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Der Freund und Helfer des Polizeipräsidenten

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Im Sommer 1918 macht sich Sigmund Bosel ans Werk. Er muss im Kompetenz-Dschungel der Kriegswirtschaft Lebensmittel und Textilien zusammenkaufen und den verschiedensten Abgabestellen spezielle Zuteilungen für die Exekutive abtrotzen. Um der Polizei Kosten zu ersparen, stellt Bosel sein Büro in der Heinrichsgasse samt Personal und zwei „Fernsprecher-Anschlüssen“ unentgeltlich zur Verfügung. Anfangs verwendet Bosel für die Geschäftskorrespondenz im Namen der Polizei sogar noch sein eigenes Briefpaper. Erst im Herbst 1918 wird dem „Lebensmittellagerbetrieb der kaiserlich-königlichen Polizei-Direktion Wien“ eigenes Schreibmaschinenpapier zur Verfügung gestellt.

Als Organisationsgenie ist Bosel ganz in seinem Element. Über alle möglichen Kanäle treibt er große Vorratsmengen auf, die er vor allem aus Ungarn nach Wien dirigiert. In verschiedenen Stadtbezirken entstehen insgesamt 13 Filialen der Polizei-Versorgungseinrichtung. Bosel deckt auf sechs Monate hinaus den Lebensmittelbedarf von 20.000 Personen. „Wiewohl diese Mengen im regulären Handel nicht zu beschaffen waren“, wie Schober vermerkt.41 Das heißt im Umkehrschluss, dass Bosel für die Polizei am Schwarzmarkt eingekauft hat.

Bald karren Bosels Leute nicht mehr nur Lebensmittel heran, sondern auch Bekleidung, Schuhe und Haushaltsgeräte, die in einem improvisierten Warenhaus angeboten werden. Bosel schafft auch eine Brennholz-Zerkleinerungsanlage an, damit die Beamten für ihr Zuhause billiges Heizmaterial bekommen und die Bezirkspolizeikommissariate und Wachstuben Holz für ihre Kanonenöfen haben. Für verderbliche Lebensmittel wird ein Kühlhaus eingerichtet, zwei Gemeinschaftsküchen liefern regelmäßige Mittagsmahlzeiten für über 2000 Personen. Polizisten im Außendienst werden mittels fliegender Küchen verköstigt. Die Polizei kann sich alle Finger abschlecken, dass Sigmund Bosel ihr Freund und Helfer geworden ist. Die enge Zusammenarbeit geht anderen Kaufleuten, die gerne selbst ins Geschäft gekommen wären, gegen den Strich. Wieder wird Bosel vernadert, die Anzeigen gehen aber ins Leere. Polizeichef Schober lobt seinen kommerziellen Direktor über den grünen Klee. „Sicher ist, dass er, wie die Kontrolle durch den ihm beigegebenen äußerst misstrauischen Ausschuss bewiesen hat, bei der Polizei nicht nur nichts verdient hat, sondern sicher auch eigenes Geld zugesetzt hat.“42

Bosel kauft Gemüse, Heringe und Rosinen genauso wie Wollstoffe und Innereien zur Wursterzeugung. Alles nicht per Kilo, sondern waggonweise. „Das Lebensmittelmagazin und die Bekleidungsstelle Herrn Bosels leisteten ganz Hervorragendes“, so Schober. „Die Wache hatte gute auskömmliche Kost, ich selbst überzeugte mich wiederholt in Kommissariaten von der Güte des gebotenen Rindfleisches, warme Mäntel und gute Schuhe wurden von der Bekleidungsstelle zu denkbar mäßigen Preisen zur Verfügung gestellt, auch die Beamtenschaft der Polizeidirektion Wien konnte diese entsetzliche Zeit nur durch diese Hilfe durchhalten.“43 In den letzten Tage der Monarchie und den Anfangstagen der Ersten Republik bestimmt Bosel, welche Rationen an Bohnen, Fleisch oder Fett die Polizisten in den Wochen des Umbruchs kaufen und ihre Frauen daheim verkochen können. Für Weihnachten 1918 waren als Draufgabe Sonderrationen an Nüssen, Pflaumen und Rindfleisch erhältlich. Bosel und Schober haben gewusst, dass der Sicherheitsapparat bei Laune gehalten werden muss, wenn der Kaltstart in die Demokratie ohne Chaos über die Bühne gehen soll.

Die Polizeibeamten rechnen es ihrem Chef auch hoch an, dass sie günstig einkaufen können und von der Not ringsum verschont bleiben. Schober hat gleichzeitig den erforderlichen Machtinstinkt, um sich als Garant der öffentlichen Ordnung in Szene zu setzen. Im Dezember 1918 wird Schober für die gesamte öffentliche Sicherheit zuständig, damit untersteht ihm auch die Exekutive in den Bundesländern. Schober mausert sich zu einer Führerfigur im Sicherheitsapparat. „Er verbesserte die materiellen Verhältnisse seiner Polizisten … und deutete gleichzeitig seinen Präsidenten-Posten in eine Vaterrolle um, wodurch er psychologisch effektvoll seine Leute beeinflussen konnte“, schreibt Rainer Hubert in seiner Schober-Biografie.44

Ein Glanzpunkt der Inszenierung ist die erste Weihnachtsfeier nach der Kriegsniederlage, die der 44 Jahre alte Polizeichef mit seinem Monokel auf der Nase in der Wiener Marokkaner-Kaserne organisiert. Die Exekutive präsentiert sich als eine Sippe rechtschaffener Staatsdienerfamilien, in der sich der oberste Kommandeur sogar ums Christkind kümmert. Weil die Versorgung der Beamtenschaft mit Bosels tatkräftiger Hilfe klappt, werden dem Polizeichef Macherqualitäten zugeschrieben. Und Sigmund Bosel? Er war für Schober nicht nur ein wichtiger Steigbügelhalter, sondern auch eine Art „Troubleshooter“, der in heiklen Angelegenheiten die Lage sondieren und dem Polizeichef diskret den Boden bereiten konnte.

Das kommt Schober zugute, als sich 1919 die Stimmung in der Polizei politisch aufheizt. Die im November 1918 ausgerufene Republik „Deutsch-Österreich“ durchlebt eine revolutionäre Nachkriegskrise, in der viele Berufsgruppen sozialpolitische Reformen verlangen. Im Sicherheitsapparat kommt die Meinung auf, dass Beamte nicht länger unpolitische Ordnungshüter sein sollen, sondern durchaus das Recht hätten, sich parteipolitisch zu betätigen. Frei nach der Devise, dass mit dem unsäglichen Kadavergehorsam gegenüber sakrosankten Autoritäten Schluss sein muss. Und zwar auch in der Exekutive.

Einer, der quasi „basisdemokratische“ Mitsprache im Sicherheitsapparat verlangt, ist der Polizist und spätere Politiker Hans Schabes. Der damalige Revierinspektor will die Kollegenschaft sozialdemokratisch organisieren und den Polizeibetrieb umkrempeln. Schabes und Genossen wollen auch mitreden, wenn es um Postenbesetzungen geht. Sie verlangen, dass missliebige Vorgesetzte durch ein Misstrauensvotum in einschlägigen Dienstversammlungen abgesetzt werden können. Für Schober ist der Gedanke unerträglich, dass die Schlagkraft der Polizei gelähmt und er als quasi „apolitischer“ Präsident von „politisierten“ Polizisten zu einer Marionette degradiert werden könnte. Aus dem Konflikt wird ein Fall für Sigmund Bosel, der sich damals und auch später als Vermittler zwischen Schober und Schabes einklinkt. Franz Brandl, der Schober-Vertrauensmann im Polizeipräsidium, hat Bosels Mission später etwas kryptisch wie folgt beschrieben: „In privaten Unterhaltungen hat er Schabes und etlichen seiner Gefolgsleute die Giftzähne gezogen.“45

Obwohl ihm die Polizeigranden dankbar die Stange halten, wird es für Sigmund Bosel Anfang 1919 ungemütlich. Dass er zum Wohl der Polizei mit seiner Einkaufsmacht den Markt durcheinandergewirbelt hat, während Teile der Bevölkerung hungern, nehmen manche Bosel ziemlich übel. Die linksradikale Zeitung Der Abend nennt ihn einen „sattsam bekannten Schleichhändler“ und „Preistreiber“. Verärgert schreibt der junge Geschäftsmann im Februar 1919 Schober einen Brief, in dem er verlangt, dass er durch eine öffentliche Stellungnahme der Polizeidirektion rehabilitiert wird.46

Im März 1919 wird es Bosel schließlich zu bunt. Er bietet dem Verwaltungsratsausschuss seinen Rücktritt an. Die versammelten Behörden-Vertreter wollen den kommerziellen Leiter jedoch nicht gehen lassen. Bosel wird wegen seiner „uneigennützigen und geradezu aufopferungswilligen Tätigkeit“ gelobt und gegen Angriffe von außen verteidigt.47 Doch die Kritik will nicht verstummen. Linke Gruppierungen aus dem Beamtenapparat haben sich auf Bosel eingeschossen. Kapitalismuskritik vermischt sich mit linkem Antisemitismus. Der in Wien geborene Geschäftsmann wird in einer als „Denkschrift“ titulierten Beschwerde als „verbrecherischer Kapitalist und Ausbeuter“ diffamiert, der als Kriegsflüchtling (!) nach Wien gekommen sei und den die Behörden schon längst des Landes verweisen hätten sollen. Bosel wird zwar zugestanden, dass er „aufgeweckt, intelligent und anerkennenswert geschäftstüchtig“ sei. Er habe jedoch mit „ausländischen jüdischen Zwischenhändlern“ und anderem „Lumpengesindel“ die „Unerfahrenheit der gemütlichen Wiener“ betrügerisch ausgenützt.

Der „Beweis“ für Bosels krumme Machenschaften: Von den 58 Eiern, die der Beschwerdeführer – ein Familienvater – seit dem Bestehen des Polizei-Lebensmittellagers bekommen hätte, wären 12 Stück schlecht gewesen. „Es geht doch nicht an, dass wir noch im tiefen Frieden das Opfer einer wohl gut organisierten, großkapitalistischen, gewissenlosen Volksräuberbande“ werden, poltert der Urheber der Anschuldigungen, bevor er sich zur Bemerkung versteigt, dass für die erwähnte Räuberbande „die Todesstrafe zweifellos zu früh aufgehoben worden sei“. Zum Schluss gipfelt die Beschwerde in der „untertänigen Bitte“ an den hochwohlgeborenen Polizeichef Schober, Bosel als Leiter des Lebensmittel-Lagerbetriebes seines Amtes zu entheben, widrigenfalls man nach einer Frist von acht Tagen durch einen offenen Brief an die Arbeiter-Zeitung die lokalen „Arbeiterräte“ und die Staatsanwaltschaft einschalten werde.48

Gut informiert waren die Bosel-Gegner in der Exekutive wahrlich nicht. Denn als sie im Oktober 1919 gegen Bosel mobil machen, ist der angefeindete Direktor gar nicht mehr für den Lebensmittel-Diskontladen der Polizei tätig gewesen. Bosel hatte seine Tätigkeit dort schon im Frühjahr 1919 an den Nagel gehängt. Schober zufolge sei Bosel eines Tages vorbeigekommen, um ihm zu erklären, dass er wieder Geld verdienen müsse. Nur ehrenamtlich für die Polizei tätig zu sein, ohne Privatgeschäfte machen zu dürfen, sei finanziell nicht länger drinnen. „Schweren Herzens“ habe er Bosel „die Entlassung aus dem Ehrenamt geben müssen“, so Schober über die monatelange Zusammenarbeit.49

Der mächtige Polizeichef wird sich in späteren Jahren bei Sigmund Bosel erkenntlich zeigen und für ihn den politischen Schutzengel spielen. Bosel revanchiert sich, indem er die Polizei weiterhin gönnerhaft unterstützt. So kommt Schober über das Kriegsende hinaus zu einer loyalen Hausmacht, die eine wichtige Machtbasis für seine Politikerkarriere wird. Der Polizeipräsident und der spätere Bankpräsident werden in der Öffentlichkeit immer betonen, dass ihr Verhältnis rein „amtlich“ und bloß geschäftlicher Natur gewesen sei. Alle, die Schobers Terminkalender kannten, haben aber gewusst, dass die beiden Männer eine persönliche Seilschaft begründet hatten. Denn an fast jedem ersten Dienstag im Monat hat Bosel nach seinem Abgang bei der Wiener Polizei bei Schober auf einen Plausch vorbeigeschaut. Und das war auch dann noch so, als Schober schon Bundeskanzler war.

Der arme Trillionär

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