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3 – DAS SPRUNGBRETT ZUM REICHTUM

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„My father was definitely a self-made man“, sagt Julie Marks. An ihrem Tonfall hört man, dass sie noch immer ungemein stolz ist auf die Lebensleistung ihres Vaters. Für Frau Marks ist es das erste Interview, das sie einem österreichischen Journalisten gibt. Am Abend davor hat sie mir beim Vorgespräch eine kleine Zigarettendose gezeigt, in der die Buchstaben „SB“ eingelassen sind. Neben einigen Briefen und alten Fotos ist die braune Holzschachtel das einzige Erinnerungsstück an den Vater. Ja, der Papa habe ziemlich viel geraucht, diese Gewohnheit sei ihr von ihm geblieben, meint Julie mit einem scherzhaften Augenzwinkern. Wie es überhaupt ganz schön hart gewesen sein müsse, dass er als starker Raucher aus religiösen Gründen jeden Freitagabend und den ganzen Samstag über keine Zigaretten angerührt hat.

Von der Fifth Avenue kommt ein hupendes Brummen herauf ins Wohnzimmer. Dennis, der Tontechniker, presst mit beiden Händen die Kopfhörer an die Ohren. Unten auf der Straße ist die Müllabfuhr vorgefahren. Ärgerlich, wo doch Julie beim Erzählen gerade so richtig in Fahrt war und angefangen hat, von ihrer Mutter zu berichten. Und davon, wie sich die Eltern kennengelernt haben dürften. Ein Blick des Tontechnikers sagt mir, dass wir das Interview leider unterbrechen müssen. Julie merkt, dass wir Tonprobleme haben, doch sie redet noch eine Weile weiter. Bis sie auf einmal „Yeah, I can hear it“ sagt und aufsteht, um sich eine von ihren dünnen langen Damenzigaretten zu holen.

Immer wieder hätten sie das in New York, meint Scott, der Kameramann, dass bei Fernseh-Interviews der Straßenlärm von draußen akustisch durchkommt. Ich gehe vom Wohnzimmer hinaus auf den Balkon. Der Blick hinunter auf den Central Park und hinüber zur Skyline der Upper Westside von Manhattan ist großartig. Das Wetter ist mild, der Park liegt in einem zarten Winterlicht. Die Müllabfuhr hat sich mittlerweile einige Blocks nach vorne gearbeitet. Während der Drehpause hat Julie langsam ihre Zigarette geraucht. „I can have a look in the mirror and put a little more lipstick on, if you want“, sagt sie vor einem kurzen Abstecher ins Badezimmer. Dann können wir weitermachen.

Die alte Dame sitzt für unsere Aufnahmen vor einer Kommode, über der ein großes Gemälde hängt, auf dem ein Herr mit gezwirbeltem Schnurrbart und dem Habitus eines altösterreichischen Industriekapitäns in die Ferne blickt. „He was a good-looking guy, wasn’t he, our grandpa!“, sagt Julie Marks freudig, während sie für eine Nahaufnahme zu ihrem Großvater Leopold hinaufschaut. Bosel senior posiert in eleganter Kleidung, mit dunkler Plastron-Krawatte und einem weißen Hemd mit Vatermörderkragen. Die linke Hand hält er lässig am Hosenbund. Das Bildnis seines Vaters hat Sigmund Bosel einst für viel Geld beim berühmten Porträt-Maler John Quincy Adams bestellt. Dieser hat Leopold Bosel, der ein schlecht verdienender Handelsvertreter war, nobel in Szene gesetzt. Wollte Bosel seinen eigenen Lebensentwurf dadurch stylen, dass Quincy Adams dem armen Vater nachträglich eine großbürgerliche Statur überstülpte?

Einen anderen Reim kann man sich auf das wunderschöne Gemälde eigentlich nicht machen. Wenn man sich Bosels märchenhaften Aufstieg vor Augen hält, ist es verständlich, dass der „Trillionär“ seinen familiären Hintergrund in ein eleganteres Licht tauchen wollte. Mit diesem Bemühen war Bosel auch nicht allein. Er und andere Aufsteiger buhlten um die Aufnahme in die Wiener High Society, die neureiche Parvenüs lange auf Respektabstand gehalten hat. Der Presse blieb dieses Schauspiel nicht verborgen: „Die jungen Reichen, die … mit gut gespielter Grandezza ihre Visitenkarten in der ganzen Welt abgeben, haben sich den alten Reichen in ihren Sitten und Gebräuchen so genähert, dass ihre Vergangenheit beinahe so entschwindet wie die Landschaft dem Eisenbahncoupé.“1

Bosel mag zwar innerlich mit dem Luxus auf Kriegsfuß gelebt haben. Nach außen hin hat er aber sehr wohl den Lebensstil imitiert, den der Geldadel vor dem Ersten Weltkrieg gepflogen hatte. 1923 gab es über sein Auftreten auch nichts mehr zu lachen. Als Großaktionär der Unionbank hatte er sich das Tor zu einem richtigen Bankpalast aufgestoßen. Nun war er in der Lage, nach Lust und Laune durch die Etagen eines Gebäudes zu streifen, in dem die Klinken der gepolsterten Türen in Schulterhöhe angebracht waren und jeder Kreditnehmer das Gefühl haben musste, für ewig ein Bittsteller zu bleiben. Dass die alteingesessenen Generaldirektoren über das Tempo pikiert waren, mit dem junge Emporkömmlinge wie er ans Werk gingen, hat Bosel kalt gelassen. Ihn trieb der Ehrgeiz, im Zeitraffer ein zweiter Rothschild zu werden. „Am Anfang seiner Laufbahn hat mein Vater nichts gehabt“, betont Julie Marks. „Auch mein Großvater hat ursprünglich nichts besessen. Ich finde es großartig, dass mein Vater so viel Geld verdienen konnte und so reich geworden ist.“2

Nicht mal ein Jahrzehnt hat Sigmund Bosel gebraucht, um es vom kleinen Textilunternehmer im Schicksalsjahr 1914 zum überlebensgroßen Banker des Jahres 1923 zu schaffen. Von Null auf Hundert in nur neun Jahren. Eigentlich eine amerikanische Tellerwäscher-Karriere, nur halt in Bosels Fall auf Wienerisch. Der Papa sei eben brillant gewesen, meint Frau Marks, und wirklich clever.

Der arme Trillionär

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