Читать книгу IRGENDLAND - Geertje Boeden - Страница 15

Dreizehntes Bild

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… da war die Bibliothek. Sie musste es sein! Das Mädchen trat durch die verglasten Flügeltüren. Schummerig, nach Staub und altem Papier riechend, hatte die Luft hier eine ganz andere Dichte. [Als würde man sich unter Wasser fortbewegen.] In den wenigen Lichtstrahlen tanzten die Staubkörner wie Schwebteilchen im Meer. Das Mädchen blickte nach rechts. Schier endlose Bücherreihen, die sich in das Innere des Raumes erstreckten.

Hier könnte ich mich gut verlaufen. Dachte es, als sein Blick von einer kleinen Gestalt eingefangen wurde.

Da hinten in der dritten Reihe stand sie. Die Alte Dame.

Es gab sie also wirklich. Ein Gefühl des Triumphes breitete sich im Bauch des Mädchens aus, wie Tinte auf Löschpapier. Es ließ seine Mundwinkel in die Höhe wachsen.

Ich bin gleich bei Ihnen, einen kleinen Moment!

Die Alte Dame hatte Das Mädchen bemerkt.

Ich habe sie gefunden.

Ja, das haben Sie. Zumindest, wenn Sie mich gesucht haben. Der Kopf der Bibliothekarin tauchte hinter dem Rezeptionstisch auf.

Warten Sie schon lange? Ich war so ins Wiedereinsortieren versunken, wissen Sie. Die Leute hier haben keinen Anstand und Respekt vor den Büchern. Auch die wollen wieder an ihren Plätzen stehen. Sie wollen ja auch nicht plötzlich im Bett ihrer Nachbarn schlafen, nicht wahr?

Kommt drauf an, wie die Nachbarn aussehen …

Der verständnislose Blick, mit dem die Alte Das Mädchen bedachte, ließ es schnell umschwenken.

Ein Scherz.

Ach so. … jaja … köstlich … haha.

Es folgte eine verlegene Stille.

Was Das Mädchen zu sagen hatte, würde das Ganze nicht besser machen.

Ich habe von Ihnen geträumt.

Das ist sehr schmeichelhaft, aber ich habe Sie hier noch nie bemerkt, Sie sind wohl sehr diskret in ihrem Ausleihverhalten, ja?

Nein, Sie verstehen nicht. Ich … äh … war noch nie zuvor hier.

Misstrauen und Argwohn schlichen sich in das rechte und linke Auge der Alten Dame.

Ich bin auf der Suche nach … einem Buch … zumindest glaube ich, dass es ein Buch ist. … ich habe davon geträumt. Und da ich keine andere …

Das Mädchen suchte nach Worten. Und fand sie.

Meine Mutter liegt seit vielen Monaten in einem Koma. Ich soll einfach warten. Aber ich kann nicht. Ich weiß, es gibt eine Möglichkeit …

Und da glauben Sie, dass ich Ihnen helfen kann, nur, weil Sie meinen, von mir geträumt zu haben? Kurios.

Ich habe alles andere versucht, also warum nicht auch noch das! Und dass es Sie tatsächlich gibt, ist ja wohl ein Zei …

Die Alte Dame pfiff energisch, ohne die Lippen zu bewegen.

Wahrscheinlich haben Sie mich nur einmal irgendwo auf der Straße gesehen und mich deswegen in Ihre Träume eingewoben. Das Unterbewusstsein ist ein …

Nein. Ich weiß es. Sie helfen mir.

Das Mädchen starrte der Alten trotzig ins Gesicht. Es konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es von dieser gerade auf die Probe gestellt wurde.

Der Blick wiederum, mit dem die Alte Das Mädchen bedachte, wurde noch stechender. Im Befehlston hatte lange keiner mit ihr gesprochen. Das war erfrischend und interessant. Nach einer kleinen Weile des gegenseitigen Starrens, sagte sie schließlich.

Man sieht im Moment Dinge in der Stadt. Sie hausen mit uns. Menschen erwarten nicht, dass sie da sind.

Das Mädchen nickte.

Es ist nichts Neues, dass es Tausende und abertausende Welten innerhalb der unseren gibt. Zu bestimmten Zeiten sehen wir die Möglichkeiten.

Das Mädchen nickte.

Ein Buch kann dir nicht helfen.

Aber in meinem Traum …

Vergiss deinen Traum, wenn er etwas getan hat, dann dich hierher zu bringen, zu mir. Du aber musst dorthin zurückkehren, wo ihr früher wart. Vor langer Zeit. Für euch allein, in einem Nest, fern von allen Menschen und allem Harm. Zu den Tagen des Kirschkernweitspuckens.

Ein Luftzug unheimlicher Erwartung huschte wispernd durch den Raum und kräuselte als Schauer die Haut des Mädchens.

Beide sprachen nicht mehr. Die Unterwasserstille legte sich wieder über die Bibliothek, die Staubkörner tanzten in der Sonne. Die Alte Dame sah ihnen dabei zu, für einen Moment schien sie das Gespräch und die Anwesenheit des Besuchers vergessen zu haben. Dann sagte sie unvermittelt.

Ich will etwas von dir dafür haben.

Ich habe Geld bei mir, einen Moment.

Nein, kein Geld kann kaufen, was ich brauche.

Die Alte tastete nach etwas unter dem Rezeptionstisch, das ein schmirgelndes Klirren von sich gab.

Ich gebe dir diese Knöpfe. In diese fängst du die Sonnenstrahlen der Sonnenfinsternissonne ein und bringst sie mir. Danach gebe ich dir noch etwas Anderes, das dir helfen wird, den Weg zu finden.

Ich … was …?

Auf einmal kam dem Mädchen alles unvorstellbar lächerlich vor. Vielleicht wurde es von dieser fremden Frau doch nur zum Narren gehalten.

Halte deine Hand auf!

Das Mädchen tat, wie ihm geheißen und zwölf perlmuttschimmernde, austerngroße Plättchen fielen streng hinein. Sie waren sehr kühl.

Was klagen die Krähen anders im Herbst als im Sommer?

Die Alte Dame fixierte Das Mädchen.

Was?

Du glaubst mir nicht, aber dennoch bist du bereit, alles zu glauben, um etwas zu tun.

Das Mädchen nickte und schloss die Hand um die Austernknöpfe.

Das ist die richtige Einstellung. Nimm dein Fahrrad mit.

Das Mädchen wollte sagen, dass es gar nicht mit dem Fahrrad gekommen war, doch hütete es sich im letzten Moment, die Worte auszusprechen. Denn die Alte Dame machte ihm doch ein wenig Angst. Wenn sie also meinte, es hätte ein Fahrrad, dann hatte es eben ein Fahrrad. Zumindest konnte man sich das Gefährt ja einmal ansehen.

Das Mädchen war kaum aus den Flügeltüren getreten, da erspähte es auch gleich das Rad.

Es sah aus, als würde es beim nächsten Windstoß in seine Einzelteile zerfallen. Ein sehr ausladender Lenker und ein sehr breiter Sitz aus Leder, aber ansonsten aus Rost bestehend, nicht aus Metall.

Daran, wie ein Mensch sein Fahrrad abstellt, erkennt man seinen Charakter. Drohte die Alte Dame dem Mädchen noch freundlich hinterher.

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