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DIE LETZTE DEMELINERIN VOM ALTEN SCHLAG … … und ihr »Chef« Udo Proksch

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Keine »Mantelhexen« gab und gibt es hingegen in der »k. u. k. Hof-Zuckerbäckerei Demel« am Kohlmarkt, die ich 1972 zum ersten Mal betrat. Ich hatte erfahren, dass der Wiener Süßwarentempel verkauft werden und ein Schweizer Firmengeflecht den Zuschlag erhalten sollte. An dessen Spitze stand ein gewisser Udo Proksch, damals bekannt unter dem Künstlernamen Serge Kirchhofer. Als ich ihn am 6. Juni in den Räumlichkeiten der traditionsreichen Konditorei zum Interview traf, spürte ich, dass unter den »Demelinerinnen«, wie die Servierdamen des Nobelunternehmens genannt werden, Unmut herrschte. Unmut über das Auftreten und die Umgangsformen des »Herrn Udo«, der »frischen Wind« in das alte Gemäuer bringen wollte. »Von der Würde und Grazie, die der bisherige Demel-Besitzer Baron Federico Berzeviczy an den Tag legte, ist bei Herrn Proksch nicht viel zu merken«, schrieb ich in meinem Bericht. Die Schweizer Gesellschafter hätten sich, so war mir zugetragen worden, wegen seines Ideenreichtums für Proksch als Geschäftsführer entschieden. Zu seinen bisherigen Ideen zählten Sprengübungen und andere Narreteien eines Waffenfanatikers, die Herstellung von Designerbrillen sowie die Gründung des »Klubs der Senkrechtbegrabenen« – ein Totenkult, den er jetzt auch im Demel fortzuführen gedachte: »Eines Tages«, kündigte er mir gegenüber an, »wird auch eine nackte Marzipanfrau, vielleicht im Sarg, in der Auslage stehen.«

Ich dachte mir im Stillen, dass es sich bei Udo Proksch um einen Verrückten handelte – was ich nicht vorhersehen konnte, war die kriminelle Energie, die in diesem Mann steckte. Rätselhaft blieb mir auch die Faszination, die er auf Frauen ausübte.

»Die Frau Grete« faszinierte er keineswegs. Sie war fast ein halbes Jahrhundert der gute Geist bei Ch. Demel’s Söhne gewesen, ein Denkmal zwischen Cremeschnitten und Esterhazytorte. Viel mehr als die Frage »Haben schon gewählt?« war ihr nicht gestattet, seit sie 1929 von der legendären Anna Demel angestellt wurde. Als ich sie Jahre später wieder traf, brach sie ihr Schweigen. Udo Proksch saß zu diesem Zeitpunkt bereits wegen sechsfachen Mordes im Gefängnis.

Es waren zwei Welten, in die die letzte Demelinerin vom alten Schlag geraten war. Zwei Welten, denn von der Queen – die sie in der Konditorei am Kohlmarkt bedient hatte – bis zum »Herrn Udo«, der von einem Tag zum anderen ohne jede Vorwarnung ihr neuer Chef wurde, war’s ein weiter Weg. Die zweite ihrer beiden Welten war nicht erst mit der »Lucona« versunken, erklärte die Frau Grete, das sei schon geschehen, als Herr Proksch am Kohlmarkt das Regiment übernommen hatte. »Wollen hören, wie das war?«, fragte die einstige Klosterschülerin (»Nur Mädchen aus dem Kloster wurden von Frau Demel akzeptiert«), selbstverständlich in der dritten Person.

Wenn sie noch einmal beginnen dürfte, würde sie wieder bei Demel arbeiten, sagte die Frau Grete. »Besser gesagt, bis zu dem Tag, an dem der äh … Herr Udo gekommen ist.« Die Situation, wie dieser sich präsentierte, war tatsächlich befremdend. In jenem Etablissement, das er, wär’s nach der Frau Grete gegangen, gar nicht hätte betreten dürfen.

Denn Jahre bevor er die Geschäftsführung übernahm, hatte sie über ihn Lokalverbot verhängt. »Der Herr Udo war damals mit Freunden hereingestapft, als wären wir irgendein Beisl. Als die Herren dann Tennisbälle gegen die wertvollen geschliffenen Gläser warfen und die ersten Scherben flogen, habe ich gesagt: ›Ich muss bitten, das Lokal zu verlassen. Das können bei uns nicht machen.‹«

Grete Hromada hieß sie mit bürgerlichem Namen. »Pardon«, korrigierte sie mich, »haben sich geirrt«, in Wahrheit hieß sie nämlich Paula. »Wie ich aufgenommen wurde, hat es schon eine Paula gegeben, und da hat die Frau Demel entschieden, dass ich Grete genannt werde.« So hieß sie dann für den Rest ihres Lebens, »sogar mein Mann hat immer nur Grete zu mir gesagt«.

Von dem Tag an, da der Herr Udo die Geschäftsführung übernommen hatte, sei alles anders gewesen. »Was gengan mi Ihnare Herrschaften an?«, brüllte er und: »Wenn i in an Lokal schlecht bedient wer’, dann schlag i denen die Bude ein.« Diese Worte in den geheiligten Hallen des ehemals kaiserlichen Hoflieferanten waren zu viel für die Frau Grete, die daher 1974 um ihre Versetzung in den dauernden Ruhestand ansuchte.

Es vergingen mehr als zwei weitere Jahrzehnte, ehe ich der Frau Grete noch einmal begegnen sollte. Diesmal in einer Situation, die mir – wie der Leser gleich verstehen wird – persönlich sehr naheging. Man schrieb den Spätsommer 1995, als mir die traurige Pflicht oblag, meiner Mutter die letzten Besuche in einem Wiener Krankenhaus abzustatten. Ich saß da, oft stumm, viel konnte nicht mehr gesagt werden.

Eines Tages erhob sich eine alte Frau aus dem Bett, das neben dem meiner Mutter stand. Sie kam auf wackeligen Beinen auf mich zu und sagte: »Können sich noch erinnern?«

Es war die Frau Grete.

In der Nacht darauf ist meine Mutter gestorben. Die Frau Grete hat ihr, wie sie mir am nächsten Morgen mitteilte, in der Stunde ihres Ablebens die Hand gehalten.

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