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Das Gespenst der Nachkriegsinflation

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Doch mit dem Geld war das in der Ersten Republik so eine Sache. Viele Menschen hatten den Glauben ans Geld komplett verloren. Stefan Zweig schrieb über das Jahr 1919 in seinem Roman Rausch der Verwandlung: „Ein ganzer Winter von Banknoten und Nullen schneit vom Himmel. Hundertausende, Millionen, aber jede Flocke, jeder Tausender schmilzt dir in der Hand.“9

Es gab Tage, an denen die Preise stündlich in die Höhe kletterten und verzweifelte Konsumenten die Geschäfte stürmten. Hausfrauen investierten ihr Geld auf Teufel komm‘ raus in unverderbliche Erzeugnisse wie Kaffee oder Kristallzucker. Und das bei immer monströser anmutenden Preisen. Anfang 1914 hatte ein Kilo Kristallzucker noch weniger als eine Krone gekostet. Im Jänner 1921 waren es schon 96 Kronen, im Oktober 1923 absurde 12.400 Kronen pro Kilo. Durch die horrende Inflation ist den Menschen damals das Geld buchstäblich zwischen den Fingern zerronnen. Wien war „bevölkert von notleidenden Millionären“, die sich nichts mehr leisten konnten.10

Die Geldentwertung war freilich schon mit der Mobilmachung im August 1914 losgetreten worden. Stolz und blindwütig war die Monarchie in einen Waffengang gestolpert, für den sie weder militärisch noch finanziell vorgesorgt hatte. Als sich der schnelle Sieg als eine grauenhafte Illusion erwiesen hatte und die Kriegskosten explodierten, brachte das Kaiserreich eine Reihe von Kriegsanleihen unters Volk. Mit dem Geld, das dadurch hereinkam, konnte die Finanzverwaltung immerhin 60 Prozent der Kriegskosten bis 1918 decken. Die restlichen 40 Prozent „bezahlte“ der Staat, indem er sich immer größere Kredite bei der k. u. k. Notenbank genehmigte, die für die notwendige Geldschwemme sorgte. Für das viele Papiergeld gab es im Lauf des Krieges aber immer weniger zu kaufen. Für die verbliebenen Waren und Lebensmittel sind die Preise daher in den Himmel geschossen. Im November 1918 musste man für einen typischen Einkaufskorb 16-mal so viel zahlen wie im Juli 1914.11

Nach der kriegsbedingten Inflation wurde Österreich Ende 1918 von einer Nachkriegsinflation erfasst, die sich an den Versorgungsengpässen in vielen Bereichen der Wirtschaft entzündete. Ab September 1919 verschärften sich die Preissteigerungen, weil der Friedensvertrag von Saint-Germain für Österreich herbe Enttäuschungen brachte. Die Teuerung fing an zu galoppieren, bevor sie im Herbst 1921 komplett ausuferte und den Staat bis Oktober 1922 durch einen hyperinflationären Würgegriff beinahe in den Ruin trieb. Darüber hinaus war der Wechselkurs der österreichischen Krone nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie in den Keller gerasselt. Dadurch explodierten die Importpreise für Kohle, Rohstoffe und Lebensmittel, was die Inflation zusätzlich anheizte. Die Erste Republik kam budgetär nur über die Runden, indem sie auf Teufel komm‘ raus das benötigte Geld ungeniert drucken ließ. Oder wie der Kaffeehaus-Literat Anton Kuh ironisch gemeint hat: „Der Staat lebte nur noch vom Banknotenfälschen.“12

Der Glaube ans Geld wurde vom Glauben ans Glück abgelöst. Um den erlösenden Tipp für die Flucht aus dem Alltag zu erheischen, boomte das Geschäft mit der Hellseherei. Aus der „Alles ist hin“-Stimmung wurde die „Alles oder nichts“-Stimmung, die zu einer Spielleidenschaft führte, die breite Schichten wie eine Epidemie erfasste.13

Der Mittelstand war auch demoralisiert genug, um leichtlebigen Verdrängungsmechanismen zu verfallen. Viele hatten ihre Ersparnisse in festverzinslichen Kriegsanleihen angelegt, die wertlos geworden waren. Vor allem die Beamten und ehemaligen Offiziere konnten von ihrem früheren Leben nur mehr träumen. Viele mussten den Familienschmuck ins Pfandhaus tragen. Andere halfen sich damit, dass Untermieter aufgenommen oder private Spielsalons mit Bewirtung aufgezogen wurden oder – Ehefrauen und Töchter der Prostitution nachgingen, um das karge Haushaltsbudget aufzubessern. Nicht umsonst wird in den „Inflationsromanen“ der Zwischenkriegszeit häufig die Armutsgefährdung thematisiert, die viele Frauen schichtenübergreifend dazu gezwungen habe, sich zu verkaufen.14

Aber auch dort, wo die Finanznöte nicht so dramatische Auswirkungen hatten, war der Mittelstand von Abstiegsängsten geplagt. Einfache Industriearbeiter kamen nämlich mit ihren Löhnen, die periodisch an die Geldentwertung angepasst wurden, immer näher an das Einkommensniveau der bürgerlichen Mittelschichten heran. Schwer angeknackst war das Selbstwertgefühl des Beamtenbürgertums durch das Erscheinen wirtschaftskundiger Newcomer mit kleinbürgerlichem Hintergrund. Ihr Erfolg ließ standesbewusste Inflationsverlierer als Versager dastehen. Die wirren Nachkriegsjahre waren eben eine Zeit, in der sich talentierte Aufsteiger und erfolgshungrige Zuwanderer durchschlängeln und hinaufarbeiten konnten.15

Man darf auch nicht glauben, dass die Geldentwertung damals ganz Österreich in ein ruinöses Flimmerlicht tauchte und überall nur Jammerstimmung geherrscht hat. Im Gegenteil: 1921 gab es eine kurze Hochkonjunktur mit Vollbeschäftigung. Die Baubranche erlebte durch den Siegeszug der E-Wirtschaft einen Aufschwung. In bestimmten Branchen konnten innovationsfreudige Firmen dem üblen Wirtschaftsklima durchaus Paroli bieten.16

Der arme Trillionär

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