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Die Villa auf der Millionärsmeile

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Eine standesgemäße Bleibe hatte sich Sigmund Bosel schon gesucht, als er noch nicht der verwegene Spekulant war, der mit seinen Übernahmeplänen die mitteleuropäischen Finanzmärkte aufscheuchte. Bosel fand das Objekt seiner Begierde – eine prunkvolle Herrschaftsvilla – im Wiener Nobelbezirk Hietzing. Und zwar in der gleichermaßen stillen wie vornehmen Gloriettegasse nahe der Schlossmauer von Schönbrunn.

Auch Kaiser Franz Joseph hatte seinerzeit eine besondere Beziehung zur Gloriettegasse. Denn auf Nummer 9 hatte der Monarch in einer Eckhausvilla sein Liebesnest mit der um 23 Jahre jüngeren Schauspielerin Katharina Schratt. Wenn Franz Joseph aus Schönbrunn auf Besuch kam zur „Gnädigen Frau“, wie er in Briefen seinen „heiß geliebten Engel“ bisweilen titulierte, so konnte er durch eine kleine Seitenpforte in der Schlossmauer den Palastgarten diskret verlassen. Er musste dann nur mehr die (heutige) Maxingstraße überqueren und konnte nach ein paar hundert Schritten an Schratts Tür klopfen. War man in Hietzing ein Frühaufsteher, so konnte man gegen halb sieben Seiner Apostolischen Majestät über den Weg laufen.9

Die besagte Tür in der Gartenmauer dürfte der Monarch schon früher für seine sexuellen Eskapaden mit der Wienerin Anna Nahowski verwendet haben, die in der Nähe der Gloriettegasse wohnte. 1889 machte Franz Joseph mit Nahowski Schluss, um sich gänzlich Katharina Schratt zuzuwenden, die einige Jahre später die Villa in der Gloriettegasse – die sie bis dahin nur gemietet hatte – mit Franz Josephs Hilfe kaufen konnte. Dem Kaiser gab das Domizil die Möglichkeit, aus der „Gefangenschaft seiner verwitterten Erhabenheit auszubrechen“, wie es Frederic Morton formuliert hat.10

Eine illustre Wohnadresse war die Gloriettegasse vor dem Ersten Weltkrieg aber nicht nur wegen der kaiserlichen Herzdame. Auch der Seidenfabrikant August Schopp, der Industrielle Robert Primavesi und der Bankdirektor Theodor Ritter von Taussig, der Verwalter des kaiserlichen Familienfonds, hatten ihre Residenzen ein paar Häuser weiter. Die Gloriettegasse konnte man getrost eine Millionärsmeile nennen.11

Als 1919 in der Gasse die Villa mit der Hausnummer 17 zum Verkauf stand, wird Sigmund Bosel nicht lange gezögert haben. Denn das zweistöckige Anwesen hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: ein schlossartiges Wohngebäude in bester Lage mit einem parkähnlichen Garten auf einem Gesamtareal mit über 13.000 Quadratmetern. Reizvoll war die feudale Residenz auch deswegen, weil sie mit illustren Vorbesitzern glänzen konnte. Der erste Eigentümer war der hannoveranische Bankier Israel Simon gewesen, der in Wien als Vizekonsul der Vereinigten Staaten auftrat und die Villa 1871 errichten hatte lassen. Sechs Jahre später zog ein anderer diplomatischer Würdenträger ein: Simon Zechany, Ritter von Racovizza. Er fungierte in Wien als Konsul für Griechenland, wie der Illustrierte Führer durch Wien und Umgebungen aus dem Jahr 1885 zu berichten wusste.12

1895 kam die Residenz in den Besitz des österreichischen Bankdirektors Julius Herz. Wie die gut erhaltenen und hübsch kolorierten Baupläne zeigen, die noch im Archiv der Wiener Baupolizei liegen, ließ Herz das imposante Gebäude 1897 erweitern. Seine Tochter Margarethe von Sonnenthal – die Schwiegertochter des berühmten Burgschauspielers Adolf von Sonnenthal, der auch mit Katharina Schratt auf der Bühne gestanden war – erbte das Anwesen im September 1914. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte es Therese Terry von Ortlieb, deren Ehemann einer der größten Holzindustriellen der Monarchie war. Laut Grundbuch hat Terry ihre Villa in der Gloriettegasse im Dezember 1919 an Sigmund Bosel verkauft. Bosel hatte damit ein wahrlich repräsentatives Domizil gefunden, um seine großbürgerlichen Ambitionen zu untermauern.13

Katharina Schratt und Sigmund Bosel dürften sich übrigens gekannt haben. Es ist zwar nicht überliefert, wann der zugezogene Multimillionär der berühmten Nachbarin vier Häuser weiter seine Aufwartung gemacht hat. 1922 war es aber jedenfalls so weit, dass die gute Frau Schratt wieder Geld gebraucht hat – so wie das früher öfters der Fall war, als Franz Joseph ihre Casino-Spielschulden in Monte Carlo begleichen musste. Was Katharina Schratt nun anzubieten hatte, waren zwei Schmuckstücke, die ihr der Kaiser einst geschenkt hatte und die sich Bosel ob seiner Schwäche für teure Preziosen nicht entgehen ließ.14

Leider ist kein einziges Fotos von der opulenten Einrichtung erhalten geblieben, mit der sich Sigmund Bosel umgeben hat. Weil Bosel jedoch 1926 riesige Steuerschulden aufgetürmt hatte und kurzzeitig sogar eine Pfändung im Raum stand, haben Gutachter den gesamten Hausrat damals genauestens katalogisiert. Die amtshandelnden Personen hatten nachher einiges zu erzählen – über den riesigen gelbweißen Teppich in der Eingangshalle, das pompöse Stiegenhaus mit den mannshohen chinesischen Vasen und die Salons, die mit Marmorbüsten römischer Kaiser, Standuhren in Versailles-Optik und üppigen Bronze-Lustern bestückt waren. Während der Inflationsjahre hatte Bosel zahlreiche Stilmöbel und Dekorationsgegenstände angeschafft, die vornehme Patrizierhaushalte verkaufen mussten, um finanziell über die Runden zu kommen. An den Wänden in der Gloriettegasse hingen flämische Gobelins, alte Meister, Bildteppiche mit Jagdszenen aus dem 17. Jahrhundert und persische Prunkteppiche.15

Der arme Trillionär

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