Читать книгу IRGENDLAND - Geertje Boeden - Страница 19

Siebzehntes Bild

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Das hast du gut gemacht, mein Kleiner.

Picoi flatterte freudig zur Alten Dame und ließ sich auf ihrem Hut nieder.

Da sind Sie ja wieder! Lange nicht gesehen!

Die Alte Dame war sehr vergnügt.

Sie sind doch die Dame aus dem Superma …

Aber doch natürlich, Sie haben das Buch zur Grammatica runica bei mir ausgeliehen.

Ja, … jetzt wo Sie es sagen. Der Selbsternannte Philosoph war erstaunt. Das Buch hatte er längst vergessen. Wahrscheinlich entsprach die Ausleihgebühr, samt Mahnungen, schon dem Wert eines Kleinwagens.

Der Sehr Kleine Traurige Herr guckte verständig von einem zum anderen, als wollte er auch etwas zu dem Gespräch beitragen, wusste jedoch nicht, was er sagen sollte. Dazu hatte er zu wenige Bücher gelesen. Lieber spähte er darum zu Picoi, der selbstzufrieden auf dem Hut der Bibliothekarin saß.

Sie suchen das Mädchen.

Nicht, dass ich wüsste.

Ja, Sie wissen es vielleicht nicht, aber doch suchen Sie es. So ist es. Mit den meisten Dingen.

Ah.

Die Alte Dame schob ihren Hut etwas aus der Stirn. Wobei der Sehr Kleine Traurige Herr sich fragte, ob dieser, als sie die Bibliothek betreten hatten, auch schon auf ihrem Kopf gesessen hatte, oder ob sie ihn sich eben unbemerkt aufgesetzt hatte. Ein seltsamer Hut war es in jedem Fall. Klein, eckig und gleichzeitig geschwungen und würdevoll. Ein bisschen wie eine geblümte Teekanne. Dachte der Sehr Kleine Traurige Herr und kicherte leise. Das aber hörte die Alte Dame und blitzte ihn sofort mit ihren schmalen, eisblauen Augen an.

Soso. Sagte sie, schielte nach oben zu Picoi und wieder zu dem kleinen Mann und wieder zu Picoi und wieder zu dem kleinen Mann. Dabei blieb es zunächst. Daraufhin verschwand sie, in ihrem langen Glockenrock fahrend, in den Arkadenwäldern ihrer Regale und murmelte leise vor sich hin. Auch Picoi flatterte auf und verschwand in den Bücherreihen. Man hörte aus der Ferne sein kicherndes Kick. Dem Sehr Kleinen Traurigen Herrn fröstelte es. Sein entblößter Kopf fühlte sich ganz falsch an. Hoffentlich würde Picoi bald wiederkommen.

Die beiden Männer tauschten ratlose Blicke und warteten.

Wäre ich nicht immer noch etwas angetrunken, würde ich hier nicht mehr sinnlos rumstehen. Dachte der Selbsternannte Philosoph. Und er räusperte sich leise. Stauballergie.

Ihr Warten wurde allerdings belohnt, denn nach einer Weile begann das Murmeln der Alten wieder lauter zu werden. Wenn sie auch weiterhin unsichtbar in den Untiefen der Bibliothek blieb, konnten sie jetzt deutlich verstehen, was sie sprach. Sie schien tatsächlich mit ihnen zu reden. Oder nicht?

Die Schatten, sind wie der Umriss, ja der Abdruck einer Welt, die über der unseren liegt. Sie durchschneiden unsere Realität, machen unsere Welt erst gegenständlich und werfen auf sie gleichzeitig die Zweidimensionalität zurück. Das Entdecken des Zweidimensionalen ermöglicht die Wahrnehmung unserer Realität erst als dreidimensional. Der Schatten wird so eine mathematische Ableitung, um die Existenz eines Körpers, dessen Schatten er ist, zu beweisen. Dennoch bleibt sein äußeres Wesen, die Form, wie der Körper in unserer Welt erscheint, undurchschaubar. Sind Schatten also Lügen? Oder sind sie das Kondensat? Was passiert, wenn der Schatten und der für uns sichtbare Körper nicht übereinstimmen? Lügt dann der Schatten? Oder lügt der Körper? Können Schatten vielleicht auch etwas Unsichtbares offenbaren? So wären sie nicht die Lüge, sondern das Entdecken der Lüge! Man begibt sich also auf die Suche nach der wahren Form …

Sie könnten bei mir an der Uni eine Vorlesungsreihe übernehmen, wenn Sie so weitermachen. Lachte scherzhaft, aber etwas forciert der Selbsternannte Philosoph.

Unvermittelt tauchte der Kopf der Alten Dame direkt hinter dem Empfangsbereich wieder auf, so als hätte sie die ganze Zeit dahinter nach ihrer Brille gesucht. Beide Männer zuckten so stark zusammen, dass sie synchron einen kleinen Hopser rückwärts vollführten.

Bravo. Sagte die Alte Dame trocken. Was wäre, wenn die Existenz der Welt von dem Wunsch eines einzelnen Menschen abhinge?

Dann würde ich hoffen, dass diese Person gerade keinen Liebeskummer hat.

Der Blick, mit dem die Alte Dame den Selbsternannten Philosophen bedachte, erinnerte an eine blaugeblümte Teekanne, mit einer sehr kleinen Tülle, ein Ausdruck etwa zwischen abschätzig und indigniert.

Sie sieht genauso aus wie ihr Hut. Dachte der Sehr Kleine Traurige Herr und fragte sich, ob der Selbsternannte Philosoph diese verblüffende Ähnlichkeit auch eben erst festgestellt hatte.

Eine Welt, die um wenige Zentimeter über unserer eigenen schwebt. Das ist, wohin Sie gehen müssen.

Was Sie nicht sagen … Nun jedenfalls … wir sollten jetzt wirklich …

UNSINN! Sie müssen dem Mädchen helfen!

In dem Moment kam Picoi zurückgeflogen und setzte sich wieder auf den Kopf des Sehr Kleinen Traurigen Herrn. Er äugte bittend zur Alten Dame, die mit dem Kopf nickte. Sie befand es für gut, denn sie sagte.

Hast du dich an den Buchstabenläusen und dem Blätterplankton sattgegessen?

Picoi piepste nur zufrieden. Kick.

Gut. Picoi wird Ihnen helfen. Er wird es finden. Geht nur.

Moment. Sagte der Selbsternannte Philosoph. Ich wüsste nicht, warum wir irgendeinem Mädchen bei irgendetwas helfen sollten!

Die Alte Dame blinzelte.

Aha. Was haben Sie denn schon groß in ihrem Leben, was es so lebenswert macht?

Der Selbsternannte Philosoph warf sich seinen Schal über die Schulter.

Ich bin zynisch und vergraule meine Studenten, die sich mit Theater und Kunst beschäftigen wollen, da die Menschheit dem Untergang geweiht ist. Und ich bin sehr zufrieden damit. Erst seit heute habe ich diese Halluzinationen und ich würde mich gerne davon befreien. Vielleicht hat die Regierung uns auch alle unter Drogen gesetzt und deswegen sehen wir diese kollektiven Horrorszenarien.

Sie finden also Spinnen und Quallen sind Horrorszenarien?

Woher wissen Sie …

Das tut nichts zur Sache. Ich sehe einfach mehr als Sie. Sie wollen also nichts lieber als das einzige bisschen Aufregung, das in Ihr Leben hereingebrochen ist, loswerden. Schön. Auch dann müssen und werden Sie dem Mädchen helfen. Warum fächeln sich Flughunde Luft zu in der prallen Sonne? Fragte die Alte Dame streng und guckte von einem zu anderen.

Äh …

Sie fächeln, weil ihnen heiß ist, ist doch ganz klar. Bring sie dorthin, wohin sie gehen müssen, Picoi.

Auf Wiedersehen. Sagte der Sehr Kleine Traurige Herr, der sich zum Ende des Gesprächs hin am liebsten noch kleiner gemacht hätte, als er sowieso schon war, höflich.

Die Alte Dame war aber schon wieder in die Reihen ihrer Bücher hineingefahren und seinem Auge entschwunden.

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