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DER SOHN DES SCHOKOLADEKÖNIGS Österreichs erstes Entführungsopfer
ОглавлениеKurt Waldheim wurde 1971 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Erich Honecker folgte Walter Ulbricht als Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED. Idi Amin wurde durch einen Putsch Staatspräsident von Uganda. Am Graben entstand Wiens erste Fußgängerzone. An der Wiener Staatsoper wurde Gottfried von Einems Oper »Der Besuch der alten Dame« uraufgeführt. Annemarie Moser-Pröll gewann den Skiweltcup. Joe Frazier holte den Weltmeistertitel im Schwergewicht im Kampf gegen Muhammad Ali. Es starben Ex-Kremlchef Nikita Chruschtschow, der Komponist Igor Strawinsky, Jazzlegende Louis Armstrong, der Sänger Jim Morrison, der Schauspieler Fernandel und der Kabarettist Karl Farkas. Der 26-jährige Schokolade-Erbe Hans M. Bensdorp wurde gekidnappt.
Jahre später sprach ich Österreichs erstes Entführungsopfer auf die Geschichte jenes 2. Jänner 1971 an. Zwei Männer hatten Bensdorp in ein Auto gezerrt und zu einer 24-stündigen Irrfahrt Wien–Salzburg und retour gezwungen. Als die Täter ihr Opfer nach Übergabe des geforderten Lösegeldes in Höhe von 250 000 Schilling nicht freiließen, setzte eine wilde Verfolgungsjagd ein. Auf der Westautobahn bei Melk gelang der Gendarmerie die Befreiung der unverletzten Geisel und die Festnahme der Entführer.
»Jemand, der so etwas nicht erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, mit einer Pistole an der Schläfe einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen«, schilderte mir der mittlerweile zum Priester geweihte Hans Michael Bensdorp den Tag und die Nacht, die er in der Gewalt der Gangster zugebracht hatte. »Es war die blanke Angst ums Überleben.« Mit Hans Bensdorp war den Kidnappern ein »großer Fisch« ins Netz gegangen, war er doch der Sohn des österreichischen »Schokoladekönigs«. Als ich das Entführungsopfer traf, war die väterliche Süßwarenfabrik bereits verkauft und Hans M. Bensdorp Pfarrer in Wien-Hetzendorf. Der Kriminalfall war für ihn »abgeschlossen und vorbei«, er verfolgte ihn nicht einmal mehr in seinen Träumen. Die einzige, stets wiederkehrende Erinnerung an die Entführung: »Ich werde regelmäßig darauf angesprochen, die Kinder in der Jungschar können die ›Raubersg’schicht‹ gar nicht oft genug hören.«
Der Entschluss, Priester zu werden, hätte mit dem schlimmsten Ereignis seines Lebens nichts zu tun gehabt. »Ich war damals schon Theologiestudent, meine Berufung stand fest, als ich 17 war.« Dass er das christliche Gebot des Verzeihens beherrschte, stellte Bensdorp unter Beweis: Nach seiner Freilassung aus der Haft traf das einstige Entführungsopfer einen der Täter, der andere war mittlerweile an Krebs gestorben.