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HENRY KAM OHNE KRIEGSERKLÄRUNG In Kissingers Geburtsstadt Fürth

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Als Präsident Richard Nixon in diesem Jahr seinen Berater Henry Kissinger zum Außenminister der Vereinigten Staaten ernannte, war das ein Grund für mich, nach Fürth bei Nürnberg, in die Geburtsstadt des charismatischen Politikers, zu fahren, um dort Zeitzeugen seiner Kindheit und Jugend zu befragen. Kissinger hatte einmal gemeint, dass sein Leben in Fürth »ohne tiefe Eindrücke verlaufen« sei. Doch Jean Mendel, der Fürther Kaufmann und Freund Henrys aus Kindheitstagen, glaubte nicht ganz an diese Version des neuen Außenministers: »Der Heinz ist ein cleverer Junge und ein geschickter Diplomat«, erklärte mir Herr Mendel, »heute braucht er Deutschland als wichtigen Verhandlungspartner. Aber ich weiß, dass er sehr stark unter den Nationalsozialisten gelitten hat.«

Am 15. August 1938 verließ die jüdische Familie Kissinger, bestehend aus Vater Louis, einem Studienrat, Mutter Paula sowie den Söhnen Heinz und Walter die Stadt Fürth fluchtartig, da für sie das Leben im »Tausendjährigen Reich« unerträglich geworden war. Den Vater hatte man bereits 1933 »wegen seiner jüdischen Herkunft« im Alter von 46 Jahren als Geschichts- und Geografielehrer zwangsweise pensioniert, und die Buben waren stets von »arischen« Kindern anderer Schulen verprügelt worden.

In erster Linie erinnerte sich Jean Mendel an Henrys Fußballleidenschaft. »Wir waren beide im Nachwuchsteam der Fürther Kleeblattelf, das ist die hiesige Spielvereinigung.« Kissinger ließ sich noch als Außenminister von der deutschen Botschaft in Washington die Regionalergebnisse übermitteln und zeigte sich von den Leistungen »seiner« Fürther Mannschaft meist enttäuscht.

Bela Rosenkranz war Henrys letzte lebende Klassenkameradin, die ich in Fürth noch antreffen konnte. Alle anderen Mitschüler Heinz Alfred Kissingers in der Israelitischen Realschule waren ausgewandert oder von den Nazis ermordet worden. »Vorne, in der ersten Reihe«, wusste Frau Rosenkranz noch, »da sind die Musterschüler gesessen. Aber da war der Heinz nie dabei. Er galt als eher durchschnittlich begabt, und in Englisch war er besonders schlecht, da hatte er ein ›Genügend‹.«

Das war wohl mit ein Grund, warum Kissinger auch als Nixons Sicherheitsberater und Außenminister immer noch seinen starken deutschen Akzent hatte. Wirklich gut war er nur in Geschichte, erinnerte sich Frau Rosenkranz – in dem Fach, das er vor Antritt seiner politischen Karriere an der Harvard-Universität lehrte.

Die ehemalige Klassenkameradin wohnte gegenüber von Kissingers Geburtshaus. Heinz hatte das Licht der Welt am 27. Mai 1923 in einer kleinen Balkonwohnung eines zweistöckigen Eckhauses in der Fürther Mathildenstraße 23 erblickt.

In den USA war es für die Familie Kissinger anfangs schwer. Der Vater musste sich mit allen möglichen Berufen durchschlagen und der bei der Ankunft im Exil fünfzehnjährige Englisch-Schwächling Heinz bereitete sich auf eine Karriere als Buchhalter vor. Er bekam dann aber die Möglichkeit in Harvard zu studieren und nannte sich Henry. Sein Bruder Walter wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann.

Henry Kissinger hat Fürth nach seiner Emigration mehrmals besucht. Zuerst als Soldat der US-Armee und später, 1959, als amerikanischer Universitätsprofessor, der in seiner Heimatstadt einen Vortrag hielt.

Als ich 1973 nach Fürth kam, befand sich der Oberbürgermeister der Stadt in ungeduldiger Erwartung des großen Sohnes, weil man ihn die längste Zeit schon mit der »Goldenen Bürgermedaille« ehren wollte. Mehrere Termine waren bereits fixiert und wieder verworfen worden, weil Henry Wichtiges dazwischenkam: Kissinger musste ständig irgendwo in der Welt Frieden stiften.

Nur der damalige US-Botschafter in Bonn, Martin J. Hillenbrand, hatte eine Lösung parat, wie der Außenminister ehebaldigst nach Fürth zu bringen wäre: »Man müsste einen Bürgerkrieg zwischen Fürth und dem benachbarten Nürnberg anzetteln, dann käme Friedensnobelpreisträger Kissinger sofort, um Frieden zu stiften.«

Die Goldene Bürgermedaille wurde Kissinger zwei Jahre später – auch ohne Kriegserklärung – überreicht, und 1998 erhielt er die Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt.

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