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»ZEIGE MIR, WIE DU WOHNST« Vorwort

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Sie lebten in Villen und auf Zimmer-Küche-Kabinett. In Palästen oder im Armenhaus. Und sie haben Geschichte geschrieben. Während Herbert von Karajan auf einem großen Gutshof logierte, gab sich Heimito von Doderer, selbst als berühmter Dichter noch, mit zwei kleinen Zimmern zufrieden, die in einen Hinterhof blickten. Katharina Schratt benötigte drei Wohnsitze, weil der Kaiser Wert darauf legte, sie stets in seiner Nähe zu haben. Max Reinhardt und Richard Strauss haben in Schlössern residiert.

Gerade bei schöpferischen Menschen ist die Atmosphäre, in der sie leben, von enormer Bedeutung für ihr Werk. So ist es wohl kein Zufall, dass Johann Strauß den Donauwalzer in seinem (unweit der Donau gelegenen) Haus in der Praterstraße komponiert hat, dass Franz Lehár nirgendwo sonst so viele Melodien einfielen wie in seiner Villa im Salzkammergut und dass Hofmannsthal im Ausseerland an seinen wichtigsten Stücken schrieb.

Auch für Hitlers Laufbahn sollte eine Adresse prägend sein. Im Männerheim in der Meldemannstraße studierte er die Schriften seiner »alldeutschen« Idole, die zum Nährboden des Rassenwahns einer mörderischen Ideologie wurden. Das Wiener Obdachlosenasyl diente als Probebühne für spätere Hetzreden, die er vor Hunderttausenden Menschen hielt.

Adressen mit Geschichte erzählen Geschichte – und Geschichten. Ernste, heitere, romantische und tragische. So musste Anton Bruckner von seiner Wohnung auf der Ringstraße aus mit ansehen, wie das Ringtheater ein Raub der Flammen wurde. Die Schauspielerin Dorothea Neff hat bei sich zu Hause vier Jahre lang eine jüdische Freundin versteckt und ihr damit das Leben gerettet. Und Bruno Kreisky meldete in seiner eigenen Villa den Maler Oskar Kokoschka an, um ihm so die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen.

Es gibt natürlich auch Adressen mit Liebesgeschichten. Eine handelt von Willi Forst und Marlene Dietrich, eine andere vom Kaufmann Julius Meinl und der japanischen Sängerin Michiko Tanaka. Von zeitgeschichtlichem Interesse ist wohl die Affäre des auch durch antisemitische Parolen groß gewordenen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger mit der jüdischen Schauspielerin Caroline Loewy.

Etlichen Adressen konnte ich mithilfe alter Adress- und Telefonbücher auf die Spur kommen, wobei mir zustatten kam, dass die Prominenz in früheren Zeiten aus ihrem Wohnort nur selten ein Geheimnis machte. Johannes Brahms stand ebenso in Lehmann’s Wohnungsanzeiger wie Anton Bruckner, Johann Strauß, Gustav Klimt oder Arthur Schnitzler. Und im Telephonabonnentenverzeichnis 1889 fand ich sogar den alten Kaiser. Natürlich nicht unter »Franz Joseph I., Wien 1., Hofburg, Reichskanzleitrakt«, wo er tatsächlich wohnte – die Eintragung lautete vielmehr »Obersthofmeister-Amt Sr. k. und k. Apostol. Majestät«, und als Nummer war »750« angegeben. Allerdings hob er nie selbst ab, da der Monarch neumodische Erfindungen wie das Telefon ablehnte.

Neben berühmten Adressen wie denen von Mozart, Beethoven, Schubert oder Freud gibt es auch solche, die nicht so leicht zu eruieren waren. Doch glücklicherweise werden in Wien seit 1910 die von Einheimischen wie Besuchern sorgsam ausgefüllten Meldezettel archiviert, in die ich für dieses Buch Einblick nehmen durfte. So fand ich die frühen, zum Teil verschollen geglaubten Wohnadressen von Künstlern wie Fritz Kortner, Lotte Lenya, Frederick Loewe, Billy Wilder oder der Wienerin Liesl Goldarbeiter, die 1929 zur schönsten Frau der Welt gekürt wurde.

Dieses Buch ist natürlich kein »Adressbuch«, das sich mit einer Auflistung der Wohnorte berühmter Menschen begnügt. Ich hielt vielmehr nach Geschichten Ausschau, die hinter diesen Menschen und ihren Wohnungen stehen. Im Mittelpunkt der Handlung findet sich – der besseren Übersicht wegen – jeweils nur eine Anschrift: Wenn ich etwa über den Zufall berichte, dem Alexander Girardi seine Villa in Bad Ischl verdankte, dann nenne ich deren Adresse (und erwähne die seiner Wiener Wohnung nur am Rande). In anderen Fällen geht es um die für das Werk oder die Person vorrangige Anschrift der beinahe zweihundert in diesem Buch porträtierten Menschen. Wie bei Bertha von Suttner das Schloss Harmannsdorf, auf dem sie jenes Werk schrieb, das ihr den Nobelpreis brachte. Bei Beethoven entschied ich mich nicht nur deshalb für das Haus Mölkerbastei 8, weil hier die Oper Fidelio entstand, sondern auch einer Episode wegen, die ein wenig Licht auf die eigenwillige Persönlichkeit des Musikgenies wirft.

Im Allgemeinen werden die in unseren Tagen gebräuchlichen Straßennamen und Hausnummern angeführt, damit der Leser besser nachvollziehen kann, wo die betreffende Person gewohnt hat. Ein Beispiel dafür: Dem Kapitel der Maler entnimmt man, dass Ferdinand Georg Waldmüller in der Maysedergasse 4 wohnte, obwohl die Adresse zu seiner Zeit Comödien-Gäßchen Nr. 1040 lautete – doch mit dieser Angabe könnte man heute wenig anfangen.

Die beschriebene Prominenz war in Wien, Salzburg, Linz, im Salzkammergut oder an anderen kleineren Orten zu Hause. Und ein Kapitel erzählt von Österreich-Besuchern wie Napoleon, Lady Hamilton, Mark Twain, Richard Wagner oder Caruso, in deren Unterkünften sich ebenfalls erwähnenswerte Episoden ereignet haben. In nur zwei Fällen konnte ich trotz intensiver Recherchen keine Wohnadresse eruieren: Bei Karl May, der 1912 – eine Woche vor seinem Tod – nach Wien kam und offenbar den obligaten Meldezettel auszufüllen vergaß. Und bei dem bayerischen Original Karl Valentin, das 1923 in einem Kabarett auf der Mariahilfer Straße gastierte. Beide haben zweifellos in Wien genächtigt – aber ohne Meldezettel geht hierzulande gar nichts.

Es gibt Adressen, die geradezu magisch von historischen Persönlichkeiten angezogen wurden: So lebten im Haus Stallburggasse 2 in der Wiener Innenstadt Maria Jeritza, Hugo von Hofmannsthal, Max Mell, Alfred Polgar und Engelbert Dollfuß. Und für eine Wohnung im Hochhaus in der Herrengasse 6 hatten sich Hans Jaray, Curd Jürgens, Robert Lindner, Oskar Werner, Georg Kreisler und Gunther Philipp entschieden.

Auch wenn dieses Buch von berühmten Menschen handelt, sind die darin enthaltenen Geschichten nicht immer nur glamourös. An manchen Adressen haben sich Tragödien ereignet, wie die des umjubelten Opernstars Trajan Grosavescu, der in seiner Wohnung auf der Lerchenfelder Straße von seiner eifersüchtigen Frau ermordet wurde. Freiwillig aus dem Leben schieden Ferdinand Raimund, Franz Jauner, Eduard van der Nüll, Egon Friedell und Stefan Zweig. Und der Komponist Anton von Webern wurde in Mittersill irrtümlich von einem Besatzungssoldaten erschossen.

»Zeige mir, wie du wohnst«, heißt es frei nach Chistian Morgenstern, »und ich sage dir, wer du bist.« Vielleicht gelingt es anhand der Adressen und Geschichten in diesem Buch, ein wenig mehr darüber zu erfahren, wer die betreffenden Personen wirklich gewesen sind.

GEORG MARKUS

Wien, im Juli 2005

Adressen mit Geschichte

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