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Die Kinderstube in der Luxuswelt

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Leben kam in den parkähnlichen Garten erst viele Jahre später durch die Bosel-Kinder Julie und Alfons, die sich – als sie schon größer waren – auf dem Gelände austoben konnten und vor allem die Kegelbahn hinterm Haus geliebt haben. „Wir sind uns manchmal wie Gäste vorgekommen, weil wir uns auf unseren Streifzügen durch das Anwesen ‚ordentlich‘ benehmen mussten“, schmunzelt Frau Marks. Warum das? Die Nachbarschaft sollte nicht allzu viel davon mitbekommen, dass Julie und ihr Bruder die unehelichen Kinder des Hausherrn waren. Bis 1937 waren die beiden Sprösslinge daher nur fallweise am Wochenende in der Gloriettegasse zu Besuch. Gewohnt haben die Kinder im Wiener Nobelbezirk Döbling, wo sie mit ihrer Mutter Ilona Schulz in einer Villa in der Silbergasse aufgewachsen sind. Behütet und eingepackt in erzieherische Zuckerwatte.

In der Silbergasse gibt es damals eine Köchin, zwei Stubenmädchen und einen Hausbesorger. Auch eine Anstandsdame schwirrt durch den Haushalt. Auf winzigen alten Fotos sieht man, wie die Gouvernante die kleinen Bosel-Sprösslinge bei einem Schaukelpferd bemuttert. „In der Silbergasse war es fantastisch“, erinnert sich Julie Marks. „Im Garten gab es in einer Hütte sogar ein Ringelspiel. Und mit meinem Bruder habe ich mich sehr gut verstanden. Wir beide sind in Wien auch nie in eine Schule gegangen.“ Die Kinder werden von einem Hauslehrer namens Eduard Landskron unterrichtet. Der pensionierte Schuldirektor stellt Julie und Alfons damals Zeugnisse wie in einer richtigen Schule aus, die er fein säuberlich mit Tinte schreibt.25

Den Kindern blieb verborgen, was der Vater während der Woche beruflich macht und warum er an vielen Abenden nicht zu Hause ist. Donnerstags durften die Bosel-Kinder den Papa jedoch in seinem eleganten Bürohaus in der Kramergasse besuchen. Nachher gab es mit der Mama öfters einen Abstecher in den Prater. Der Donnerstag war der Höhepunkt der Woche, an diesem Tag ist immer Kirtagsstimmung aufgekommen. „Wenn wir mit dem Auto in der Stadt herumgefahren sind und zu einer Kreuzung gekommen sind, dann haben die Polizisten immer beim Vorbeifahren salutiert“, erzählt Frau Marks. „Mein Bruder und ich waren sehr beeindruckt, und wir haben auch salutiert.“ Julie muss kurz kichern. „Das war wirklich spaßig. Die Beamten haben sogar dann salutiert, wenn nur mein Bruder und ich im Auto gesessen sind.“26

Von Berufs wegen kannten die Verkehrspolizisten damals die wichtigsten Autonummern der Stadt. Als Freund und Gönner der Exekutive war Bosel jedem Sicherheitsmann ein Begriff. Die Polizei hielt Bosel deshalb auch dann noch in Ehren, als es finanziell mit ihm bergab ging, was Bosel geschickt zu übertünchen wusste. Frau Marks kann sich noch gut an einen Fackelzug in der Ära Dollfuß erinnern, bei dem die Familie Bosel Ehrenplätze auf der VIP-Tribüne hatte.

Beim Plaudern mit Frau Marks wird mir plötzlich klar, dass sie seit 1950 nicht mehr in Österreich gewesen ist. Nach ihrer Rückkehr aus London, wo sie die Nazizeit überlebt hat, habe sie Wien nicht ausstehen können, sagt sie mir. Tief in ihr drinnen sind die Häuser in der Silbergasse und der Gloriettegasse aber lebendig geblieben. Julie zeigt mir auch alte Urlaubsbilder, auf denen sie Seite an Seite mit ihrem Vater und ihrem Bruder knöcheltief im Meer steht. Sigmund Bosel trägt auf dem Foto ein dunkles Badekleid, das in den 1930er Jahren für Männer nach wie vor gängig war und in diversen Seebädern noch Vorschrift gewesen ist. „Wir waren mit unseren Eltern auch auf Reisen. Wir waren in Venedig und in Viareggio in Italien am Strand. Es war absolut phantastisch, ich kam mir vor wie eine kleine Prinzessin.“27

Der arme Trillionär

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