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Stefano beobachtete, wie das Mädchen sich von dem Tisch entfernte, es machte einen großen Bogen um seinen und er konnte es ihr nicht verdenken. Es fiel ihm immer schwerer, sich in den Griff zu bekommen, seinen Zorn, seine Trauer und seine Verzweiflung in ihre Grenzen zu weisen. Seine Ausstrahlung musste fürchterlich sein, doch das konnte er im Augenblick nicht ändern. Der Mann dort drüben war ein Vampir, das fühlte er, und er fühlte auch die Aura der Macht, die ihn umgab. Sollte er es tatsächlich geschafft haben, den berühmten Vittorio zu finden … oder hatte vielleicht eher dieser ihn gefunden? Egal, wie auch immer, er war nervös, aufgeregt und auch auf der Hut. Welche Schauergeschichten mochte er über ihn gehört haben? Allerdings fühlte er keine negativen Schwingungen. Alles, was der Mann dort drüben ausstrahlte, war – Ruhe. Das war seit Langem etwas Neues für ihn. Die ständige Anspannung, mit der Raffaele ihm begegnet war, hatte nur seinen Widerstand herausgefordert. Er ließ sein Haar noch weiter ins Gesicht fallen und beobachtete den Mann neugierig. Der hob gerade die Arme und streckte sich genüsslich. Als das Mädchen ihm einen Becher brachte, bezahlte er sofort und küsste die kleine Hand. Stefano konnte sich zum ersten Mal seit langer Zeit ein Grinsen nicht verkneifen, als er sah, wie sie heftig errötete und, dem betörenden Blick des Fremden restlos ausgeliefert, ganz offensichtlich den Drang verspürte, diesem sofort um den Hals zu fallen. Nur kurz senkte er den Blick, noch immer versonnen lächelnd, als er die tiefe, ruhige Stimme vernahm.

»Verzeih, ist hier noch Platz für ein einsames Wesen der Nacht?«

Überrascht riss Stefano die Augen auf und hob den Kopf. Der Fremde stand direkt neben ihm und sah ihn freundlich an. Er wies einladend auf den zweiten Stuhl an seinem Tisch.

Der Mann setzte sich und stöhnte leise. »Diese Stühle entsprechen so gar nicht meiner Vorstellung von Bequemlichkeit. Wie ist es mit dir, Stefano? Vermisst du nicht den Luxus des Palazzo in Venedig?«

»Woher weißt du, wer ich bin? Haben mich die Venezianer weltweit angekündigt?«

Der andere schmunzelte. »So etwas in der Art. Aber du weißt ja auch, wer ich bin, also nenne ich das ausgleichende Gerechtigkeit.«

Stefano zögerte ein wenig. »Du bist es wirklich, du bist Vittorio, nicht wahr?«

»Ja, der bin ich. Ich freue mich, dich endlich persönlich kennenzulernen, Stefano Borello.« Vittorio hielt ihm seine silberberingte Hand entgegen und sah ihn aufmunternd an.

Leicht misstrauisch ergriff er die dargebotene Rechte und drückte sie fest. »Ich kann mir vorstellen, dass sie euch alle mit Nachdruck vor mir gewarnt haben.«

Vittorio sah eine Weile wortlos in seinen Becher, ehe er leise antwortete: »Nun, weißt du, ich bin zu alt, um etwas auf andere Meinungen zu geben. Inzwischen vertraue ich mir selbst am meisten.«

»Ich habe dich gesucht.«

»Das weiß ich, mein Junge. Nun hast du mich gefunden. Und ich denke, das ist sehr gut so, denn ich kann fühlen, dass du dringend jemanden zum Reden brauchst. Du bist schrecklich aufgewühlt. Beruhige dich zuerst und nimm einen Schluck Wein.«

»Lieber nicht.« Stefano wehrte mit bedauerndem Blick auf den irdenen Becher ab. »Ich reagiere sehr seltsam darauf.«

Ein breites Lächeln erschien auf Vittorios Gesicht. »Das kann ich mir denken, so erging es uns allen.« Er brach ab und runzelte fragend die Stirn. »Hat dir denn Luca nicht dabei geholfen, mit diesem, nun, nennen wir es einmal, durchaus angenehmen Mittel und seinen Begleitumständen klarzukommen?«

Stefano verneinte bitter. »Das hätte er vielleicht sogar gern getan, doch ich befürchte, Raffaele war zu besorgt, dass ich dann noch schwerer zu kontrollieren sei.«

»Das ist schade.« Vittorio lehnte sich zurück und beobachtete ihn aufmerksam.

»Vieles ist schade, und ich habe dich aus gutem Grund gesucht. Vittorio, ich werde wahnsinnig, wenn das so weitergeht. Was soll das für ein Leben sein? Jede Nacht streife ich ziellos umher, stets in der Furcht, jemandem Leid zuzufügen, der es nicht verdient hat. Ich stille meinen Durst, doch ich fühle mich innerlich tot. In mir war immer eine unbändige Lust zu leben – ich kann sie nicht mehr finden. Sie ist weg, ebenso wie die Sehnsucht nach Liebe, abgetötet vom Stumpfsinn dieser Existenz.« Er spie diese Worte regelrecht aus und aus jeder Silbe klang sein Hass auf sein neues »Leben«.

»Dir ist bewusst, dass es schmerzlich ist, dir zuzuhören?«

»Verzeih, dann werde ich schweigen.«

»Unfug! So habe ich das nicht gemeint. Es tut mir weh, wie du mit diesem Leben, das so viel Schönes bietet, haderst.«

»Schönes? Ich dachte das zu Anfang auch, doch ich habe mich geirrt.«

»Hast du nicht.« Vittorio erhob sich und legte die Hand auf seine Schulter.

»Stefano, bitte komm mit mir. Ich möchte dir jemanden vorstellen, der dir, so hoffe ich, die Freude an deinem Leben zurückzugeben vermag. Es könnte eine Weile dauern, doch Zeit sollte unser geringstes Problem sein, nicht wahr?«

In seinem Inneren regten sich ebenso viel Freude wie Zweifel. Was, wenn auch diese Möglichkeit erneut in eine Sackgasse führen würde? Jedoch war dies derzeit die einzige Chance, die sich ihm bot. Er hatte es selbst herbeigeführt, nun musste er sich dieser Herausforderung stellen.

»Gut, ich komme mit dir, aber ich kann nichts versprechen.«

»Das trifft sich gut. Ich nämlich auch nicht.«

Geschenk der Nacht

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