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8.

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Raffaele lehnte sich im Sessel zurück und kämmte sich mit allen zehn Fingern die widerspenstigen Haare aus dem Gesicht.

»Massimo war, als ich ihm von den Reaktionen unseres neuen Familienmitgliedes erzählte, ebenso überrascht, wie ich es war. Er meinte, dass er wohl am ehesten mit Sergej zu vergleichen wäre, aber so weit würde ich dann doch noch nicht gehen.«

»Sag das nicht.« Luca trat mit einem bedauernden Seufzen von den geschlossenen Fensterläden des Anwesens zurück. Wie so oft konnte er der Versuchung nicht widerstehen, ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen. »Wir waren gute zwei Stunden unterwegs und ich darf dir versichern, ich kam aus dem Staunen kaum heraus. Stefano ist unfassbar schnell, er konnte von der ersten Sekunde an gut mit mir mithalten. Dann ist seine Kraft der meinen durchaus ebenbürtig und ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, mit dem nötigen Unterricht wird er mir rasch überlegen sein. Wir standen kaum eine Minute wirklich still, und doch ermüdete er nicht. Was ihn dann dazu veranlasste, doch wieder zurück zu wollen, war wirklich seine Scheu vor der Sonne, die anscheinend das Einzige ist, das ihm Respekt einflößt.«

Raffaele runzelte ratlos die Stirn. »Na, immerhin etwas. Hat er denn schon Nahrung zu sich genommen?«

»Ja, er hat von Isabell getrunken, und auch dabei stellte er sich ausgesprochen geschickt an. Was mich erstaunte, wenngleich er sehr hungrig war, seine Hauptsorge galt Isabell. Er befürchtete, sie zu verletzten. ›Sie ist eine Frau‹ waren seine Worte. Ich glaube, dass er niemals einer Frau Leid zufügen wird.«

Noch immer gelang es Raffaele nicht, seine Gedanken, sobald es um Stefano ging, auf einen vernünftigen Nenner zu bringen. War das nun alles positiv? War es negativ, dass er so unfassbar schnell und problemlos lernte, mit diesem neuen Leben zurecht zu kommen?

»Schön für die Frauen, aber was denkst du, Luca, geht eine Gefahr von ihm aus?«

Luca zuckte die Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen. So gern ich es täte, ich weiß es nicht. Angel könnte vielleicht seine Gedanken durchforsten, aber das, was ich bei ihm sehe und fühle, ist nicht so leicht einzuordnen.«

»Wem sagst du das?« Raffaele lehnte seinen Kopf an die mit dunklem Leder überzogene Lehne. »Schläft er denn jetzt?«

Luca nickte. »Ich denke, dass es Neugier, Hunger und die Sehnsucht nach seiner Verlobten waren, die ihn zu früh weckten. So wie es den Anschein hat, ist seine Entwicklung noch immer nicht ganz vorbei.«

Raffaele öffnete interessiert die Augen und schnaubte leise. »Na, du machst mir Mut. Als ob das, was dieser Wunderknabe nun schon alles zeigt, nicht fürs Erste genug wäre.«

Sein Gegenüber grinste ihn herausfordernd an. »Stefano ist faszinierend, und wann hast du jemals eine Herausforderung gescheut?«

»Auch wieder wahr.« Raffaele erhob sich und streckte die steifen Glieder. In Kutschen zu fahren war für ihn stets ein Gräuel, aber ab und an musste es nun einmal sein. Insbesondere wenn er, so wie in der letzten Nacht, seinen aufgewühlten Gedanken nachhing. Er fühlte, dass Stefano ihn noch viel Kraft und Geduld kosten würde. Andererseits steckte da etwas in dem jungen Mann, das er nicht einordnen konnte. Das beunruhigte ihn, denn dieses Gefühl hatte er schon seit Jahrhunderten nicht mehr empfunden – nun aber war es wieder da, latent, aber doch spürbar.

»Luca, ich gehe zu Bett. Du solltest das Gleiche tun. Bei strahlendem Sonnenschein kann unser Schützling wohl kaum mit weltbewegenden Überraschungen aufwarten – hoffe ich zumindest.«

»Wach auf! Rasch! Wir haben ein Problem!« Raffaele rüttelte ihn unsanft an den Schultern und Luca erwachte nur widerwillig aus einem anregenden Traum.

»Raffaele, muss das sein? Die Dame war sehr willig. Also wirklich, wenn ich schon einmal etwas Vernünftiges träume.«

»Ich bedaure zutiefst, doch du wirst mir zugestehen, dass ich dich noch nie umsonst weckte, daher stehst du nun bitte sofort auf.«

Luca spürte, dass der Freund aufgeregt war wie schon lange nicht mehr.

»Nun beruhige dich doch. Was ist denn los?« Nur widerstrebend schälte er sich aus den warmen Decken.

»Was los ist? Er ist weg! Wie vom Erdboden verschluckt.«

Luca verstand nicht sofort. »Was? Wer soll weg sein?«

»Na, wer wohl? Stefano!« Raffaele machte eine auffordernde Handbewegung. »Geht das etwas schneller? Wir müssen ihn finden, und zwar rasch!«

»Das gibt es doch gar nicht. Er kann doch als so junges Kind der Dunkelheit noch nicht die Fähigkeiten besitzen, sich derart abzuschirmen, dass weder du noch ich es bemerken, wenn er das Anwesen verlässt. Wie sollte das denn gehen?«

Der Älteste hob mit ratlosem Blick die Schultern. »Sag du es mir.«

Er war nun aufs Äußerte beunruhigt. In Windeseile kleidete Luca sich an, schnallte sich das Schwert der Hüter auf den Rücken, flocht sich, schon auf dem Sprung, sein langes dunkles Haar zu einem strengen Zopf, der ihn weder in der Sicht noch beim Laufen behindern konnte und war binnen weniger Augenblicke fertig zum Aufbruch.

»Ich habe das vage Gefühl, dass ich weiß, wo wir suchen müssen. Es ist ein weiter Weg dorthin. Pferde oder zu Fuß?«

»Laufen! Das bringt mich auf andere Gedanken. Luca, dir ist bewusst, dass uns etwas Derartiges noch nie widerfahren ist?«

Luca nickte. »Ist es. Und ich habe ein mieses Gefühl im Bauch. Gehen wir, egal was er auch tut, ich möchte den Kerl nicht verlieren. Das bedeutet, dass ich dort sein muss, ehe er etwas anstellt, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.«

Noch niemals hatte Luca es für nötig befunden, seine Gedanken vor Raffaele zu verbergen. Nun aber tat er es. Der umsichtige Hüter der Dunkelheit fürchtete um Stefanos Leben und darum, dass Raffaele eine Entscheidung treffen könnte, die ihm überhaupt nicht gefallen würde. Nein, er musste schnell sein. Dieser Stefano war nun einmal anders – nun musste er nur einen Weg finden, damit klar zu kommen.

Mit einer Schnelligkeit, die für das menschliche Auge kaum mehr wahrnehmbar war, jagten die beiden Vampire in Richtung Neapel, in der Hoffnung, dass noch nicht alles verloren war.

Geschenk der Nacht

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