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Der Glücksritter als Feindbild

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Der junge Bosel lebt in einer Zeit, in der auf den Erfolg nicht der Applaus folgt, sondern zuerst der Verdacht. Der schnelle Reichtum der Inflationsgewinnler hat einen schalen Beigeschmack. Viele Normalbürger glauben nicht, dass es bei so einer Vermögensexplosion mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Für besonderen Argwohn sorgt es, wenn Finanzleute mit ihrem Reichtum, den viele nur für zusammengerafft halten, angeben.

Jemand, der sich dabei den Zorn der Öffentlichkeit zugezogen hat, war Joseph Schumpeter. Der Mann, der heutzutage als großer österreichischer Ökonom gilt, ist nach dem Ersten Weltkrieg zuerst Finanzminister und dann Spekulant gewesen. Als sich Schumpeter als Präsident der Biedermann Bank ein Schloss samt Reitstall zulegt und als Playboy im offenen Fiaker mit zwei Prostituierten durch die Stadt fährt, ist die Wiener Gesellschaft entsetzt über das Großmannsgehabe des katholischen Ex-Politikers, dem man eine Mitschuld an der Inflationsmisere zuschreibt – und der mit der Biedermann Bank auch 1924 pleitegeht. Die bloße Existenz enormer Vermögen ist von der finanziell ausgepowerten Mittelschicht damals als Affront empfunden worden. Der Historiker Felix Butschek meint dazu: „Die Profiteure der Inflation frönten eines luxuriösen Lebensstils, der angesichts der bedrückenden Lebensverhältnisse der Bevölkerungsmehrheit besonders provokant wirken musste. In Figuren wie Camillo Castiglioni und Sigmund Bosel fand diese Atmosphäre geradezu symbolhaften Ausdruck.“43

Manche haben den jüdischen Aufsteigern in der Finanzbranche später unterstellt, dass sie den vorhandenen Antisemitismus durch ihr Auftreten zusätzlich angestachelt hätten. „Viele dieser Neureichen verfielen in den Fehler der Parvenüs aller Zeiten“, meinte Richard Coudenhove-Kalergi in seiner bekannten Antisemitismus-Studie, „ihren neugewonnen Reichtum geschmacklos zur Schau zu stellen“, wodurch die Bevölkerung eine falsche Vorstellung von den wahren Einkommensverhältnissen der jüdischen Bevölkerung gewonnen hätte.44 Otto Bauer wiederum äußerte sich abfällig über die „neue Bourgeoisie“ der Inflationsgewinnler, „die zum großen Teil aus landfremden, kulturell tiefstehenden Elementen“ zusammengesetzt war, die ihren Erfolg ihrer „geschäftlichen Findigkeit und ihrer moralischen Skrupellosigkeit“ verdankt hätten. „Der kulturlose Luxus der an der Not bereicherten neuen Bourgeoisie erbitterte die Volksmasse. Eine Welle des Antisemitismus ergoss sich über das Land.“45 Vom Neid auf die Reichen und Neureichen war es nur ein kleiner Schritt zum Neid auf die reichen Juden. Die zeitgenössische Debatte offenbart auch den schmalen Grat, den es zwischen der Kritik an den Allüren so mancher Glücksritter und der Verunglimpfung von Geschäftsleuten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft gegeben hat. Alle Parteien haben damals antijüdische Ressentiments bedient, auch die Sozialdemokraten, die reiche „jüdische Kapitalisten“ aufs Korn genommen und gegen „Schieber“ und „Schleichhändler“ gewettert haben. Weil Bosel einer der reichsten Österreicher war und dabei sein Judentum nie verhehlt hat, war er ein häufiger Bezugspunkt im antisemitisch gefärbten Polithader. Man hat ihn als hochgekommenen Schieber anfeinden können, als kapitalistischen Ausbeuter, als Frontmann der „Finanzjuden“ und später auch als „Skandalbankier“. Ein Mann wie Sigmund Bosel ist für Antisemiten ein willkommenes Feindbild gewesen.46


Im April 1922 eröffnet Sigmund Bosel mit 27 Mitarbeitern sein Bankhaus am Friedrich-Schmidt-Platz.

Im Jänner 1924 ist es für jedermann ersichtlich gewesen, dass nun die Nazis Bosel als ihr Hassobjekt auserkoren hatten. Zwischen großen Hakenkreuzen hat man auf Plakaten den Namen Bosel als Schlagwort der „kapitalistischen Versklavung“ Österreichs angeprangert: „Bosel kauft alles. Ein neuer Kulturkampf entbrennt. Arier! Christen! Besinnt euch und kommt zu den acht Abwehrversammlungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei.“ Stattgefunden haben diese abendlichen Veranstaltungen in verschiedenen Wiener Stadtbezirken. Die NSDAP war damals noch eine Partei, die ihre Anhänger in einschlägigen Gasthäusern und Hinterzimmern mobilisiert hat. Die Teilnehmer mussten ein kleines Eintrittsgeld zahlen, und am Plakat ist der obligate Satz gestanden: „Juden ist der Eintritt verboten!“47

Sigmund Bosel ist am Höhepunkt seiner Karriere mit 31 Jahren in einem außergewöhnlichen Spannungsfeld gestanden. Der jüdische Glücksritter wird angefeindet von Antisemiten, von Antikapitalisten sowie darüber hinaus noch von Moralisten wie Karl Kraus, der aufgrund seiner Antipathie gegen Weltkriegsprofiteure Bosel und Castiglioni als „Kronen-Mörder“ attackiert hat – in Anspielung darauf, dass beide auf den Niedergang der Landeswährung gesetzt haben.

Im Oktober 1923 bringt Kraus in seiner Zeitschrift Die Fackel eine Polemik mit der Überschrift „Metaphysik der Haifische“. Sie entspringt der Überzeugung, dass sich das politisch korrumpierte Österreich gegen die Allmacht von neureichen Kriegsgewinnlern nicht mehr zu wehren wisse und kapituliert habe. Infolgedessen werden Bosel und Castiglioni, „deren Genie darin besteht, reicher zu sein als man noch vor einer Stunde geglaubt hat, von allen jenen, denen eine solche Begabung fehlt, aber erstrebenswert erscheint, als Titanen verehrt […].“48

Der „Zauber“ der beiden Männer, schreibt Kraus, sei sogar größer als der von Hugo Stinnes, dem legendären deutschen Industrietycoon, der Anfang der 1920er Jahre ein gigantisches weltweites Firmen-Imperium kontrollierte. Diesen Vergleich kann Kraus nicht ernst gemeint haben, denn an Stinnes kommt damals niemand heran. Der Jahrhundert-Unternehmer ist der Chef von über 1500 Firmen-Beteiligungen im In- und Ausland gewesen, unter denen Bergwerke, Erzgruben, Fabriken, E-Werke von Deutschland bis Kuba, Ölgesellschaften, Eisenbahnen und sogar Kokosplantagen in Neuguinea hervorstechen.49 Nachdem aber Castiglioni mit Stinnes bei BMW gemeinsame Sache gemacht hat und Bosel im August 1923 mit Stinnes über Möglichkeiten der Zusammenarbeit verhandelt, bekommt die Öffentlichkeit das Gefühl, dass die Austro-Glücksritter international mitspielen.

Die drei Inflationskapazunder entfalten auch eine ähnliche Außenwirkung. Stinnes sei „umweht“ gewesen von einer „Aura des Geheimnisvollen und Unergründlichen“, schreibt der Historiker Gerald Feldman in seiner großen Stinnes-Biografie. Bei Sigmund Bosel war es nicht viel anders. Ihm ist nachgesagt worden, dass er Menschen in seinen Bann ziehen und auch durch „aufsässige Unterwürfigkeit“ beeinflussen konnte. Dass der echte Stinnes wenig Wert auf seine Garderobe gelegt hat und sich angeblich geistesgegenwärtig in ein menschliches Kraftfeld verwandeln konnte, erinnert an Porträts, die über Sigmund Bosel geschrieben worden sind. Auch ihm, dem „Panther im Schaffell“, wurde eine „geniale Spürnase“ zugeschrieben, die „immer die richtigen Dinge bei den richtigen Menschen wittert“. Wenig überraschend ist Bosel daher bisweilen als der „österreichische Stinnes“ bezeichnet worden.50

Es lässt sich freilich nicht jeder vom unorthodoxen Managementstil der Selfmade-Milliardäre beeindrucken, die mit scheinbar genialer Schaffenskraft ihrer Zeit den Stempel aufgedrückt haben. Alle „Kometen des Geldes“, wie der deutsche Journalist Paul Elbogen die großen Spekulanten genannt hat, seien letztlich in gleicher Weise dem Geld verfallen gewesen. „Sie schillern in oft rätselhaft gleichartigen Farben“ und auch „ihre Balance am Rande des Abgrundes ist sonderbar ähnlich. Und dennoch ist jedes einzelne Dasein dieser Bewunderten voll einer abenteuerlichen Romantik, deren Ursachen oft nicht in der Persönlichkeit, sondern in der durch das Geld bedingten Macht allein verborgen sind.“ Schon Machiavelli hat den Herrschenden von Florenz das Rezept vorgekaut, das zum Nimbus überdimensionaler Erfolgsmenschen führt: Die Kraft der Macht liegt im Geheimnis.51

Der arme Trillionär

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