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Die Nachteule auf dem Klappbett

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Einiges deutet darauf hin, dass Sigmund Bosel seine Prunkvilla lange Zeit nur als Schlafquartier verwendet hat. Anfangs soll er in der Gloriettegasse sogar nur ein einziges Zimmer bewohnt haben. Bosel war statushungrig, aber im Alltag relativ bedürfnislos. Obwohl er sich so etwas wie einen kleinen Hofstaat leistete, schlief er oft tagelang mit einem Ohr neben dem Telefon auf einem Klappbett in seinem Bankhaus. Gelebt haben soll er nur von schwarzem Kaffee, Zigaretten und leicht verdaulichem Gemüse, das ihm ein Kammerdiener servierte.16

Seine Herkunft soll der spartanisch lebende Aufsteiger nie vergessen haben. „Bosel ist an sich ein milder, gütiger Mensch, der mit innerer Zärtlichkeit an seinen alten Freunden hängt, die … mit ihm noch dritter Klasse gefahren sind, ehe ihm die erste Klasse und der Salonwagen offenstanden.“ War der Millionensassa ein Emporkömmling mit Bodenhaftung oder hatten untertänige Journalisten hier etwas dick aufgetragen? Bosel konnte sich bei solchen Schilderungen alle Finger abschlecken. Er war zwar einer der berühmt-berüchtigten „Könige der Inflation“, die den Kapitalismus auf die Spitze getrieben hatten. Aber er war viel besser angeschrieben als andere Spekulanten. „Als Mensch sticht Bosel vorteilhaft von vielen seines Schlages ab. Er war nie zugeknöpft, ja teilweise gab er mit vollen Händen“, schrieb der gewerkschaftsnahe deutsche Wirtschaftsjournalist Paul Ufermann.“17

Interessierte Zeitungsleser konnten erfahren, dass Bosel ein ungeheuerliches Arbeitspensum absolvierte. Bis zwei Uhr früh sei er in seinem Bankhaus über den Abrechnungen gesessen. „Wer ihn sprechen wollte, musste zu ihm kommen, auch Frauen, die ihm die Sorgen von der Stirn wegstreicheln wollten“, wusste Die Börse zu berichten. „Der große Milliardär Bosel ist an den Freuden des Lebens vorbeigegangen.“18

Bosel war auch zu scheu und viel zu wortkarg, um sich auf rauschenden Banketten wohlzufühlen. Bei gesellschaftlichen Verpflichtungen ließ sich er sich häufig von einem früheren österreichischen Vatikan-Botschafter vertreten, der in seinen Diensten stand. Die Nachtclub-Szene dürfte Bosel jedoch gut gekannt haben – vor allem die Femina-Bar in der Wiener Innenstadt. In den „sündigen Jahren der Inflationszeit“, wie Hugo Bettauer in seinem Roman Der Kampf um Wien schreibt, war die Femina ein angesagtes Revuelokal. Die Figuren in Bettauers Roman landen – nachdem sie vergnügungssüchtig um die Häuser gezogen sind – bisweilen in der Femina. Wer dort mit wem turtelte oder geheimnisvoll mauschelte, blieb Bosel nicht verborgen. Er war ein „nachtaktives Arbeitstier“ mit vielen Informanten, und ab 1926 dürfte die Femina überhaupt zur Hälfte ihm gehört haben.19

Bei Tageslicht ließ sich Sigmund Bosel selten in der Öffentlichkeit blicken, weil die Gefahr von Attentaten aufgetaucht war. Der Wiener Polizeichef Schober ließ Bosel daher auf Schritt und Tritt bewachen. Sowohl vor dem Bankhaus Bosel am Friedrich-Schmidt-Platz als auch vor der Hietzinger Villa waren ständig Sicherheitsbeamte postiert. Auf allen Autofahrten saß ein Kripobeamter neben dem Chauffeur. Eine Ahnung davon, dass Bosel als jüdischer Milliardär gefährdet war, konnte man im Februar 1924 bekommen, als Zeitungen in Wien und Prag über einen Attentatsplan gegen ihn berichteten. Ein Beamter hatte der Polizei den Hinweis geliefert, wonach ein Arbeiter in einem Wiener Gasthaus gesagt hätte, er werde „Bosel erschießen“. Die Polizei nahm den Mann fest und fand in seiner Wohnung einen Armeerevolver mit 70 Patronen. Im Verhör soll der Arbeiter, der ein Nazi-Parteimitglied war, zugegeben haben, dass er einen Anschlag auf Bosel geplant hatte, weil dieser als Spekulant die wirtschaftliche Notlage verschuldet hätte.20

Ende 1924 bekam es Bosel auch mit einer Erpressungsserie samt Todesdrohungen zu tun. Den ersten Erpresserbrief erhielt er im Dezember 1924. Ein junger Mann verlangte, dass beim Portier eines Wiener Hotels 150 Millionen Kronen deponiert werden. Wie vom Erpresser verlangt, ging Bosel mit dem Inserat „Schreiber, Wien, XIII – Bewilligt“ in der Tageszeitung Die Stunde auf die Forderung ein. Die Kriminalpolizei observierte den Ort der Geldübergabe – das „Hotel zur Goldenen Birne“. Der Erpresser hatte jedoch einen Dienstmann geschickt, der das Kuvert abholte und damit zum Wiener Westbahnhof fuhr. Hier konnten die Polizisten den bewaffneten Erpresser bei der Geldübernahme überwältigen.21

Durch den Vorfall hatte Die Stunde, an der Bosel nebenbei bemerkt finanziell beteiligt war, eine heiße Story auf Lager: „Es ist das Schicksal reicher Leute, dass sie von Zeit zu Zeit von Erpressern oder politischen Narren mit Drohungen, die sich gegen ihr Leben und ihren Besitz richten, belästigt und in Schrecken versetzt werden. Eine der beliebtesten Persönlichkeiten bei diesen Verbrechern ist der Präsident der Unionbank, Sigmund Bosel“, so das Blatt. „Nach den Hakenkreuzlern, die es als eines der wichtigsten ihrer politischen Ziele betrachten, Herrn Bosel um die Ecke zu bringen“, habe diesmal ein 21-jähriger Mann aus gutem Hause die weitere Sicherheit des Finanzmannes an das geforderte Erpressungsgeld geknüpft.22

Dass Attentate gegen prominente Persönlichkeiten eine reale Gefahr waren, führt der Tod von Hugo Bettauer vor Augen. Bekannt geworden war der umstrittene Bestsellerautor durch seine sozialkritischen Fortsetzungsromane. Den Roman Der Kampf um Wien hatte Bettauer in der Tageszeitung Der Tag herausgebracht, die von Sigmund Bosel finanziert wurde. Der wahre Aufreger war aber Bettauers Erotik-Zeitschrift Er und Sie, mit der sich dieser für eine progressive Sexualmoral starkmachte. Obwohl man Bettauer in einem Pornografie-Prozess freisprach, wurde er von rechtsgerichteten Gegnern und Antisemiten als „Jugendverderber“ und „perverses Kloaken-Tier“ verteufelt. Nazi-Propagandaschriften riefen zu „radikaler Selbsthilfe und Lynchjustiz gegen den Volksschänder“ auf. Bettauer bekam Morddrohungen, Polizeischutz lehnte er jedoch ab.23

Der Anschlag passierte schließlich am 10. März 1925 in Bettauers Büro. Der junge NSDAP-Anhänger Otto Rothstock streckte den Autor mit fünf Revolverschüssen nieder. Zwei Wochen später starb Bettauer an seinen Verletzungen. Die Ermordung des Schriftstellers, der ein Aushängeschild seiner Zeitung war, dürfte Bosel darin bestärkt haben, dass Leibwächter ihre Berechtigung hatten. Auch der Verleger Imre Békessy, mit dem Bosel geschäftlich zu tun hatte, bekam Polizeischutz, nachdem man in den Räumlichkeiten der Nazi-Jugendorganisation eine „Todesliste“ gefunden hatte. Bosel hatte sich bereits Monate davor eine unauffällige Autonummer besorgt, damit sein Wagen nicht mehr wie eine Staatskarosse daherkam.24 Aus dieser Zeit stammt wohl auch das Gerücht, dass Bosel nie einen Fuß in den Garten seiner Villa gesetzt hätte. Irgendeine Erklärung musste es geben, warum der steinreiche Workaholic mit den dunklen Augen immer so blass war.

Der arme Trillionär

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