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Die Tricks der Inflationsgewinnler

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Die Inflation, die ganz Wien elektrisiert hat, war für Sigmund Bosel keine Tragödie. Der junge Kommerzialrat kann sich 1920 glücklich schätzen, dass er zu Kriegszeiten seine Gewinne teilweise ins Ausland transferiert hat. Während die inländischen Sparguthaben durch die Geldentwertung ausradiert werden, hat Bosel Fremdwährungen in der Hinterhand. Damit entwickelt der Millionär, der sich inflationsbedingt schnell zum Milliardär mausert, eine gewaltige Kaufkraft.

Überhaupt sind damals all jene fein heraus gewesen, denen der Wunderglaube gefehlt hat, dass die Monarchie den Krieg gewinnt und überlebt. Manche haben schon vor 1918 ihr Vermögen in die Schweiz und andere neutrale Staaten verfrachtet. Als im Frühjahr 1919 die Angst umgeht, dass mit dem ungarischen Kommunisten Béla Kun der Funke der Revolution auf Wien überspringt, nimmt die Kapitalflucht aus Österreich enorme Dimensionen an. Der Wert der „Krone“ stürzt in den Keller. In Wien und anderswo wollen auf einmal alle ihre Kronen-Banknoten loswerden, so als würden die Scheine einen schädlichen Virus übertragen. Der ständige Währungsverfall wird zu einer Begleiterscheinung der Inflation.17

Der ökonomische Hausverstand sagt damals, dass man durchs Schuldenmachen reich werden kann. Indem man vorzugsweise auf Pump Wertpapiere oder Wertsachen kauft und sich mit den Kreditraten Zeit lässt. Bis 1922 ist dieses Geschäftsprinzip mit etwas Glück und Nervenstärke deppensicher gewesen. Man hat nur jemanden finden müssen, der einem Geld borgt. Denn wegen der horrenden Inflation rechnet sich praktisch jede Investition. Während die ausgeborgte Darlehenssumme gleich bleibt, steigen die erzielbaren Erlöse wie das Amen im Gebet. Damit wird jede Kredit-Rückzahlung ein Kinderspiel. Der 1999 verstorbene Börsen-Guru André Kostolany hat das Wesen der Nachkriegsinflation daher so umrissen: „Die Inflation ist die Hölle der Gläubiger und das Paradies der Schuldner.“18

Zu den Tricks der Inflationsgewinnler gehört auch eine andere Methode – nämlich Rechnungen, die auf einen fixen Kronen-Betrag lauten, so spät wie möglich zu begleichen. Einkäufer mit einer laxen Zahlungsmoral haben mit dieser Masche de facto Zusatzrabatte einstreichen können. Irgendwann hat wohl auch Sigmund Bosel damit angefangen, seine Zahlungsfristen zu strecken. Gleichzeitig nimmt sich der Finanzjongleur bei seinen Hausbanken in großem Stil Kredite, mit denen er neben Aktien und Schmuck auch Immobilien und Firmenübernahmen finanziert. „Bosel verstand am frühesten von allen die Melodie der Zeit, die einfach wie ein Gassenhauer war: Kronen schuldig bleiben und Sachwerte auftürmen. Da er diese Parole am zügigsten aufgriff, galt er eben als genial.“19


In den Geschäften der Luxuswarenhersteller und Schmuckhändler sind die neureichen Inflationsgewinnler gerne gesehen.

Sigmund Bosel ist damals nicht mehr der Bittsteller von einst, der die Hinterstiegen hinaufeilt, um devot in Empfangszimmern vorzusprechen. Der schmächtige Mann mit der lässigen Haltung und den scheuen, dunklen Augen beschäftigt mittlerweile selbst einen Empfangsdiener, der Geschäftspartner anmeldet oder unliebsame Kunden hinauskomplimentiert. Mit Hilfe der Verkehrsbank, die zu den führenden Wiener Finanzhäusern gehört, und dem Buchhalter Karl Rosenberg hat Bosel auch seine Buchführung in Ordnung gebracht, die lange Zeit recht salopp geführt wurde.20 So etwas kann sich der angehende Finanzkrösus nicht mehr leisten. Er ist im Big Business angekommen.

Bosel spürt jedoch, dass er für seinen Expansionsdrang mehr Knowhow und Kontakte braucht. Der nimmermüde Geschäftsmann wirbt daher von staatlichen Einrichtungen wie der Volksbekleidungsstelle oder der Devisenzentrale Mitarbeiter ab. Diese Leute versprechen sich im Windschatten des Aufsteigers höhere Gehälter als im karg entlohnten Staatsdienst. Neben dem Diplomaten Richard Oppenheimer-Marnholm holt Bosel auch zwei Sektionschefs in seinen wachsenden „Hofstaat“. Einer der beiden Herren wird der Majordomus für alle Diener, Referenten und Sekretäre in der Bosel’schen Firmenkanzlei. Der andere Sektionschef wird als Spezialberater und Deutschlehrer eingestellt. Er soll Bosel, der Hemmungen hat, in einem größeren Kreis vor anderen zu sprechen, den rhetorischen Schliff verpassen.21

Seinen wichtigsten Vertrauensmann hat Bosel bereits 1917 kennengelernt. Es ist dies der Anwalt Wolfgang Dawid, den es als Kriegsflüchtling aus der ukrainischen Stadt Czernowitz nach Wien verschlagen hat. Dawid wird Bosels engster Rechtsberater, sein Generalbevollmächtigter in Firmen und Aufsichtsräten sowie sein Mittelsmann bei heiklen Verhandlungen. Dass sein Kumpan mit dem christlich-sozialen Handelsminister Eduard Heinl befreundet ist, hat Bosel bei der Erlangung des Kommerzialratstitels geholfen. Zwei Jahrzehnte lang werden Bosel und Dawid beruflich durch dick und dünn gehen.22

Nach seinem Rückzug aus den Versorgungsbetrieben der Polizei baut Bosel still und leise seine Geschäfte aus. Mitte 1919 tritt der Kronen-Milliardär erneut als Unternehmensgründer in Erscheinung. Die Firma, die er bis dahin hatte, war noch der Gemischtwaren-Großhandel aus Kriegszeiten. Nun macht Bosel ein richtiges Handelshaus auf – mit dem vielsagenden Namen „Omnia“. Geschäftszweck des Unternehmens sind Import-Export-Geschäfte aller Art mit Waren quer durch den Gemüsegarten. Geschäftsführer und Mitgesellschafter ist der Wiener Karl Landeis, der viele Jahre später im Leben von Bosels Freundin Ilona Schulz noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Bosel bringt mit der Omnia einträgliche Deals im staatsnahen Bereich zustande, indem er bei der Verwertung übrig gebliebener Armeebestände mitmischt und gehortete Textilien verkauft. Als das erste Geschäftsjahr vorbei ist, steigt Bosel von der Verkehrsbank auf die Länderbank als Kreditgeber um, bevor sein Handelshaus in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Kritische Beobachter sagen später, dass Bosel nicht als „Schieber“ gelten wollte und sich daher hinter der Omnia versteckt hätte.23

Über das Handelsunternehmen, das sich am Friedrich-Schmidt-Platz Nummer 5 unweit vom Wiener Rathaus einquartiert, dringt nur wenig nach außen. Länderbank-Generaldirektor Markus Rotter und der christlich-soziale Minister Heinrich Mataja mischen im Hintergrund mit. Gehandelt wird nicht nur mit Textilien, sondern auch mit Nahrungsmitteln, Kohle und Naphtalin. Dieser Stoff wird damals zur Herstellung von Treibstoffzusätzen und Mottenkugeln verwendet.24

Zu einer unheimlichen Geldmaschine entwickelt sich die Omnia aber durch ihre Tabakimporte. Ende 1921 sichert sich Bosel Lieferverträge mit der staatlichen österreichischen Tabakregie, dem Vorläuferunternehmen der Austria Tabak. Es geht um die Einfuhr von 2.000 Tonnen bulgarischem Rohtabak. Zur Relation: Österreich verbraucht damals in etwa 14.000 Tonnen Rohtabak pro Jahr. Die Omnia fädelt einen großangelegten Vertrag ein, wodurch andere Tabakhändler das Nachsehen haben. Österreich wird für Bulgarien der wichtigste Tabak-Abnehmer. Bosel bekommt dafür 1923 einen bulgarischen Orden verliehen – das Komturkreuz mit dem Stern.25

Der arme Trillionär

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