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Es war vom ersten Tag an sein Lieblingsplatz gewesen: Die breite Brüstung das Balkons, der zu seinem Schlafzimmer gehörte. Auch nun war er wieder auf das Geländer gesprungen, dort in die Hocke gegangen, hatte seine Arme auf den Oberschenkeln abgestützt und sah hinab in die schlafende Lagunenstadt. Sie war schön, voller Magie, voll uralter Gedanken und Träume – ja, er hatte diese Stadt vom ersten Moment an geliebt. Der Zauber, der über den Palazzi und gluckernden Kanälen lag, faszinierte ihn ebenso wie das bunte Leben in Venedig. Schöne und reiche Menschen kreuzten seine Wege, selbst die Hochnäsigsten unter ihnen begegneten ihm mit vorsichtiger Bewunderung. Seine Erscheinung und die ihn umgebende Aura ließen die mächtigen und selbstbewussten Venezianer plötzlich klein werden, sobald er seinen Blick auf sie richtete. Die Fähigkeit zu erkennen, in wem Böses verborgen lag, war von ihm schnell und sehr nutzbringend angewendet worden. Ja, es bereitete ihm Genugtuung, wenn er spürte, welch ein Bastard ihm gegenüberstand und ihn überheblich oder lauernd anlächelte. In seinem Innern baute sich dann, ohne dass er es verhindern konnte, ein solch heftiger Zorn auf, dass sein Gegenüber sein Leben zügiger aushauchte, als es zu begreifen vermochte, was mit ihm geschah. Da Stefano allerdings ab und an gern erklärte, warum er etwas tat, erfuhren die meisten vor ihrem Tod, wem sie gegenüber standen und was ihnen blühte. Ja, zugegeben, er genoss es, diese Bestien leiden zu sehen! Das war nur gut so!

Seine Geldsorgen waren unbegründet gewesen, nur leider hatte er sie anders gelöst, als Raffaele das gern gesehen hätte. Bei den diversen Spielrunden der Reichen Venedigs gewann er Summen, die seinen Mitspielern die Tränen in die Augen trieben. Er lächelte versonnen vor sich hin, wenn er daran dachte, wie rasch ein auf Sklavenarbeit aufgebautes Vermögen den Besitzer zu wechseln vermochte. Stefano sah das lediglich als höchst akzeptable Art der Umverteilung. Er griff nach seiner Samtjacke, zog sie über und ließ sich elegant vom Balkon nach unten in die kleine Gasse zwischen ihrem und dem benachbarten Palazzo fallen. Wenn er die Augen schloss, konnte er immer seine Umgebung beschreiben, so klar und deutlich zeichnete sie sich in seinem Kopf ab. Gerüche, Geräusche, der Wind, der durch sein Haar fuhr, sie alle erzählten ihm die Geschichten dieser Stadt.

Langsam schlenderte Stefano durch die von vielen Nachtschwärmern belebten Gassen der geheimnisvollen Lagunenstadt. Wenn in anderen Städten die Menschen, vor allem im Winter, mit Einbruch der Dunkelheit die Geborgenheit ihrer Heime suchten, so trieb es die Venezianer hinaus in die mondhelle Nacht, zu Festen, zu Konzerten, zu Gauklertruppen, die oftmals ihre Künste auf den Plätzen darboten. Sein Durst führte ihn vorbei an einer kleinen, von edlen Laternen erleuchteten Piazza zu einem Theater, in dem gerade eine Vorstellung zu Ende gegangen war. Plaudernd strömten die Gäste ins Freie und Stefano schloss seine Augen. Angestrengt horchte er in sich hinein, ob er etwas fühlte, ob ein Mensch dabei war, der entweder seine Aufmerksamkeit oder aber lediglich seine Fangzähne verdiente.

Sie war nicht mehr ganz jung und sie schien nicht hierher zu gehören, ihre Unsicherheit verriet sie, sie war zu aufgeregt. Stefano öffnete langsam die Augen und ließ seinen Blick über die Menschen auf der Straße gleiten. Sie versuchte Blumen zu verkaufen, meist blieb es bei dem Versuch, nur wenige blieben stehen, um sich oder ihrer Begleiterin eines der kleinen Sträußchen zu gönnen. Mit ängstlichem Blick sah sie, wie sich der Platz vor dem Theater wieder zu leeren begann, spähte dann ratlos in den noch fast vollen Korb an ihrem Arm. Stefano spürte ihre Enttäuschung. Sie brauchte das Geld, wahrscheinlich hing von dem, was sie hier feilbot und verkaufte, nicht nur ihre Existenz ab. Es war mühsam für ihn, nicht sofort in ihren Geist einzudringen, er arbeitete hart an sich, um diese Fähigkeit wirklich nur noch einzusetzen, wenn es sein musste. Doch die Gefühle, die sie vermittelte, verstand er auch so. Er stieß sich von der Wand ab, an der er lehnte, und trat in den Lichtkreis der Laterne. Sofort konnte er sehen, wie sie erschrak. Eigentlich wäre sie gern gegangen, weg von dem dunklen, auf sie bedrohlich wirkenden Mann, doch die Not war wohl stärker.

»Herr, möchten Sie denn nicht ein paar Blumen für Ihre Liebste kaufen? Sehen Sie, frisch und duftend.«

In ihrer Stimme lag so viel Furcht, dass Stefano sofort Mitleid mit ihr verspürte, noch dazu, da er fühlte, dass sie ein Mensch war, der wohl in seinem ganzen nicht einfachen Leben noch nie etwas Übles getan hatte.

»Meine Liebste ist weit von hier. Doch ich nehme dir gern ein paar deiner schönen Blumen ab.« Seine Augen suchten ihr Gesicht und wie auf Kommando hob sie ihren Blick zu ihm. Sie war sicherlich noch vor wenigen Jahren eine Schönheit gewesen, doch das Leben schien es nicht gut mir ihr zu meinen. Die haselnussbraunen Augen unter den hochgesteckten dunklen Haaren sahen ihn so ängstlich an, dass es ihm fast schon wehtat. Himmel noch mal, warum musste es Menschen, die es nicht verdienten, so schlecht ergehen? Das Schicksal war ein übler Geselle.

»Du fürchtest mich. Hab keine Angst, ich will dir nichts Böses.« Stefano sah sie eindringlich an. »Viel hast du nicht verkauft, sehe ich das richtig?«

Sie nickte müde. »Ja, leider, meine Sträußchen sind wohl nicht edel genug für die feinen Herrschaften.«

»Mach dir nichts daraus. Die Schönheit der kleinen Dinge im Leben begreifen nur wenige.« Ohne dass die Frau es bemerkte, war sie neben ihm in den Schatten getreten. So sehr er ihr helfen wollte, sein Durst war groß und die Schlagader der Frau pulsierte allzu einladend an ihrem schlanken Hals. Seinen Blick fest auf ihre Augen geheftet, hob Stefano seine Hand an ihre Wange. »Fürchte dich nicht.«

Seine heiser geflüsterte Bitte wäre nicht nötig gewesen, längst war sie im Bann seiner schwarzen Augen und seiner Macht gefangen. Sanft zog er sie weiter in den Häuserschatten, nahm ihr behutsam den Korb aus den Armen, stellte ihn zu Boden und umfing sie. Fast schon zärtlich schob er ein paar vorwitzige Haarsträhnen, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, beiseite, küsste ihre warme Haut und ließ seine Finger über ihren Hals gleiten. Von Anfang an war es ihm möglich gewesen, sich bei der Nahrungsaufnahme im Griff zu haben, und so war es auch in dieser Nacht. Auch wenn stets ein Tier in ihm zu erwachen schien, er vermochte es zu kontrollieren, das Knurren jedoch konnte er nicht unterdrücken. Langsam und genüsslich senkte er seine Fangzähne in ihren Hals und trank das warme, nährende Blut. Nur zu gut spürte er ihre Reaktion auf ihn. Sie stöhnte leise auf und schmiegte sich an ihn. Stefano löste seinen rechten Arm von ihrer Schulter, während seine Linke ihren Kopf umfing. Während er weiter trank, streichelte er langsam und liebevoll ihr Haar und ihre Schultern. Sie sah noch immer gut aus, auch wenn das Leben ihr Gesicht und ihren Körper gezeichnet hatte und er hätte sie sich nehmen können, sie hätte es sogar gut geheißen – er aber nicht. Es fiel ihm schwer, den Trieb zu unterdrücken, aber es gelang. Noch während er den letzten Schluck von ihr trank, glitt seine Linke zu ihrer Schläfe und er begann in ihren Geist einzudringen. Von dem Moment an, in dem sie ihn erblickt hatte, löschte er ihre Erinnerung, verschloss gleichzeitig ihre Wunden und ließ sie los. Er griff in den Aufschlag seiner Jacke und holte einige Münzen hervor.

»Ich würde gern drei deiner Sträuße kaufen.«

Sie musterte ihn verwirrt, langte jedoch sofort nach dem Korb. »Sehr gern, welche darf ich Ihnen geben, Herr?«

Stefano wählte mit Bedacht und drückte ihr einige Münzen in die Hand. »Buona notte, ich hoffe, dass noch mehrere Freunde der Nacht zugreifen werden. Lass dich nicht entmutigen.«

Stefano war verschwunden, ehe sie reagieren konnte. Ihr »Aber Herr, das ist doch viel zu viel!«, vernahm er mit einem zufriedenen Lächeln.

Die Nacht war noch jung, sein erster Durst gestillt und Stefano wusste, wo er nun noch ein wenig Zerstreuung finden würde. Das Haus, in dem sich reiche Müßiggänger zum Kartenspiel trafen, war nah. Er atmete tief die frische Luft ein, winkte ein Boot herbei und nannte dem Gondoliere die Anschrift. Als er sich in die mit warmen Fellen belegten Sitze fallen ließ, konnte er nicht umhin zu bemerken, dass er einige Dinge in seinem neuen Leben sehr genoss.

Geschenk der Nacht

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