Читать книгу DER COLT IST IHR GESETZ – Western-Sonderedition: Drei Romane und eine Kurzgeschichte - Glenn Stirling - Страница 6
Оглавление2. Kapitel
Clint Farrox und Hal Wyman hatten den Vorschlag des kleinen Saloonbesitzers abgelehnt, die Nacht über in Thunderville zu bleiben. Es war Sommer. Sie konnten auch im Freien kampieren. Und maßgeblich für sie war, dass sie bis zum Einbruch der Dunkelheit noch viele Meilen zurücklegen konnten. Und jede Meile, die unter den Hufen ihrer Pferde zurückfiel, brachte sie näher an die gewaltige Gebirgsmauer im Westen heran – an die Rocky Montains.
Sie hatten schon eine beträchtliche Entfernung zwischen sich und Thunderville gebracht, als endlich die dunkelblaue Silhouette der fernen Gebirgskette verblasste und von den Dämmerschatten der hereinbrechenden Nacht verwischt wurde. Clint und Hal waren in gerader Linie nach Nordwesten geritten. Das Gelände war nun sanft hügelig. Aber weit und breit waren weder ein Baum noch ein Strauch zu sehen. Nur Gras – hohes, breithalmiges Büffelgras, das sich zu dichten Büscheln zusammenballte.
»Ich denke, wir reiten noch eine Stunde, ehe wir ein Nachtlager aufschlagen«, meinte Clint Farrox. »Die Pferde sind noch nicht müde.«
»Einverstanden!«, nickte Hal Wyman. »Wenn es die Gäule schaffen, dann würde ich Tag und Nacht ohne Unterbrechung reiten, Clint. Ich kann es kaum erwarten, zum Pikes Peak zu kommen.« Wie immer, wenn Hal von den Goldfeldern sprach, zu denen sie unterwegs waren, wurde er merkwürdig ernst, und ein träumerischer Ausdruck, der in seinem harten und auch frischen Gesicht fremd wirkte, trat in seine schwarzen Augen.
Clint Farrox war dies nicht entgangen. Aber er verlor darüber kein Wort. Er wusste, dass er sich keinen besseren Gefährten auf diesem langen Ritt wünschen konnte und spürte auch in sich selber eine helle Erregung, wenn er an den Reichtum dachte, der dort im Felsengebirge ans Tageslicht befördert werden konnte. Er selber war vielleicht zwei oder höchstens drei Jahre älter als Hal Wyman, und ein ganzes Leben lag noch vor ihm. Er hatte noch die Möglichkeit, mit Hilfe des Goldes, das er zu gewinnen hoffte, vieles anders zu gestalten, als es bisher gewesen war. Er würde nicht mehr der einfache arme Cowboy sein. Er würde seine eigene Ranch besitzen, und diese sollte nicht klein sein! Clint Farrox konnte Hal Wyman verstehen, wenn dieser dem Gold entgegenfieberte.
Die Nacht hüllte sie nun ein wie ein dunkler, samtener Mantel. Unzählige Sterne glitzerten wie ein Meer von Diamanten am hochgespannten Firmament. Aus weiter Ferne scholl das langgezogene Geheul eines Büffelwolfes.
Plötzlich hielt Hal Wyman seinen Rapphengst an.
»Clint! Siehst du diesen hellen Fleck dort drüben?«
Clint Farrox beugte sich im Sattel vor und strengte seine Augen an. Seine Miene spannte sich.
»Ja! Ich sehe ihn!«
»Was könnte das sein?«
Clint zuckte die Achseln und wischte eine Strähne seines blonden Haares zurück, die unter dem Stetson hervor in die Stirn gefallen war. Er sah weiterhin auf das helle Etwas, das sich in einiger Entfernung undeutlich aus der Finsternis abhob.
»Wir werden nachsehen müssen, Hal!«
Sie trieben gleichzeitig ihre Pferde an, ritten einen lang abfallenden Grashang hinab und hielten genau auf den hellen Fleck zu. Sie ritten langsam und wachsam. Clint hatte seine Rechte auf den Coltkolben gelegt, und aus den Augenwinkeln sah er, dass Hal seinen gekreuzten Waffengurt zurechtrückte.
Es war ein einsames, weites Land, in dem sie sich befanden. Thunderville war nach Westen zu, die letzte Siedlung in dieser Gegend. Die Prärie und die Berge im Westen – all das war noch offenes Land, einsame Wildnis. Jeder Mann, der sich in dieses Gebiet vorwagte, musste mit unerwarteten Gefahren rechnen. Und Clint Farrox und Hal Wyman waren nicht die Männer, die leichtsinnig ihr Leben aufs Spiel setzten.
Sie waren etwa zehn Yards geritten, als sie erkannten, was sich da vor ihnen in der Dunkelheit befand.
»Ein Planwagen!«, murmelte Clint überrascht und beschleunigte das Tempo seines Braunen.
Es war tatsächlich das helle Planendach eines schweren Conestoga-Wagens, der ihnen aus der Nacht entgegenleuchtete. Aber der Wagen bewegte sich nicht. Nur das ungeduldige Scharren und Stampfen von Pferdehufen war zu hören.
Sie tauschten einen raschen Blick und ritten vorsichtig weiter. Sie wirkten wie Freunde, die schon lange Zeit aufeinander eingespielt waren und sich auch ohne viele Worte verständigen konnten. Und doch kannten sie sich erst seit Mittag dieses Tages.
Das Peitschen eines Gewehrschusses zerbrach die nächtliche Stille. Neben dem Planwagen sank das, grell aufblitzende Mündungsfeuer, in sich zusammen. Im nächsten Moment hielten beide Reiter ihre Waffen in den Fäusten.
»Versucht nicht, näherzukommen! Das war nur ein Warnschuss!«
Es waren nicht die Worte, die die Freunde überraschten. Es war vor allem die Stimme! Es war die Stimme einer Frau!
Clint Farrox schob seinen Colt ins Halfter zurück und zügelte sein Pferd. Hal Wyman folgte seinem Beispiel.
»Das ist eine Überraschung!«, grinste der junge dunkelhaarige Reiter kopfschüttelnd. »Eine Lady – mitten auf der nächtlichen Prärie! Und anscheinend mutterseelenallein!«
»Madame!«, rief Clint beruhigend zum Planwagen hinüber. »Wir kommen nur zufällig des Weges! Wir haben keine bösen Absichten!«
Beim Wagen blieb alles still.
»Hören Sie, Madame! Dürfen wir näher kommen?«
Im undeutlichen Sternenschimmer, der die Nacht nur schwach erhellte, tauchte eine schlanke Mädchengestalt neben dem schweren Fahrzeug auf. Der Lauf eines Gewehres blinkte matt. Und die helle Stimme sagte:
»Ja, es ist gut! Ich habe mich getäuscht!« Unendliche Bitterkeit klang in den Worten des Mädchens.
Clint runzelte die Stirn und trieb seinen Braunen voran. Hal folgte dicht hinterher. Gleich darauf hielten sie vor dem Mädchen an und stiegen ab.
»Madame«, sagte Clint höflich, »Sie hatten sicher einen Grund für Ihr Misstrauen. Darf ich fragen, was geschehen ist?«
Im nächsten Moment sah er die Tränen, die lautlos über die bleichen Wangen des Mädchens rollten. Tiefe Traurigkeit und Schmerz beschatteten das regelmäßige Gesicht mit den dunkelblauen Augen.
»Ja, ich hatte einen Grund!«, nickte das Mädchen. Mit einer hastigen Bewegung wischte sie die Tränen fort. »Seht dorthin!« Sie wies einige Yards zur Seite.
Dort erhoben sich zwei dunkle, niedrige Hügel: Gräber!
»Es sind meine Eltern, die dort ruhen!«, erklärte das Mädchen tonlos. Sie lehnte das Gewehr, mit dem sie vorhin geschossen hatte, an den Wagenkasten und stand steif und reglos, den Blick unverwandt auf die beiden frischen Erdhügel gerichtet.
Clint Farrox bemerkte den Spaten, der neben dem Wagen im Gras lag. Ein einsames Mädchen hatte allein und mitten auf der nächtlichen Prärie seine Eltern begraben müssen!
»Madame!«, sagte Clint leise. »Wollen Sie uns alles erzählen? Vielleicht können wir Ihnen helfen!«
»Bestimmt!«, erklärte nun auch Hal Wyman rau. »Erzählen Sie, Madame!« Diesmal lag kein Lächeln auf dem schmalen Gesicht des jungen Reiters.
Das Mädchen wandte sich den beiden Männern zu. Trotz der bitteren Situation erkannte Clint, wie schön sie war. Ihre einfache Kleidung, der bittere Zug um ihre feingeschwungenen Lippen und die Blässe ihrer Wangen konnten diese Schönheit nicht verbergen. Trotz der Dunkelheit lag ein verhaltenes goldenes Glänzen auf dem langen, weichen Haar. Und ihre klaren Augen wirkten wie zwei geheimnisvolle Bergseen. Diese Augen blickten Clint und Hal nun lange und prüfend an.
»Ja! Ich kann euch vertrauen! Ich sehe es an euren Gesichtern!« Sie machte eine Pause, und wieder wanderte ihr Blick hin zu den dunklen Grabhügeln.
»Ich werde euch alles erzählen!«, erklärte sie, tief aufatmend.
Die Freunde schwiegen. Der Schmerz, der dem Mädchen widerfahren war, war zu groß, als dass leere Worte darüber hinweghelfen konnten!
»Bevor Sie sprechen, Madame«, sagte Clint, »sollen Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.«
Er nannte seinen und seines Freundes Namen. Es war, als habe das Mädchen die Worte nicht gehört. Ihr Blick schien in weite Fernen zu dringen. Sicherlich stand das Bild ihrer Eltern vor ihr, und es war ihr anzumerken, wie sehr sie nach Fassung ringen musste, als sie schließlich zu reden begann:
»Mein Name ist Carroll Keeney. Meine Eltern wohnten in Arkansas und bewirtschafteten dort eine kleine Ranch. Schließlich bekamen sie eines Tages von Josua Keeney, dem Bruder meines Vaters, einen Brief, in dem er von dem weiten und freien Weideland am Oberlauf des Arkansas Rivers sprach. Nun, Vater zog schließlich den Fluss hinauf und besuchte seinen Bruder, der in der kleinen Siedlung Thunderville wohnt. Als er nach Hause zurückkehrte, hatte er einen Plan gefasst. Er wollte seine kleine Ranch verkaufen und auf dem offenen, besitzlosen Land in der Nähe von Thunderville mit Onkel Josua eine neue Rinderzucht gründen. Er verkaufte also seinen bisherigen Besitz, und dann zogen wir los – Vater, Mutter und ich.«
»Sie wollten nach Thunderville?«, fragte Clint erstaunt. »Das liegt aber weiter südöstlich. Sie müssten dort eigentlich vorbeigekommen sein, Miss Keeney.«
»Wir verirrten uns«, erklärte das Mädchen. »Vater wollte schließlich eines der Wagenpferde abschirren und losreiten, um die richtige Trailrichtung zu finden. Aber ehe es dazu kam, tauchten zwei Fremde auf. Vater fragte sie nach dem Weg, und der eine von den beiden sagte, wir sollten ruhig mit ihnen ziehen, da sie ebenfalls nach Thunderville wollten. Wir hatten keinen Grund zum Misstrauen und gingen bereitwillig auf diesen Vorschlag ein.«
»Und diese Schufte führten Sie immer weiter in die falsche Richtung, nicht wahr?«, knirschte Clint Farrox grimmig mit den Zähnen.
»Ja, das taten sie«, bestätigte das Mädchen bitter. »Wir schöpften keinen Verdacht. Die Gegend war uns natürlich vollständig fremd. Und auch Vater konnte sich nicht mehr so recht an den Weg nach Thunderville erinnern, den er schon einmal zurückgelegt hatte. Als es dann Abend wurde, beschlossen wir, zu lagern. Die beiden Fremden blieben bei uns. Das war ganz selbstverständlich. Ich befand mich gerade im Wagen und suchte die Lebensmittel hervor, als es draußen geschah.«
Carroll Keeney brach ab. Das blanke Entsetzen leuchtete aus ihren dunkelblauen Augen, als sie die grauenhafte Szene wieder vor sich sah.
»Sie waren ganz plötzlich über Vater hergefallen. Anscheinend hatte er ihnen erzählt, dass er die gesamte Barschaft aus seinem Ranchverkauf bei sich trug. Es war keine große Ranch, die er verkauft hatte. Achttausend Dollar trug er bei sich. Aber für uns alle bedeutete dieses Geld einen neuen Anfang, eine neue Zukunft, die wir gemeinsam mit Onkel Josua aufbauen wollten. Vater wehrte sich verbissen, und Mutter kam ihm verzweifelt zu Hilfe. Dann krachten die Schüsse, die ich nie vergessen werde. Als ich aus dem Wagen kam, saßen die beiden Mörder schon auf ihren Pferden, lachten mir höhnisch zu und galoppierten davon. Vater und Mutter aber…«
Sie brach ab. Ein Beben lief durch ihren schlanken Körper. Sie verbarg das Gesicht in beiden Händen und wandte sich schnell ab.
Clint Farrox und Hal Wyman sahen einander an. Ihre Gesichter waren plötzlich wie aus Stein gemeißelt, und ihre Lippen bildeten schmale dunkle Striche.
»Ich habe so eine Ahnung, wer die beiden Schurken waren«, sagte Hal schließlich.
Clint nickte wortlos und trat dicht neben das Mädchen. Er legte seine Rechte sachte auf ihre zuckende Schulter und meinte leise und verständnisvoll: »Miss Keeney, ich kann Ihren Schmerz und Ihre Bitterkeit vollkommen begreifen. Aber wollen Sie uns bitte sagen, wie diese beiden Männer aussahen und ob sie ihre Namen nannten.«
Wieder musste er sich über die Gefasstheit wundern, mit der ihm das Mädchen antwortete.
»Der eine war ziemlich groß – ein Hüne von Gestalt mit flachsblondem Haar. Der andere war kleiner, sehr hager und besaß eine auffallend gekrümmte Geiernase. Sie nannten sich Perry Shunter und Rick Reanow.«
Hal Wyman stieß einen schrillen Pfiff aus. Clint starrte nachdenklich zu Boden.
»Kennen Sie diese Mörder?«, fragte das Mädchen hastig.
»Jaaa!«, sagte Clint gedehnt. »Wir kennen sie. Wir hatten heute bereits einen Zusammenstoß mit ihnen in Thunderville.«
Das Mädchen schwieg betroffen. Dann wandte es sich zögernd an Clint.
»Mister Farrox, wollen Sie mir sagen, in welche Richtung ich fahren muss, um nach Thunderville zu kommen?«
»Wir werden Sie begleiten, Miss Keeney. Nicht wahr, Hal?«
»Aber sicher!«, stimmte dieser zu und kletterte bereits auf seinen Rapphengst.
»Oh, das kann ich nicht von Ihnen verlangen!«, rief Carroll Keeney. »Sie haben sicher ein bestimmtes Ziel vor sich.«
»Keine Angst, Madame«, lachte Clint rau auf. »Das läuft uns nicht davon!«
Einige Minuten später rollte der Planwagen knarrend und rumpelnd über die nächtlichen Hügel auf Thunderville zu. Nebenher ritt Hal Wyman, und Clint Farrox saß neben Carroll Keeney auf dem Kutschbock und lenkte das Gespann. Der ehemalige Cowboy aus Texas hatte noch immer nicht die geringste Ahnung, dass er nun im Verlaufe des vergangenen Tages und dieser Nacht all die Menschen kennengelernt hatte, die in seinem Leben entscheidende Rollen spielen sollten.
Die Namen dieser Menschen waren: Carroll Keeney, Hal Wyman und – Perry Shunter!