Читать книгу IRGENDLAND - Geertje Boeden - Страница 17

Fünfzehntes Bild

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Als Das Mädchen am nächsten Morgen erwachte, fühlte es noch förmlich den Abdruck des Erpelschnabels an seiner linken Schläfe. Schläfrig tapste es ins Bad und versuchte, sich an den Traum der vergangenen Nacht zu erinnern. [Irgendetwas mit einem Hut.]

Es blickte im Flur im Vorbeigehen in den Spiegel und taumelte vor Schreck rückwärts gegen die Wand.

Auf seinem Kopf saß ein riesiger, spitzer schwarzer Hut, dessen Ende so weit nach unten ragte, dass er fast den Boden berührte. Mit einem Mal außerordentlich wach, fiel dem Mädchen der Traum wieder ein.

Ich komme aus dem Wasser, es ist der See vor unserem Haus, steige über einen Ponton aus Holz, der heftig hin- und herschwankt … trage einen HUT, einen riesigen, spitzen schwarzen ZAUBERERHUT [AH!]. Ich nehme ihn ab und fasse hinein, in der oberen Spitze finde ich Stroh und Heu. Ein Nest. Darin geborgen ein schwarzes Ei, das verkohlt aussieht. Mit einem Spalt. Ich prüfe, ob es schon so weit ist. Halte es ganz nah an mein Gesicht. Ein gelbes Rabenküken kommt heraus.

Abrupt zuckte es zusammen. Hieße das, irgendwo in der Wohnung säße jetzt auch der geträumte Vogel? Ohne sich vom Spiegel wegzubewegen, lauschte es vorsichtig in den Raum hinein. Aber keine Bewegung war zu vernehmen.

[Moment mal!] Es schüttelte den Kopf. [Vielleicht habe ich auch einfach Hirnblutungen von dem Zusammenstoß und deswegen Halluzinationen!] Ob das allerdings die erstrebenswertere Alternative war, bezweifelte Das Mädchen sofort und es verwarf den Gedanken. [Dann habe ich lieber einen unheimlichen Hut.] Wie es sich allerdings so im Spiegel betrachtete, sah es eher aus, als hätte der Hut das Mädchen. Plastisch und riesenhaft, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, der Hut wäre das eigentliche Lebewesen und das Mädchen darunter der Zierrat oder gar das Transportmittel, hockte er auf dem kleinen Kopf – wie angegossen, als wäre er schon immer da gewesen und mit jeder Bewegung mitschwingend, selbstzufrieden, der Hut.

Das Mädchen funkelte ihn jetzt mit zusammengekniffenen Augen purer Willenskraft an, als könnte es ihn dadurch auflösen. Doch im Gegenteil, er wich keinen Zentimeter vom Fleck, sondern schien sich nur noch wohliger auszustrecken.

Großartig.

Auge in Auge mit dem behüteten Ich verharrte Das Mädchen, den Rücken an die Wand gepresst und dachte angestrengt nach.

Moment mal, noch ist nicht bewiesen, dass es dich wirklich gibt! Rief es plötzlich und voller Trotz aus. Ich habe noch gar nicht versucht dich abzunehmen! Triumphierte es.

Warum der Gedanke, dass man einen Hut auch abnehmen konnte, so spät in sein Bewusstsein drang, wusste es selbst nicht. Aber in der Tat verhielt es sich so, dass Das Mädchen erst jetzt überhaupt daran dachte, mit dem Hut auf Tuchfühlung zu gehen. Es nahm seinen Mut zusammen und tastete vorsichtig nach seinem Kopf. Aber was war das? Es konnte nichts Stoffliches auf dem Kopf fühlen. Außer seinem eigenen Haar. Und doch sah es im Spiegel, wie sich durch die vermeintliche Berührung die Krempe des Hutes etwas anhob. Es wiederholte die Bewegung verdutzt einige Male, immer mit dem selben Ergebnis.

[Nun gut. Jetzt nur nicht überschnappen. Auch wenn ich ihn nicht ertasten kann, scheint er auf meine Berührung zu reagieren. Vielleicht kriege ich ihn dann auch irgendwie von meinem Kopf runter.] Das Mädchen atmete tief durch und trat näher zum Spiegel.

So, Hut! Nach dieser Kampfansage griff es, gefühlt, ins Leere, aber im Spiegel unverkennbar an den Schaft des Hutes und zog an ihm mit einem kräftigen Ruck. Er saß fest.

Das Mädchen probierte es ein weiteres Mal. Vergebens. Aber es musste doch gehen! Es griff nach der Krempe und stemmte sich mit dem ganzen Körper und dem langsam aufblühenden, wohlbekannten weißen Gefühl des Jähzorns dagegen. Es zog und zerrte, aber nichts half, er saß nur noch fester! Nun wand es sich und taumelte von einer Ecke in die andere. Der Hut tanzte mit ihm durch die Wohnung, stieß Lampen um und fegte Bücher von Regalbrettern. Als auch das nichts nützte, rannte Das Mädchen in die Küche, holte einen Löffel und versuchte ihn zwischen Stirn und Hut zu schieben, um das Objekt vom Kopf zu hebeln. Doch kein Spalt war breit genug. Der Löffel flog in hohem Bogen in die Ecke und blieb im Boden stecken. Mit wildem Wutgeheul riss Das Mädchen abermals an der Hutkrempe und entwurzelte ein Haarbüschel. Aufschreiend vor Zorn und Schmerz warf es sich mit dem Kopf gegen die Wand. Ein scharfes Brennen auf der Stirn und das Gefühl des herunterlaufenden Blutes stoppte endlich seine Raserei. Es sank zu Boden, keuchte und weinte schließlich leise.

Als es eine Weile so, voller Selbstmitleid, dagesessen hatte, beschloss es, sich zu fassen.

[Ich brauche frische Luft.] Es erhob sich, indem es sich an der Wand abstützte, den Blick zum Spiegel vermeidend, und wankte zum Fenster. Öffnete es und atmete tief ein. Doch was war das? Die Menschen unten auf der Straße, … nein, das war ja unmöglich …

[Die tragen ja alle Hüte! ALLE!] Sprachlos und wie versteinert blickte es auf das bunt behütete Treiben. Dann aber, aus dem entsetzten Erstaunen auftauchend, bahnte sich eine Erkenntnis ihren Weg ins Freie. Und je länger Das Mädchen am Fenster stand und sah, desto ruhiger wurde es.

Die Hüte fügten sich auf komplementäre Weise dem jeweiligen Menschen hinzu. Es erklärte sich vielmehr aus dem jeweiligen Hut, die Art des Menschen sich zu bewegen, ja, zu gehen.

[Jeder Mensch trägt seinen eigenen Hut. Und plötzlich kann ich es sehen.]

Das Mädchen musste an die Alte Dame denken. Es ergab alles einen Sinn. Es wusste zwar noch nicht welchen, aber es war eine Möglichkeit. Das Mädchen ging zurück zum Spiegel.

So, Hut! Da bist du also. Mein Hut. Fast erwartete es, der Hut würde antworten, aber er blieb stumm und machte einen sehr zufriedenen Eindruck. Eine Zufriedenheit, die in ihrer rigorosen Unumstößlichkeit ansteckend auf Das Mädchen wirkte.

Also ging es ins Bad und wusch sich das Blut vom Gesicht. Heute war eine Sonnenfinsternis angekündigt. Und es hatte die Knöpfe noch nicht an den Mantel genäht.

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