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1.1.3 Nachdenken im täglichen Leben

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Das Leben zeigt dann schon unverblümt, Spekulieren reicht nicht. Du musst konkret handeln, eine Einsicht, die Marx dazu bewegte, sehr viel Theorie über dieses Thema zu produzieren. Die kulturelle Evolution begann mit Handeln, dem nur eine Sekunde des Spekulierens mit Hilfe der Phantasie vorausging. Man denke an die kaledonische Krähe, aufgeregt-bewegt, und trotzdem zu einem kurz verweilenden "Schauen" fähig, das die Lösung brachte. Später, beim Pithec anthropus erectus, wird dieses Intervall länger, bis sie zur parlamentarischen Beratung in der Neuzeit uferlos wird. Eine unterhaltsame Zwischenposition nimmt Romy Schneider als "Scampola" im gleichnamigen Film ein. Alle naselang besteht sie darauf, dass ihre Umgebung und sie selbst sich Zeit nehmen, "nachzudenken": "Ich denke über alles nach, damit ich das Richtige tue." Sie versteht darunter das Durchspielen von Varianten, also Möglichkeiten, die eigentlich Szenen sind, die sie schon mal für sich ausformuliert, und die Auswahl der "richtigen". Aus den halben Sekunden der ersten Versuche bei der Kaledonischen sind echte Pausen der Nachdenklichkeit geworden. Das ist aristotelisch, und es ist alltäglich für den Menschen, bis er auf das Dilemma des Zwangs stößt, zwischen gleichwertigen Alternativen, die sich dummerweise auftun, entscheiden zu müssen. Sichtbar gemacht wird diese Situation schon mal, wenn der junge Mann im Film oder im Roman schwankt, welche der beiden Schwestern, womöglich eineiige Zwillinge, er nehmen soll. Buridans Esel, siehe weiter unten, verhungert in dieser Situation, nicht unterscheiden und sich nicht entscheiden zu können. Die Spekulation wird für den Menschen zur Kunst, die Welt und sich selbst einzuschätzen, praktisch und bewertend, in abstracto und zugleich in concreto. Die Maxime von Scampola wird problematisch. Zu leicht kommen Egoismus und Altruismus zur Kollision und stören das Nachdenken nachhaltig; denn Spekulationen in abstracto helfen nicht immer in der in concreto-Situation. Sie kommt dann im Film zurück auf die ältere mütterliche Freundin Marietta und orientiert sich an ihren Lebensweisheiten, die sie sich in Erinnerung ruft. Sie stellt auf diese Weise mit ihr eine Gruppe im Dialog her, was ihr, als schicksalsbedingte Einzelgängerin, die Unsicherheit nimmt. Die Erfahrung des Einzelgängers und sein Nachdenken sind unsicher, solange er nicht auf Fremderfahrung zurückgreifen kann.

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