Читать книгу Geschenk der Nacht - Gabriele Ketterl - Страница 30

13.

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»Du hast dich ihrer entledigt wie Unrat! Bist du des Wahnsinns?« Raffaele war fassungslos.

»Das trifft es recht gut, menschlicher Unrat, wenn du es so willst.« Stefano lehnte an der Wand der Bibliothek und sah mit unergründlicher Miene zu ihm hinüber.

»Unterbrich mich bitte, wenn du irgendetwas von dem, was ich sage, nicht verstehst. Wie oft habe ich mittlerweile versucht dir zu vermitteln, dass du nicht wahllos Menschen töten kannst?«

»Sagtest du wahllos? Bitte verzeih, wenn ich dir hierbei nicht zu folgen vermag. Diese Bestie mit dem zarten Mädchengesicht tötete vier Menschen. Wer gab denn ihren drei Neugeborenen eine Chance? Wer setzte sich für den kranken Vater ein, der von ihr rücksichtslos beiseite geräumt wurde? Ja, ich habe sie getötet – aber wenn du das wahllos nennst, dann frage ich mich, was du als gezieltes Töten bezeichnen würdest. Raffaele, ich verstehe dich tatsächlich nicht.« Stefano bewegte sich keinen Zentimeter, doch seine Augen schienen regelrecht zu brennen.

Raffaele schwieg einen Augenblick. Stefanos heftige Reaktion, die fühlbare Aura von Wut, die ihn umgab, verunsicherten selbst ihn. Es fiel ihm nicht leicht, gefasst und ruhig weiterzusprechen. »Auch das habe ich schon mehrmals erwähnt. Es ist nicht unser Recht, Menschen abzuurteilen. Sie fallen unter die Gerichtsbarkeit der Menschen, die ihnen einen entsprechenden, angemessenen Prozess machen müssen.«

»Angemessen?« Stefanos Stimme bebte vor Zorn. »Ein angemessener Prozess? Dieses Miststück von letzter Nacht lebte unangetastet ein durchaus angenehmes Leben, sieht man es aus ihrem verdorbenen Blickwinkel. Alles, was ich getan habe, war, der Gerechtigkeit ein klein wenig auf die Sprünge zu helfen.«

»Das aber ist nicht unser Recht!«

»Ach!« Stefano stieß sich mit einer geschmeidigen Bewegung von der Wand ab und kam langsam auf Raffaele zu. »Nicht unser Recht? Aber dass Luca sofort loszieht, wenn ein Kind der Dunkelheit der Verzweiflung anheimfällt oder die Machenschaften der Menschen ihn so weit getrieben haben, dass er sich verteidigte oder getötete Familienmitglieder oder Freunde rächte, das ist in Ordnung? Wer gibt ihnen denn eine zweite Chance?«

»Luca tötet nur auf Beschluss der Fürsten und der Ältesten. Er tut es, um uns alle davor zu schützen, ans Tageslicht gezerrt zu werden. Du solltest mittlerweile wissen, dass unsere Existenz davon abhängt, dass niemand unsere wahre Natur erkennt. Beginnt ein Mitglied unserer Gemeinschaft Menschen zu töten, dann ist es Lucas Pflicht, einzugreifen.«

»So so, und wenn ich ein mordendes, giftsprühendes Etwas beseitige und es damit möglicherweise davon abhalte, noch weitere Unschuldige auszulöschen, dann ist das wahlloses Töten. Gut, ich verstehe. Verzeihung, aber das ist, lass mich die richtigen Worte finden … Wie wäre es mit verlogen, heuchlerisch?« Stefano stand nun direkt vor Raffaeles Schreibtisch und stützte die Hände darauf ab. Sein wütendes Gesicht war nur wenige Handbreit von Raffaeles entfernt.

Der sah seine Argumentation tatsächlich ein wenig ad absurdum geführt. Hilfesuchend spähte er um den wutschnaubenden Vampir herum. »Luca, zur Hölle noch mal, so sag doch auch einmal etwas.«

Der aber schien gerade sehr nachdenklich geworden zu sein.

»Das würde ich gern, Raffaele, aber es könnte dir möglicherweise nicht gefallen.«

Zwischen Stefanos Augenbrauen erschien eine steile Falte. »Siehe da, deinen Hüter scheinen Zweifel beschlichen zu haben. Passend zu meiner behutsamen Art mag ich es nun einmal, die Dinge beim Namen zu nennen.«

Zum ersten Mal seit über zweitausend Jahren sah sich Raffaele in die Enge getrieben. Ein Gefühl, das ihm so gar nicht gefiel, denn alles, was er tat, war, die Jahrtausende alten Gesetze zu vertreten, denen sie sich alle unterordnen mussten.

»Stefano, versteh doch, so kommen wir zu keinem vernünftigen Ende. Dein Potential ist enorm, doch du drohst es zu vergeuden. Glücksspiel und Mord, ist es das, womit du dein weiteres Leben als Kind der Dunkelheit verbringen willst?«

Der Vampir schnaubte wütend. »Verstehst du eigentlich, dass ich schlicht versuche, meinen Platz zu finden? Dass ich versuche, mir eine finanzielle Basis zu schaffen, auf der ich aufbauen kann? Es ist ja nicht so, dass ich jemanden bestehle. Abgesehen davon, und ich weiß nicht, wie oft ich das noch wiederholen muss, hat kein Unschuldiger durch mich sein Leben verloren. Fällt dir eigentlich auf, wie selbstgerecht du bist? Du gut, ich böse! Ende der Diskussion. Ich versuche dir zu erklären was ich fühle, doch du hast dich hinter einer Mauer aus Trotz und gekränkter Eitelkeit verschanzt. Du willst mich nicht verstehen, denn dann müsstest du einige deiner alt eingefahrenen Denkweisen neu ordnen – und dazu bist du nicht bereit.«

Raffaele musterte den zornigen Stefano mit versteinertem Gesicht. So mit ihm zu sprechen hatte vor Stefano noch keiner gewagt. Und doch war da etwas, das ihn berührte, aber er durfte sich nicht beirren lassen. Oder? Die Unsicherheit, die in ihm zu rumoren begann, gefiel ihm ganz und gar nicht. Er erhob sich, stützte sich ebenfalls auf der Tischplatte ab und brachte sein Gesicht ganz nahe an Stefanos.

»Hör mir gut zu, mein Junge, selbst wenn du in den Grundzügen deiner Argumentation auf dem richtigen Weg zu sein scheinst, so geht es hier gerade um etwas ganz anderes: Gehorsam! Wenn du dich in allem widersetzt, wie soll ich dir jemals Vertrauen entgegenbringen? Wenn du alles, was ich dir beizubringen versuche, in Frage stellst, wie soll die Gemeinschaft dir vertrauen können?«

»Du weißt nur zu gut, hier geht es nicht um die Gemeinschaft, hier geht es um dich und mich und ich muss sagen, ich bin zutiefst enttäuscht. Weißt du, dass ich mich gefreut habe? Weißt du, dass ich, als ich mich mit Gianninas Reaktion endlich abfinden konnte, glücklich war über dieses außergewöhnliche Geschenk? Es war für mich etwas Wertvolles: das Geschenk der Nacht!« Stefano erhob sich zu seiner vollen Größe.

»Doch deine Sturheit, dein Unwille, mich, und ich meine tatsächlich mich, Stefano Borello, wirklich anzunehmen, haben mir dieses wundervolle Geschenk verleidet. Du warst so verbohrt, dass du nicht einmal begriffen hast, wie sehr ich versuchte, deine Anerkennung zu erlangen. Wie groß war meine Hoffnung, von dir lernen zu können. Dein Wissen zu erfahren, deine Geschichte mitzuerleben, all das war mein Wunsch, doch du trittst ihn mit Füßen. Ich denke, es ist das Beste, wenn ich Venedig verlasse. Ich verspüre keine Lust darauf, dass wir uns weiterhin an die Kehle gehen, ganz zu schweigen davon, eines Tages Lucas Schwert an selbiger zu fühlen, weil du es leid bist, dich mit mir auseinanderzusetzen, und er mich eliminieren soll.« Stefano ließ ihm keine Möglichkeit zu antworten, so schnell verließ er den Raum.

Raffaele sank in seinen Stuhl zurück. Ganz langsam spürte er die Hilflosigkeit, die sich seiner ermächtigte. »Luca, was soll ich nur tun?«

Geschenk der Nacht

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