Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 18
1.3.2 Kompetenzplafond
ОглавлениеGravierend und nicht so lustig ist es, wenn der persönliche Kompetenzplafond überschritten wird. Man weiß alles über x und wenig über y, will aber x mit Gedanken aus y bereichern und legt frohgemut los. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder, man merkt es nicht und die Peinlichkeit wird in schriftlicher Form abgegeben, am Lehrstuhl oder später in den Druck. Das Wissen war da, der gute Wille auch, aber es reichte nicht. Oder man merkt, dass die Kräfte nicht ausreichen, glaubt aber, sich über das Defizit hinwegmogeln zu können. Dann geht man das Risiko ein, dass irgendwann irgendwer die Schwachstelle aufspießt und dann, darin sind die Akademiker ziemlich heikel, die von ihr abgeleiteten Überlegungen sehr kritisch zum Thema macht. Dieses Missgeschick vermeidet man, indem man Extrastudien einlegt. Eine gezielte Recherche, die in der Zeit und im Stoff begrenzt ist, müsste Abhilfe schaffen oder man verzichtet auf das Kapitel, das man nicht in der geplanten Weise packt.
Es gibt auch einen von Politikern gemeinsam zu respektierenden Plafond, den ernst zu nehmen offenkundig Intelligenz und Durchsetzungsvermögen voraussetzt. Er wird von den durchschnittlichen Finanz-Einnahmen über die Zeit gebildet, die eine aufsteigende Gerade der Durchschnittswerte abgeben. Darunter müssten dann die durchschnittlichen budgetrelevanten Ausgaben, ebenfalls eine aufsteigende Gerade, bleiben. Auch hier wird ungeniert ein Kriterium angegeben, wenn der Plafond durchstoßen wird: Dummheit. Die Politik ist kurzsichtig und dumm, die den Schuldenberg gewissenlos vergrößert.
Kennzeichen des Kompetenzplafonds, der auch ein Intelligenzplafond ist, liegt darin, dass er abrupt, nicht schleichend sichtbar wird. Wie beim Grenzwert, also ein Beutel Dünger für das Tulpenbeet ist ausgezeichnet, zwei Beutel geben einen noch höheren Ertrag, der dritte Beutel lässt es im Pulver untergehen. Wie bei manchen Spielen, eben noch alles gewonnen, aber ein Jeton, eine Gewinnstufe mehr und alles ist weg. Hier bedeutet das: Der gute Eindruck geht verloren, wenn nach guten Gedanken nur eine einzige Dummheit an zentraler Stelle folgt, die womöglich ein Fundament für alles abgeben soll. Denn auch hier gilt der schöne Satz: Auch der Kluge hat dumme Gedanken, nur behält er sie für sich. Eben noch die Sätze einer normalen Wissenschaftlichkeit, dann Gefasel, nur die Syntax für das Dada ist noch in ausgezeichneter Ordnung und strukturiert das Kuddelmuddel als ein gepflegtes. Jenseits des Plafonds wartet die Insuffizienz und häufig auch der Sinn-Infarkt. Meist ballt sich alles zusammen, wenn es um das Höchste geht, die Vollendung, die Früchte des eigenen Denkens. Aber auch ganz Anspruchsvolle wiederholen die Reise ins Jenseits eigener Kompetenz. Mal ist es Selbstverliebtheit, mal höchste Argumentationsnot. Wie man einen Satz anspruchsvoll beginnt und kein Ende anspruchsvoll hinkriegt. Man stolpert in den ungeliebten Anakoluth (gebrochene Satzkonstruktion) oder in den manierierten Stilkrampf. Ein Ausdruck wie "die Mütterlichkeit der Sprache", wenn er den Aristoteles nicht verballhornen will, geht klar über den Plafond hinaus. So kann man „Muttersprache“ nicht vermeiden, warum auch. Es sei denn, man kann belegen, dass dies ein Zitat von einem Denker ist, der sich etwas dabei gedacht hat. Dann muss man den Autor als Quelle anführen und kann nicht belastet werden.
Nicht, woher der Plafond kommt, wie er sich gebildet hat, sondern wie er präsentiert wird, ist ausschlaggebend. Das schließt Kuriositäten nicht aus. Der gelernte Postbote in Süddeutschland war kompetent genug, um über einen beachtlichen Zeitraum chirurgisch in einer Klinik tätig zu sein. Sein Kompetenzplafond wurde nicht von ihm übertreten, er blieb im grünen Bereich seiner Fähigkeiten. Hirnoperationen überwies er. Nur die korrekten Zeugnisse und natürlich auch die fachliche Ausbildung fehlten. Andrerseits, wieder in Süddeutschland, gab es einen Unfallchirurgen, der selbst der größtmögliche Supergau war. Seine Patienten litten Qualen, nachdem er sie operativ behandelt hatte. Genannt wird so etwas, aber vornehmerweise nicht in der Kündigung, "Unfähigkeit". Es ist die Kompetenzplafond-Überschreitung. Bis zum Plafond war er höchstwahrscheinlich ein ausgezeichneter Chirurg. Unterhalb dieser Überschreitungsproblematik liegt aber noch der blanke Planungsfehler, der Planungsirrtum. Allein in Deutschland geschieht es einmal im Jahr, dass erst das falsche Bein, das besser dran geblieben wäre, in der Chirurgie amputiert wird und dann tatsächlich das richtige. An diesem Ort, so sagt man schon mal spöttisch, passt ein jeder auf, dass ihm nicht wesentliche Teile im Vorbeigehen abhandenkommen.
"Kompetenzplafond" ist die persönliche Ebene, bis zu der sich der akademisch Ausgebildete sicher fühlen kann, eine gute Leistung abzugeben. "Da kenne ich mich aus. Das fällt in mein Gebiet." Durch Fortbildungskurse, für die es Diplome gibt, die man in der Praxis an die Wand hängen kann, lässt sich der Plafond graduell nach oben verschieben. Wer vom Lungenfacharzt sich zum Schönheitschirurgen oder plastischen Chirurgen mausern will, studiert ja nicht nur ein paar Fachbücher. Auch der Internist, der zusätzlich als Proktologe tätig sein will, schaut sich nicht nur die Gebrauchsanweisung seines gerade erworbenen Endoskops an. Für hochqualifizierte Berufe gibt es auch hochqualifizierte Fortbildungsmöglichkeiten. Es gibt keinen Grund, sich zu beunruhigen, wenn einem nach dem Schlussexamen siedend heiß klar wird, dass man längst nicht alles, was man vermutlich im Beruf brauchen wird, gelernt hat. So gibt es schon mal bei einer bedeutenden deutschen Bank Pflichtschulungen unter dem Titel: "Verhalten im Geschäftsalltag und Ethik". Fortbildung in der Medizin ist vorrangig anschaulich und praktisch orientiert. Schon der Chirurg Sauerbruch hat Ärzte aus aller Welt in der von ihm entwickelten Technik instruiert.