaten und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Er ging, noch immer vor Wut bebend, auf die Frau zu. Da er noch nicht in der Lage war zu sprechen, beugte er sich über sie und legte seine blutigen Hände an ihre Schläfen. Sein Blick schaffte das, was er selbst gerade nicht konnte, nämlich die Schwerverletzte zu beruhigen. Stefano spürte, wie sie sich entspannte und schließlich in eine für sie rettende Ohnmacht hinüber glitt. Er öffnete sich die Pulsader und ließ sein heilendes Blut in ihren Mund laufen. Während langsam Farbe in das todesbleiche Gesicht der Fremden zurückkehrte, schaffte er es, sich wieder in den Griff zu bekommen. Das war knapp gewesen.

Unvermittelt vernahm er direkt hinter sich ein lautes Knacken. Sein Kopf ruckte herum und er erkannte eine sehr eindrucksvolle, in einen schwarzen Kapuzenumhang gehüllte Gestalt, die sich über den sterbenden Soldaten gebeugt und dessen Leid ein Ende bereitet hatte. Er spürte und roch den Vampir erst jetzt. Was war nur los mit ihm? Wie hatte er alle Vorsichtsmaßnahmen fahren lassen können? Er schloss in Windeseile seine Pulsader und legte den Kopf der Frau vorsichtig auf den Boden. Noch immer in hockender Stellung, drang ein tiefes, warnendes Knurren aus seinem Brustkorb.

Der andere reagierte allerdings komplett anders, als er es erwartet hatte. Normalerweise waren seine Präsenz und das Warnen genug, um andere Vampire sofort dazu zu bewegen, sich respektvoll zurückzuziehen.

Dieser hier lachte lediglich leise auf.

»He, mach mal halblang, mein Freund, ich will dir nicht ans Leder. Allerdings sollten wir diese Schweinerei hier aufräumen. Außerdem muss die Frau wieder bekleidet und dann dort abgelegt werden, wo man sie findet. Sie braucht, trotz deines Blutes, erst mal Ruhe, um sich zu erholen. Los, zieh sie an, ich entsorge rasch diese Kerle hier.« Mühelos lud sich der fremde Vampir, dessen Gesicht Stefano noch immer nicht erkennen konnte, alle drei Toten gleichzeitig auf Schultern und Arme und war verschwunden, ehe Stefano sehen konnte, wohin. Er war einigermaßen beunruhigt. Die absolute Ruhe des anderen bewies, dass er ihn nicht fürchtete und sich ihm gegenüber als ebenbürtig betrachtete. Stefano rief sich eilends zur Ordnung und tat, wozu er aufgefordert worden war. Als die Frau wieder annähernd vernünftig bekleidet war, nahm er sie in die Arme und legte sie am Eingang zu dem schmalen Durchgang ab, sodass der Nächste, der dort vorbei kam, sie unweigerlich finden musste. Sie atmete regelmäßig und ihr Herz schlug wieder in einem zuverlässigen Rhythmus. Gerade als er sich erhob, vernahm er die dunkle, kühle Stimme hinter sich.

»Sehr gut, das wäre dann so weit geregelt. Das war eine ziemliche Gratwanderung, die du da hingelegt hast. Ich spüre deine Stärke, was hat dich denn so aus der Bahn geworfen?«

Stefano zog eine entschuldigende Grimasse, blieb aber noch immer sehr vorsichtig. »Ich schätze, das war euer Feuerwasser hier. Dieser Wodka hat es in sich, Wein ist da deutlich besser dosierbar«, knurrte er in Richtung der dunklen Gestalt. »Aber ehe wir hier über Alkoholprobleme reden, wüsste ich ehrlich gesagt ganz gern, mit wem ich es zu tun habe.«

»Oh, verdammt! Verzeih, wo sind nur meine Manieren geblieben?« Der Mann streifte seine Kapuze, die sein Gesicht komplett verhüllte, zurück und schüttelte kräftig den Kopf.

Stefano blieb vor Staunen fast der Mund offen. Eine weißblonde Flut aus glatten, langen Haaren ergoss sich über die Schultern des Fremden. Ein schönes, blasses und ausnehmend kaltes Gesicht, aus dem eisblaue Augen strahlten, wandte sich ihm zu.

»Du bist Stefano Borello, nicht wahr? Raffaeles Sorgenkind Nummer eins. Es wurde auch Zeit, dass du dich endlich hierher bequemst. Ein paar Leute würden dich gern näher kennenlernen, einer davon bin ich.« Ein kühles Lächeln kräuselte seine Lippen.

»Mein Name ist Sergej.«

Geschenk der Nacht

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