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Ein voller Bauch macht keine Revolution

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Im Juni 1918 bäumt sich die schwer angezählte Monarchie an der italienischen Front ein letztes Mal militärisch auf. Doch die Offensive scheitert. Ab diesem Moment geht es mit der Kampfmoral der Armee bergab, die Wirtschaft hat für den Nachschub keine Kraft mehr. Das Habsburgerreich hat den Untergang vor Augen.33

In Wien und anderen Großstädten ist die Versorgung der Bevölkerung schon seit Monaten katastrophal. Weil es zu wenig Brotgetreide gibt, wird das fehlende Mehl aus Kastanien oder Bohnen gewonnen und mit Sägespänen gestreckt. Die kriegsbedingte Misere ist längst ideologisch aufgeladen. Schuld an der Teuerung seien die „Kapitalisten“, wettert die Arbeiter-Zeitung, weil diese durch Heereslieferungen, gehortete Warenvorräte und Importgeschäfte während des Krieges Wuchergewinne eingefahren hätten. „Hätte uns jemand vor drei Jahren gesagt, was wir heute für Fleisch oder für Gemüse, für ein Gewand oder für ein Paar Schuhe bezahlen werden, hätten wir ihn für einen Wahnsinnigen gehalten.“34

Hohe Preise und verdorbene Lebensmittel sind immer wieder der Zündfunke für Hungerkrawalle und Streiks. Während der Schwarzmarkt blüht, erleben die hungrigen Städter eine böse Überraschung. Mitte Juni 1918 wird in Wien die Brotration von einem Tag auf den anderen um die Hälfte gekürzt. Um die ohnehin karge Ration von 200 Gramm Fleisch pro Woche zu ergattern, haben sich die Menschen bereits nächtelang anstellen müssen. Mehr als ein Ei pro Woche war sowieso nicht mehr drinnen. Und nun soll es nur mehr halb so viel Brot geben wie bisher? Die Bevölkerung kocht vor Wut auf die Obrigkeit.35

Während sich eine explosive und teils revolutionäre Stimmung breitmacht, kommt es im Juni 1918 in der Wiener Polizeidirektion zu einem Sesselrücken. Kaiser Karl bestellt Johann Schober zum neuen Befehlshaber über die Exekutive in der Hauptstadt. Der gelernte Jurist aus Perg in Oberösterreich soll als kaisertreuer Ordnungsmacher notfalls hart durchgreifen. Seit sich die Bevölkerung aber für Lebensmittel stundenlang anstellen muss, hat auch die Exekutive ein Problem. Sie kann nicht durchgehen lassen, dass Polizisten einerseits die Lebensmittelausgabe überwachen sollen und andererseits selbst vor Geschäften Schlange stehen müssen. Schober will daher vom Innenministerium die Erlaubnis für einen eigenen Polizeiversorgungsbetrieb. In seinem Antrag lässt der junge Polizeichef keinen Zweifel an seiner Lagebeurteilung: Polizisten mit einem leeren Magen sind ein Sicherheitsrisiko, weil sie bei Straßenschlachten gegen streikende Arbeiter, Plünderer oder Unruhestifter und in emotional aufreibenden Einsätzen gegen aufgebrachte Hausfrauen versagen könnten. Nur wenn die Polizei rundum bestens versorgt sei, könne die Exekutive „ihren aufreibenden Dienst weiter voll und ganz versehen, mögen auch noch so schwere Zeiten kommen“.36

Was Schober jedoch fehlt, ist ein Mann, der den gewünschten Lebensmittellager-Betrieb auf die Beine stellen kann. Schober erkundigt sich beim niederösterreichischen Statthalter Bleyleben, der ihm prompt Sigmund Bosel ans Herz legt. Schober beauftragt daraufhin seinen Vertrauensmann Franz Brandl, Bosels Hintergrund zu überprüfen. Als Brandl grünes Licht gibt, bekommt Bosel in der Polizeidirektion einen Termin. Es dauert nicht lange, und Johann Schober ist überzeugt, dass er mit dem jungen Geschäftsmann einen guten Griff gemacht hat: „Bosel hat tatsächlich binnen weniger Wochen eine für die damaligen Verhältnisse unerwartete Versorgung der Polizeiorgane mit aus dem Auslande herbeigeschafften Lebensmitteln in die Wege geleitet.“ Auch beim Startkapital für den Polizeiversorgungsbetrieb fackelt Bosel nicht lange. Er nimmt kurzerhand einen Kredit bei der Verkehrsbank auf, für den er persönlich bürgt. Dadurch kann der Lebensmittellagerbetrieb gleich im Juli 1918 gegründet werden.37


zum Reichtum: Selfmademan Sigmund Bosel. Foto: Max Fenichel, 1926.

Der Organisationsjob für die Polizei ist für Bosel jedoch kein Honiglecken. Er muss die Auflage akzeptieren, dass er „als kommerzieller Direktor des Lebensmittellagerbetriebes der Polizeidirektion ehrenamtlich und unentgeltlich fungieren soll“. Der befristete Posten hat sogar noch einen Haken. Schober verlangt, dass Bosel keinerlei Privatgeschäfte macht, solange er Leiter des Versorgungsdepots ist. „Ich wollte dadurch vorbeugen, dass dieses Ehrenamt irgendwie für private Geschäftszwecke missbraucht werde oder dass auch nur die Vermutung entstehen könnte, es gäbe eine Verquickung zwischen den Lebensmittellieferungen für die Polizei und Geschäften irgendwelcher Art.“ In der Praxis dürfte es dennoch eine gewisse Verfilzung zwischen Bosels eigenen Geschäften und dem Polizeiwohlfahrtsbetrieb gegeben haben, wie der Historiker Rainer Hubert meint.38

Vermutlich hat Bosel sehr wohl neben seiner „ehrenamtlichen“ Tätigkeit auf eigene Rechnung weitergearbeitet. In einem Brief an den „hochwohlgeborenen und hochverehrten Herrn Präsidenten“ weist Bosel sogar selbst darauf hin, dass er der Polizei mit Leinen und anderen Waren aus seinen eigenen Beständen ausgeholfen hat.39

Was hat sich Bosel aber davon versprochen, dass er der Exekutive seine Arbeitskraft so großzügig zur Verfügung stellt? Der aufstrebende Geschäftsmann ringt nach seinen Husarenstücken um gesellschaftliches Prestige. Mithilfe seiner Polizeitätigkeit will er sich die Meriten für einen Titel verdienen. Er sei reich genug, tönt Bosel, um sich das Ehrenamt und die damit verbundene geschäftliche Untätigkeit leisten zu können. Schober wird später sagen, dass es Bosel darum gegangen sei, „sich in der Kaufmannschaft eine entsprechende soziale Stellung zu verschaffen“.40

Die Gegenleistung, die Bosel 1918 dafür haben will, dass er für den morschen Staat den Wohltäter spielt, ist der Ehrentitel eines Kaiserlichen Rates. Insgeheim wird Bosel sicher auf einen Adelstitel gespitzt haben. Im Umgang mit der Staatsgewalt gibt er sich aber untertänig und genügsam. Schober hält den Titelwunsch für „äußerst bescheiden“ und fühlt wegen der Ernennung bei Innenminister Gayer vor. Der meint jedoch, dass der 25-jährige Bosel für die Auszeichnung „Kaiserlicher Rat“ noch zu jung sei. Die betroffenen Dienststellen raufen sich auf einen Kompromiss zusammen: Bosel soll ungeachtet seines Alters „Kaiserlicher Rat“ werden, wenn er seine Aufgabe als „Versorgungsdirektor“ der Polizei zwei Jahre tadellos erledigt.

Der arme Trillionär

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