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An diesem Tag war eine Sonnenfinsternis angekündigt. Eine Jahrhundertsonnenfinsternis. Nicht etwa, weil sie ein Jahrhundert lang dauern sollte, vielmehr, weil man nur einmal in diesem Jahrhundert die Möglichkeit haben sollte, eine solche Sonnenfinsternis lebendigst zu erleben. Der Selbsternannte Philosoph warf sich mit einer jahrelang geübten Geste den Schal über die rechte Schulter.

Nein. Dachte er. Nein. Während er einen Kaffee schlürfend aus dem Fenster der Mensa über die Stadt blickte. Wann hatte er das letzte Mal eigentlich Lust verspürt, seine Studenten zu unterrichten? Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Dabei war er einmal ein so leidenschaftlicher Dozent gewesen. Der Kaffee war heiß und sehr süß, schmeckte aber weniger nach Kaffee als nach purem Zucker mit einem entfernten Hauch von etwas, das einmal Kaffeearoma gewesen sein könnte.

[Dieser Kaffee symbolisiert mein Leben, etwas, das als Idee vielversprechend klingt, die Idee ‚heißer Kaffee mit Zucker‘, aber an der Umsetzung scheitert und nur eine Farce, eine zur Groteske verzerrte Fratze trägt, nein, selber die Fratze ist. Ohne etwas dahinter.] Er ließ seinen Blick auf den Dächern der Häuser ruhen, die, von schmalen Schornsteinen gespickt, den Eindruck von kleinen Fühlern erweckten.

Wie große Schnecken mit winzigen Fühlern. Dachte er und folgte diesem Assoziationsstrang. Wenn die Häuser also Schnecken sind, und die Schornsteine Fühler, mit denen sie sich gegenseitig betrachten und verständigen, was sind dann wohl wir, ihre Bewohner? Schleim und Parasiten. Ja, der Gedanke vom Menschen als Parasiten der Erde war nicht neu. Wohl aber der vom Menschen als Parasit seiner eigens geschaffenen Bauwerke. Selbst die unbelebten Objekte leiden unter dem Menschen und seinem Schleim und Abfall.

Ein zufrieden defätistischer Zug wehte über sein Gesicht. Was für eine wunderbare Stimmung, um ein Seminar über die Theorie und Ästhetik des Theaters zu halten.

Er drehte sich um und ließ die Schneckenstadt zurück.

Der Kaffee ist noch schlechter als letzte Woche. Schleuderte er gut gelaunt der Mitarbeiterin der Mensa entgegen, während er den Kaffeebecher im Mülleimer entsorgte.

Ich wünsche Ihnen auch eine schöne Woche. Antwortete vollständig unbeeindruckt die Mitarbeiterin, ohne vom Lesen ihrer Illustrierten aufzublicken. Deswegen sah sie auch nicht den Schornstein, der sich der Fensterfront der Mensa zuwandte und zweimal neugierig blinzelte.

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