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TEXT- UND ANDERE
PROBLEME SCHAUSPIELER UND IHRE REGISSEURE EINE DIVA TRITT AB Adele Sandrock
Wien 1., Opernring 19
ОглавлениеEin Star kann in seinen Forderungen sehr weit gehen, er kann Höchstgagen und Sonderurlaube verlangen, sich Stücke, Rollen und sogar Mitspieler aussuchen. Er kann aber auch übertreiben. So geschehen bei Adele Sandrock, der großen Heroine des Wiener Burgtheaters, die viele Jahre in einer herrschaftlichen Wohnung des Hauses Opernring 19 – in dem sich heute das Burgkino befindet – residierte.
Sie wurde gefeiert wie keine andere Schauspielerin ihrer Zeit, doch man konnte sie nicht zufrieden stellen, die Sandrock fühlte sich ständig zurückgesetzt und warf dem jeweiligen Burgtheaterdirektor vor, er würde ihre Konkurrentinnen bevorzugen, ihnen die besseren Rollen geben.
Direktor Max Burckhard tat alles, um die Sandrock zu beruhigen, er nahm Rücksicht auf ihr reizbares Temperament, ihren Eigensinn in der Rollenwahl, er akzeptierte es sogar, wenn sie plötzlich Migräne bekam und die Vorstellung absagte. Als es einmal um die Verlängerung ihres Engagements ging, schrieb sie an Burckhard: »Meine Mutter erklärt, so nicht weiterleben zu können. Sie erschießt sich vor meinen Augen, wenn ich den Vertrag unter den Bedingungen unterschreibe.«
Der Direktor (mit dem sie eine Zeit lang liiert war) gab auch da nach und verbesserte etliche Details. Doch bald war der Bogen überspannt. Burckhards Nachfolger Paul Schlenther brachte nicht so viel Geduld auf. Als er es ablehnte, den Schauspielvertrag ihrer – weit weniger talentierten – Schwester Wilhelmine zu verlängern, ließ sich die Sandrock eine Audienz beim Kaiser geben, der ihr aber auch nicht helfen konnte. Die Schwester musste gehen.
Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis auch Adeles letzter Akt am Burgtheater eingeläutet wurde. Als Schlenther der 35-Jährigen in Schnitzlers neuem Stück Vermächtnis die Rolle einer Mutter anbot, erklärte die Diva, bebend vor Zorn, ihre sofortige Kündigung.
Schlenther nahm – womit sie nicht gerechnet hatte – die Demission seiner beliebtesten Schauspielerin an.
Schwer geschockt, zog sich die Sandrock zunächst in die Beletage von Wien – wie sie ihre elegante Wohnung am Opernring nannte – zurück. Sie und ihre Schwester, die hier in gemeinsamem Haushalt lebten, konnten vom dritten Stock aus in den damals für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglichen Burggarten blicken. Umsorgt von einem Zimmermädchen, logierten die beiden Damen inmitten ihrer mit wertvollen Möbeln, Vorhängen und Teppichen überladenen Wohnung, ganz wie es dem Zeitgeist entsprach.
Doch ohne ihre Burgtheatergage war Adele Sandrock nicht mehr in der Lage, diesen Lebensstil aufrecht zu halten. Sie ging jetzt auf Tourneen, trat am Deutschen Volkstheater auf, wurde von Max Reinhardt nach Berlin geholt. Aber die Karriere war ins Stocken geraten, die Schauspielerin konnte an die einstigen Erfolge nicht anschließen. Ihre späteren Versuche ans Burgtheater zurückzukehren, schlugen fehl, die Sandrock geriet in Vergessenheit, lebte zeitweise sogar in Armut. Der einstige Liebling der Wiener musste in eine kleine, in der Ölzeltgasse 1 hinter dem Stadtpark gelegene Wohnung ziehen.
Das Comeback gelang erst ein Vierteljahrhundert nach dem Eklat, jetzt als komische Alte in den Unterhaltungsfilmen der zwanziger und dreißiger Jahre. Doch auch da dachte die Sandrock immer noch voll Sehnsucht an ihre große Zeit zurück, in der sie als Maria Stuart, als Lady Macbeth und als Cleopatra umjubelt worden war.
Dramatisch wie alles in ihrem Leben war auch der Abschied gewesen. Als Medea hatte sie am 18. Oktober 1898 auf der Bühne des Burgtheaters ihre letzten Worte gesprochen: »Ich geh und niemals sieht dein Aug mich wieder!«
Der Vorhang fiel und Adele Sandrock brach weinend zusammen.